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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 8
DOI article:
Cohn, William: Neuerwerbungen chinesischer Kunst
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0324

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AUSSCHNITT EINER MEHR ALS 5 METER LANGEN BILDROLLE VON HSIA CH'ANG (1388-1470). TUSCHE

position effektvoller, die Malerei malerischer gewor-
den, der Pinselstrich nervöser, aber auch virtuoser,
dabei wird die Wirklichkeit mit neuen Augen
geschaut. Die seelische Substanz mag an Gehalt
verloren haben, das rein Artistische ist kaum ge-
schwächt, ja augenscheinlicher und freier geworden.

Der zweite Raum der Ausstellung enthält die
frühesten Gemälde, die der Ming-Zeit, und es ist
der Raum der Makimono, um dieses bereits ein-
gebürgerte japanische Wort für eine chinesische
Sache zu gebrauchen. Uns Westländern erscheint
die Form der langen Bildrolle, die beim Betrachten
abgerollt wird und nur einen kleinen Teil des Bil-
des zur Zeit sehen läßt, ungewöhnlich. Um so mehr
liebt sie der Chinese schon seit den Anfängen
her. Der enge Zusammenhang seiner Malerei mit
der Kalligraphie dürfte einer der Gründe für diese
Bevorzugung sein. Wir kennen höchstens vom Film
her ähnliche Wirkungen. Die einheitliche Kompo-
sition des wandschmückenden Bildes ist durch kon-
tinuierliche rhythmische Gliederung ersetzt. Es wi-
derspricht dem Sinne des Makimono, wenn man
es, wie es museale Rücksichten verlangen, gänz-
lich vor dem Beschauer ausbreitet. Wohl schwebte
dem Meister beim Schaffen das Ganze vor Augen,
aber es sollte zeitlich und nacheinander genossen
werden. Hsia Ch'ang (1388 — 1470) und Shen
Chou (1427 — 1509), deren Namen auf den beiden
großen Landschaftsmakimono stehen, waren frühe

Meister des neuen Stils, berühmt und begehrt seit je,
jener gerade als Bambusmaler, und dieser als Ver-
treter der Schule der Literaten (Wen-jen-hua, Wu-,
Südliche Schule), die der neueren Malerei ihr Ge-
präge gab. Das kalligraphische Element der Malerei
wird in dieser Schule stärker betont als je, ja
nicht selten übersteigert. Alle Details müssen zu-
rücktreten vor dem Ziele, das Eigenleben jedes
Pinselzuges bestehen zu lassen. Allzu enges Haften
an dem Naturvorbild ist als professionelle Hand-
werklichkeit verpönt. Die beiden Werke sind
Schöpfungen von größter Eindringlichkeit. Land-
schaftsvisionen ziehen vorüber, der Pinsel schwelgt
in allen Melodien, die schwarze chinesische Tusche
schillert in reichsten Tönen. Bei Shen Chou klin-
gen dazu einige matte Farben auf. Hsia Ch'ang
bringt noch eine weitere Eigenart, die allein Ost-
asien ausbildete. Variationen über ein bestimm-
tes Thema würde man es in der Musik nen-
nen, wie ja die Form der Makimono und ihr Stil
in mehr als einer Beziehung einen musikalischen
Charakter hat. Nicht die Landschaft bildet das
eigentliche Thema, sondern „Bambus im Früh-
lingsregen", ein in der chinesischen Malerei aus
Gründen der Symbolik immer wieder bevorzugtes
Thema. Gibt es doch eine ganze Philosophie des
Bambus. Die wechselnden Ufer des reißenden
Flusses sind nur die Begleitung zu dem Haupt-
motiv: Bambusrohre und Bambusblätter, vom Winde

AUSSCHNITT EINER MEHR ALS 5 METER LANGEN BILDROLLE VON CH'EN HSIEN-CHANG
TUSCHE UND SCHWACHE FARBEN

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