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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 5 (Mai 1928)
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Illgen, Kurt: Die ''freie Schülerzeichnung'': als Wertmesser für das Ausdrucksvermögen und ihre Brauchbarkeit bei der Aufnahmeprüfung an höheren Schulen, ein praktischer Vorschlag
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0142

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ForlschnttS, als Vorcuissehung zur darciuffolgenden
Aeurkcilung des AuSdrucksvermögens. Äber auch
der 3. Punlik, Seelenkräfte bekr., hat bel der Veur-
lcilung besonders grosze Vedeutung.

Dec damalige Mklnchnec Stadtschulrat Prof. Dr.
Kerschenskeiner hakke schon vor 2g Iahren in seinem
Werke „Die Entwicklung der zeichnerischen Be-
gabung" Entwiüilungsskufen festgestellk, und zwar
nach Venrbelkung von etwa Million Kinderzeich-
»ungen Miinchner BolkSschliler. Er hat zeichnen
lnssen: Baker, Ätukter, Kind, Pferd, Ente, Blume,
Bäume, Aäuser, Kirche, Straszenbahn, auch Berzie-
rungen, alles ein^eln, und sä)liehlich auch ein Bild
„Das Schneeballgefecht", aso Darstellung von Fi-
gureu und Dingen innerhab eines Raumes. Das
letzkere (die bildhafke Darskellung des Naumes (Land-
schaft, Zimmer usw.) und der in den Raum hinein-
gestellken Figuren (Mensch, Tier, Vaum, Haus usw.)
fatzt alles zusammen und ist für unsere Zwecke der
Aeurkeilung sehr geelgnet.

Der „Kampf um den Nau m", flächenhaft wie
körperhaft, bzw. das H i n e i n st e ll e n der Fi-
guren und Dinge in den Aaum machk fast die ganze
und schwierigste Arbeit im bildhaften Gestalten aus.
Flächenhafk wird beim Ornament der
Flächenraum guk aufgeteilt, körperhaft,
bzw. p e r sp e k t i v i s ch - p l a st i s ch werden die
d r e i d i m e n s i o n a l e n Figuren und Dinge in
einer dreidimensionalen Landschnft oder
Räumlichkeit skehend, liegend, fliegend, sihend usw
auf einer zwei d i m e n s i o n a l e n Papierflä6)e dar-
gestellt und innerhalb dieses Flächenraumes gut ver-
keilt. Das Naumproblem ist vielleicht das
höchste und schwierigste überhaupt, das Naumge-
fühl und die R a u m v o r st e l l u n g gehören zu
den wichkigsten Seelenkräften, die der Mensch
brauchk. Ganz allmählich wird der Raum vom Schü-
ler erst empfunden, wahrgenommen, richkig gesehen,
bevor es zur Raumvorstellung und -darskellung
kommt: die „Tiefe" muß begriffen werüen.

Die Entwicklung der Naumvorstellung und des
Naumgefühls (Raumsinns) ist ein allmähliches Hin-
sinwachsen in die Darskellungsfähigkeit der 3. Di-
mension und damik ein für unsere Zwecke der Ve-
urteilung passendes Haupkerkennungsmikkel und
Wertmesser für das Ausdrucksvermögen, ja sogar
sür die geistige Reifc, vom bildhafken Ausdruck aus
betrachkek.

Auf Naumauffnssung und -darstellung hin unter-
suche lch die „freien Schülerzeichnungen" zunächst,
gleichzeikig auch die Auffastungs- und Darstellungs-
weise der Figuren und Dinge, und zwar richte ich
mich in der Hauptsache nach Kerschensteiners Ergeb-
nisten. Siehe Kerschensteiner, die Entwicklung der
zeichnerischen Begabung! lW. Selbstverständliä) sind
auch andere Enkwicklungs-Einteilungen möglich!)

3ch habe zu den vier Enkwicklungsskufen noch eine
5. Skufe, die der Kunstform, hinzugefügk, weil Ker-
schensteiner nur Bolksschüler vor sich hatte; unter-
scheide auch zwei Hauptgruppem ^ und v.

Gruppe L. — rein lineare Anordnung ohne jedes
Raumdarstellungsbedürfnis (einzlge Stufe).
Gruppe L, Skufe 1 — Naumdarstellungsbedürfnis
vorhanden, aber noch raumlos.

ü 2 — auS verschiedenen Gcllnden mitzlun-
gcne Raumdarslellung.

L 3 — unvollcndeke Raumdarsiellung (nur
Bordergrund).

k 4 — vollendeke Raumdarstellung (mit ge-
ringen Fehlern).

L 5 — künstlerische Naumdarstellung.
k' (Figur) hak auä) 5 Enkwicklungssiufen.

Meine Korrekkurarbeit geschieht autzerhalb des
Unkerrichks. 3ch verschaffe mir einen allgemeinen
Ueberblick, überlege mir den Matzstab, der fllr daS
betreffende Alker in Frage kommk (siehe Alkers-
abgrenzung der Entwicklungsstufen in den Riä)t-
linien für die Aufnahmeprüfung!), schreibe Raum-
und Figuren-Entwicklungsgruppe und -skufe in die
rechte obere Ecke des Zeichenbogens und notiere mir
eine Zensur ins Nokizbuch, schreibe sie also nicht auf
die Zeichnung, weil dle Zensur als nackte Ziffer
mich in meinem Empfinden und den Schüler in sei-
ner Freude ofk siörl.

Bei der Nückgabe der Arbeiken erkläre ich die
Zeichen fllr Lnkwicklungsstufen und vergleiche die
Ärbeiten gruppenweise miteinander, damit jeder
Schüler weitz, auf welcher Skufe er steht und welche
er noch zu ecsteigen hat. Zulehk gebe ich die Zen-
suren bekannt, weise aber darauf hin, datz mit der
Zensur nichk nur die Enkwicklungsstufe, sondern auch
Phantasie, Menge der Borstellungen, Auffafsung
des Themas, Darsiellung der Hauptsache und des
Charakkeristischen, der persönliche Skil, die Sauber-
keik bcachkek worden sind.

Nun haben wir zur vorjährigen Aufnahmeprüfung
zum ersten Male den Bersuch gemachk, die Fähig-
keiten (Ausdrucksvermögen) des Kindes auch aus
dem bildhaften Ausdruck herauSzulesen, zunächsk
ohne jeden Einslutz auf die Aufnahme odcr Nicht-
nufnahme des Schülers. Thema: Äm Vahnhof.

III.

Folgende Nichtlinien für die Beurteilung der
Fähigkeiken, insbesondere des Ausdrucksvermögens
des Kindes, aus dem blldhaften Ausdruck bei der
Aufnahmeprüfung hakke ich aufgestellt:

1. Durch die „freie Schülerzeichnung" sollen haupt-
fächlich BorftellungS- und Phantasie-
krafk der Schüler festgestellt werden: zusammen-
gefaßk: üas schöpferische Gestaltungs- bzw.
Äusdrucksvermögen soll erkannk werden, wobei
auch Selbskändigkeit und Aktivikäk des Schülers
beobachket werden können, und zwar auf Ker-
schensteiners Grundlage.

2. Es ist keine Testprüfung im eigentlichen Sinne.

3. Bier Enkwicklungssknfen sind zu beobachten (Nor-
malentwicklung):

1. Skuse mit 4. bis 8. Lebensjahr,

2. Stufe mik 8. bis 10. Lebensjahr (Schwach-
sinnige bleiben hier siehen!)

3. Skufe mik 10. bis 14. Lebensjahr (Durchschnitts-
menschen bleiben hier stehen!)

4. Skufe mit 14. Lebensjahr (besonders Begabke
enkwickeln sich weiker).

4. Dem Alker und der Lntwicklungsstufe
entsprechend wird geurkeilt. Dle Prüflinge sind
9-10 (11) Iahre alt, werden also zumeist auf der
 
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