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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 10
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Glaser, Curt: Die Dürer-Ausstellung in Nürnberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0429

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werker gewesen, nicht aufrechterhalten werden könne, hat
man bisher mehr geahnt als gewußt. Denn wenn man wohl
die Altäre in Zwickau und in Straubing kennt, so hat man
sie doch in den Kirchen, in denen die Tafeln schlecht be-
leuchtet und weit über Augenhöhe angebracht sind, noch
niemals so gesehen wie in den Sälen des Museums, wo
zudem viele andere Werke der Zeit zu bequemem Vergleich
dargeboten werden. Überdies weiß man heute, daß der Altar,
den man bisher für den Peringsdörfer und damit nach Neu-
dörfers Zeugnis für ein Werk Wolgemuts nahm, nicht dieser
ist, und der gewandelten Vorstellung von Wolgemuts Kunst
fällt nun auch der Hofer Altar zum Opfer, der in die Nähe
der Werke des Hans Pleydenwurff und des Landauer Altars
rückt, um mit diesen zusammen die erste Stufe der Über-
nahme niederländischer Form in Nürnberg zu repräsentieren,
der gegenüber Wolgemut selbst als der Meister einer neuen
Generation selbständiger Verarbeitung fremden Einflusses
sich darstellt.

In den Marienbildern des Zwickauer und mehr noch in
den Tafeln des Straubinger Altars erscheint Wolgemut als
ein Maler von bedeutendem Wüchse. Seine gedrängten Kom-
positionen sind wahrhaft erfüllt von wuchtigen Formen. Es
gelingt ihm ebenso die wundervoll leise Gebärde einer
zarten Frauenhand wie die ausdrucksvolle Wendung einer
männlichen Gestalt, und unvergeßlich sind die großartigen
Charakterköpfe seiner Apostel oder der Könige einer Epi-
phanie. Es ist nichts lehrreicher, als diese pathetische Kunst
eines der großen Meister deutscher Spätgotik, als den man
Wolgemut hier erlebt, in unmittelbarer Nachbarschaft der
Werke seiner von niederländischer Eleganz beeindruckten
Vorläufer zu sehen, vor allem jenes Meisters des Strache-
Altars, der zu den kultiviertesten Malern seiner Zeit zählt,
dessen Gestalten ebenso tänzerisch beschwingt, wie seine
Farben von raffiniertem Geschmack gewählt erscheinen. An
Zierlichkeit der Form wie an Feinheit der malerischen
Durchbildung kann sich Wolgemut mit diesem Meister
nicht vergleichen, aber er ist ihm an Kraft der Per-
sönlichkeit wie an kompositioneller Erfindungsgabe weit
überlegen.

Mit Wolgemut in seiner Werkstatt und neben ihm als
selbständige Meister haben andere Maler geschaffen, und
man gewinnt, wenn man die Ausstellung durchwandert, ein
Bild von dem reichen künstlerischen Leben der Stadt in
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Der Meister
des früher sogenannten Peringsdörfer Altars bleibt eine der
bedeutenden schöpferischen Persönlichkeiten seiner Zeit,
nicht minder der Meister des Crailsheimer Hochaltares oder
der Hersbrucker und jener Geselle Wolgemuts, der die Passion
des Zwickauer Altars gemalt hat. Wie Wolgemuts eigene
Kunst aber sich entfaltet hat, bis er im Jahre 1508, fast
dreißig Jahre nach dem Zwickauer Altar, die Flügel der
Predella des Schwabacher Hochaltars gemalt hat, das kann
man auch heute kaum mehr ahnen, da alle Zwischenglieder
einer anscheinend bedeutenden künstlerischen Entwicklung
fehlen.

Kein Zweifel, daß Wolgemut selbst in seinen späten
Jahren unter dem Einfluß seines großen Schülers Albrecht
Dürer gestanden hat. Kein Zweifel aber auch, daß dieser
die entscheidenden Anregungen seiner Jugend in der künst-

lerischen Umgebung seiner Vaterstadt empfangen hat, aus
der er ebenso großartig sich abhebt, wie er doch ihre Tra-
dition fortsetzt. Denn wenn man die Hände sieht, die Dürer
zeichnete, oder die charaktervollen Männerköpfe, die er er-
fand, so fühlt man sich unmittelbar an Wolgemut erinnert,
und so weit der Abstand sein mag, man bleibt doch in der
gleichen Welt der Anschauung und in der geistigen Atmo-
sphäre, die man als die im besonderen Nürnbergische an-
zusehen berechtigt ist.

Neben diesem Zusammenhang mit der Kunst seines Lehr-
meisters erscheinen die Beziehungen zu der oberrheinischen
Kunst, die unter dem Zeichen Martin Schongauers stand,
ebenso unwesentlich wie der Einfluß italienischer Malerei,
der nur gleichsam in Äußerlichkeiten sich bemerkbar macht.
Gewiß sind auch solche fremde Stilelemente in Dürers Kunst
aufgegangen, aber sie haben niemals ihren Charakter be-
stimmt. Die Dresdener Madonna muß wohl zu ihrer Zeit,
im Jahre 1496, als ein Werk von fremdartiger Größe einen
ungeheuren Eindruck in Nürnberg geübt haben, aber nicht
minder in Venedig jene Tafel, die vollgestopft ist mit merk-
würdig bewegten Händen und ausdrucksvollen Charakter-
köpfen, die Dürer zehn Jahre später als Darstellung des
Jesusknaben im Tempel schuf.

Man hat von dem Maler Dürer noch niemals einen so
starken Eindruck empfangen wie in dieser Ausstellung, die
einen großen Saal mit seinen Gemälden allein zu füllen ver-
mochte. Gewiß ist die Kunst des Zeichners uns unmittel-
barer lebendig geblieben, und die lange Reihe der herr-
lichen Blätter, die in Nürnberg zusammenkamen, bietet
einen unvergleichlichen künstlerischen Genuß. Aber man
begreift hier, wo die Gemälde in ihrer Gesamtheit und in
unmittelbarer Nachbarschaft mit den Werken Wolgemuts
und seiner Zeitgenossen erscheinen, doch auch aufs neue
die Bedeutung des Malers Dürer, und man erfaßt den unge-
heuren Weg der künstlerischen Entwicklung einer Persön-
lichkeit von dem frühen Bildnis des Vaters bis zu einem
späten Marienbilde, das in seiner knappen Komposition wie
in seiner merkwürdig lichten Farbigkeit schon die Epoche
des Manierismus einzuleiten scheint, die Dürer vieles ver-
dankte.

Man hat, seit die Werke des Matthias Grünewald
wiederentdeckt wurden und in den Mittelpunkt des allge-
meinen Interesses gerückt sind, Dürer oft Unrecht getan,
den Maler Dürer im besonderen neben der blendenden Er-
scheinung seines Zeitgenossen gering eingeschätzt, und man
hat zuviel Wesens gemacht von den italienischen Zügen in
der Kunst des Nürnberger Meisters. Man wird in dieser
Ausstellung umlernen. Es offenbart sich hier das umfassende
Genie eines großen Formerfinders und Menschenbildners,
eines Mannes, der sich bei jedem Schritte, den er tat,
der Verantwortung für seine Arbeit bewußt gewesen ist,
dessen Talent durch die Lauterkeit seines Charakters
geadelt war. Daß die reine Luft klassischer Kunst, zu
der er sich erhoben hatte, keiner seiner Schüler und
Nachfolger zu ertragen vermochte, war nicht seine
Schuld; daß die Nürnberger Malerei nach Dürers Tode
in Epigonentum versank, war ein Schicksal, an dem
die deutsche Kunst durch Jahrhunderte noch zu tragen
hatte.

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