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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 12
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Braumann, Max: Bei Freunden van Goghs in Arles: Reiseerinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0480

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Originalporträt des Doktors von Camoin nicht zu
halten, trotz starker Qualitäten. Noch viel weniger
ein drittes Bildnis eines anderen Pariser Malers (sein
Name ist mir entfallen) im Eßzimmer. Dort ist
auch ein Hafenbild von Camoin, Cassis darstellend.
„Finden Sie diese Landschaft schön? Ist es nicht
eine Allerweltssache, ein Dutzendhafen?" Der
gute Doktor hat es sich nämlich in den Kopf ge-
setzt, uns von der Idee eines Studienaufenthaltes
in Cassis und Martigues abzubringen. „Nach
St. Maries müssen Sie (wir haben uns später ge-
fragt, warum)! Gehen Sie in die Camargue!"

Und nun hebt Rey an, wie nur ein Provence
es vermag, mit gewaltigen Worten, „mit einem
Fuß in der Poesie stehend", die Schönheiten der
Camargue zu preisen: die endlosen, in der Sonne
brütenden Ebenen, die Hügel, die aus ihnen
aufsteigen und zu einem Miniaturgebirge sich
verdichten, die wilden Stierherden, welche das
begehrte und unerreichte Tiermaterial für die Stier-
gefechte liefern, die Hirten, gekleidet wie Herden-
hüter der Vorzeit, die Oliven, welche die ver-
streuten Gehöfte umstehen. Frau und Tochter
warten ungeduldig, aber ergeben. Die Mahlzeit
ist längst angerichtet. Doch der Hausvater ist im
Schwung der Rede. Wir müssen ihm schließlich
begreiflich machen, daß auch für uns die Essenszeit
da sei und daß wir schon in einer Stunde an einer
Exkursion in die Umgebung uns beteiligen wollen.
„Aber Sie müssen zu mir kommen, sobald Sie
wieder in Arles sind, damit ich Ihnen sage, wo-
hin Sie gehen sollen." Welch ein liebenswerter
Prachtkerl!

Am Nachmittag fahren wir bei fegendem
Mistral ins Land hinein, über Montmajour, eine
zyklopisch aufgetürmte, halb zerfallene Abtei, an
der Mühle vorbei, in der Alphonse Daudet seine
„Lettres de mon moulin" schrieb, durch das val
d'enfer nach Les Baux. Wie ein vergessenes
Riesenspielzeug liegt diese Ruinenstadt aus der
Troubadourzeit, weithin sichtbar, auf einem Berg-

rücken der Alpilles. In der Tiefe des val d'enfer
blickt das grüne Wasserauge einer Ölmühle, die
von Zypressen umstanden ist; verlassene, verfallene
Häuschen drängen sich in den phantastisch geformten
Fels. Und dann jagt das Auto in engen Kurven
durch die Pinienwälder jenseits des Bergrückens;
Les Baux steht noch einmal in gewaltiger Silhouette
in der Ferne, Fels und Mauer in einem. Wir
halten vor St. Remy, wo auf einem Plateau in un-
verwüstlicher Schönheit ein römischer Triumph-
bogen steht und ein Mausoleum, von einem Römer
seinen Eltern errichtet. Neben der Landstraße,
über die jetzt der Mistral in voller Stärke hin-
wütet, breiten sich leuchtende Blumenfelder im
Schutze von Zypressenhecken. In tiefer Dämmerung
treffen wir wieder in Arles ein.

Ehe wir am nächsten Tage nach Marseille
weiterreisten, hielten wir beschauliche Rast vor
dem Häuschen van Goghs. Es liegt, leicht kennt-
lich durch die Gedächtnistafel Serrets, an der Ecke
der Avenue de Montmajour, außerhalb der Stadt-
ummauerung und der Porte de cavallerie, die
man auf dem Weg zum Bahnhof durchschreiten
muß, auf einem weitgeöffneten, mit Platanen be-
pflanzten Platz. Ein niederes, nur einstöckiges
Häuschen mit kaltweißem Anstrich und versperr-
ten, tief graublauen Fensterläden. An den runden
Tischen vor der Bar sitzen ein paar consommateurs,
Männer in der Bluse, die ihre Pfeife rauchen und
das herkömmliche Aperitif schlürfen. Zwei Un-
entwegte spielen unter den Platanen ihr heiß-
geliebtes Kugelspiel. Aber auch der Platanen-
schatten spendet keine Kühle. Die glutende Hitze
zirpt gläsern in die mittägliche Versunkenheit.

Plötzlich werkelt aus der nahen Taverne ein
mechanisches Klavier, so charakteristisch für die
Provence und das nahe verwandte Spanien. Dann
fällt alles in totes Schweigen zurück. Schwer, schwer
lastet der flimmernde, weißgleißende Himmel, dieser
erbarmungslose Himmel der Provence, den der Mei-
ster so sehr geliebt, über dem kauernden Land.

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