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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 8 (August 1928)
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Keller, Hans: Eine Auseinandersetzung mit der Anthroposophie!
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0245

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206



si e l l u i: « äa r b e i t lu Ueberanstreilguttg vou Sln-
nen und Nerven siü) beinerlibar inachk, weitz jeder)
ebenso wissen wir, dasj bei jeder Gefühlserre-
gung der Puls sich beschleunigk und die Atmungs-
tätiglieit sich erhöht, ferner, dajz Inkensive Mil-
lenskütigkeit oft in einem Stampfen des Fußes
oder in Schlagen von Hand oder Faust siä) äußert,

Es isk hier vielleicht angebracht, elne uurze, sliizzen-
hafke Zusammenfassung zu geben von der auf das
Walten dieser drei Organsysteme aufgebauten anthro-
posophischen Psychologie des Klndes. Sie
liami allerdings nuc >den Wert einer Anregimg bedeu-
ken! — Es werden zahlrelche bedeutsame Einschnlkke
in der Enkwiclilung des Kindes unkersä)ieden.

DaSlileine Kind bis zum siebenten
L e b e n s j a h r:

I,n lilelnen Kind bis zum siebenken Lebensjahr wir-
lien geislig-seelische Kräfte, die vorwiegend plastisch-
blldnerischer Liatur sind. Dieje Aildeliräfke gestalken
dle vhysisch-leibllche Organisation, werden dann, nach
Vollendung dieser Aufgabe, frei, und treten in ver-
wandelker Gestalt als Vorstellungs- und Gedächtnis-
fähigliellen auf. Nun ist das Kind reif flir die Schule.
Es skehk im Zahnwechsel drinnen, der aufzufassen ist
als Abschluß der Tütlglieit jener plastisch-bildnerischen
Kräfte. Wenn das lilelne Kind vor dem siebenken
Lebensjahr sein Seelenleben am stärksten durch die
Bewegungen seiner Gliedmaszen zum Ausdruck ge-
brachk hat, so lebt es jeht mehr im Nhylymus seiner
Akmung und seiner Blutzirliulakion. Es hak jehk ein
inskinlitives Berhälknis zu allem, was in Äeim,
Rhythmus und Talit sich gestalketl

Das neunke 3ahr bedeuket einen wichtigen EIn-
schnikt in der Enkwiclilung des werdenden Menschen.
öeht vollzieht das Kind seine Abtrennung von der
Uinwell, mit der es vorher völlig eins war. — Sein
Ich-Bewusztsein erwacht stärker, sein Seelenleben
wird unabhängiger. „DaS Kind wlll Melt und Er-
zieher von einer neuen Seike liennen lernen: es will
vewuszl verehren, wo eS vorher kindlich lieble, aber
eS wiil auch spüren, daß seine Berehrung berechklgt
ist. Dies Lebensaller slelll große Anfvrderringen an
Weisheit und Takk des Lrziehers. Er musz das Kind
vor Entkäuschungen bewahren, denen eS in dieser
Zelt, gerade auch gegenliber dem erwachsenen Men-
schen lelcht verfallen kann.

Der nächsle wichllge Eliischnill der Enlwiclilung isl
der Einkrilt in das zwölste Lebensjahr. Das Kind
koinm! in die Flegeljahre. „DaS jttngere Kind
bewegk sich in selbskversländlicher Anmut durch sein
Muskelsystem, das genährl wird durch den im Ähykh-
mus kreisenden Blulslrvm". 2ehk verlieren selne Be-
- wegungen Nhykhmus und Aninut, werden eckig, un-
geschickt, wlllkllrlich. Das Kind weis; nlchk, was es
mit seinen Gliedmaszen anfangeii soll, die nun plöh-
lich ein solches Uebergewicht bekommen. „Alles, was
im Leben und in der Wissenschaft einer inechanischen
Geseszinäjzigkeit unterliegl, kann dem Säzüler erst
jeht mit Nuszen und ohne S6)ädigung nahegebracht
werden, wo sich sein seelisch-geiskiges Wesen stärker
mil der Mechanik seines KnochensystemS verbindet.
Eine Aeihe von neiien Wissensgebieten eröffnen sich
ihm in diesem Zeikpunkt (Physik, Geometrie, Merk-
statt und Gartenbau).

G e s ch l e ch k s r e i f e.

„Wenn der Zahnwechsel Len Abschlusz der Mirk-
sainkeil gewisser plaslischer Kräfte im kindllchen Or-

ganismus darstellt, so darf man die Geschlechlsreise
als den Abschluf; der Wirksamkeik gewisser musika-
lischer Kräfte im Menschen bezeichnen. Der Abschluß
äußerk sich ja beim Knaben auch durch die Berände-
rung der Stimme, den Skimmwechsel. Der Lehrplan
der Wialdorfschule weist hier auf die Bedeuksamkeit
hin, die üie Pflege (oder Bernachläjsigung) des künst-
lerlsch gestalteten Workes von seiten des Lehrers
hat, auf die Rolle, die es bei üer Borbereilung der
Geschlechksreife spielt. — Ferner heißt es: „2n der
Geschlechtsreife erwacht im jungen Menschen eine
umfassenüe Liebe zu Melt und Menschheit, von der
die Liebe zum andern Geschlecht nur ein kleiner Aus-
schnikt ist. Das soziale Empfinden, die Neigung zu
einzelnen Freundschaften und Freundschaftsbünden
verskärkk sich. Dte Fähigkeit zum logischen Denken.
zum selbständigen Urteilen erwacht, und dieses selb-
ständige Urkeil findet jeht seine Wissensgrundlage in
all dem, was das Kind biS jeht, der Äulorlkäk des
Lehrers folgend, hingebungsvoll und ohne frühzeilige
Krltik aufgenommen hat."

Hier möchke ich die mehr oder minder wörkliche
Anführung über die psychologischen Grundlage», auf
denen sich die Waldorfschul-Päbagogik aufbaut, v o r-
zeitig abbrechen. Der Lehrplan der Waldorfschule
(Freie Waldorfschule. Mikteilungsblatt, Sonderheft
Okkober 1S25), in dem siä) auch Hinweise auf weitere
Literatur bestnden, glbk jedeni, der danach verlangk,
eingehenderen Aufschluß, besonders auch über die
theorekische Durchführunä in >den einzelnen Missens-
gebieken, was ja hier nichk meine Aufgabe sein kann.
vch gedenke nur noch einen Vlick zu werfen auf das
bild-kllnstlerisckeArbeitsgebiek, in dem
ich versuchen werde, die Unterschiede und Ueberein-
stlmmungen mlt dem blldhaften Geslalken unserer
höheren Schule mlt zu fassen. Elne gruiidsäijliche
Ilsbereinstiinmung kann man sehen in dem geinein-
samen Ziel, unter Vernelnung von Borlage und
Nlodell, die Phankasie, und Ausdruckskräste Im jun-
gen Menschen zu wecken. 5m Einzelnen gehen je-
doch die Wege sehr auseinander. — Menn inan eine
Ausstellung klinstlerischer Arbeiken der Maldvrsschule
auf sich wirken läszt, so fälll einem zunächsl auf, dnsz
alle Kinder gleichermaßen „abstrakt^ bzw. „ungegen-
ständlich" arbeiten. Mehr oder weinger hariiionische
Farbeiiwogen — weich, kräiiinerisch verschwliiimeiid
— sließen liieinanüer; alleS Fesle, Dichle, Erdhasle isl
sichisich vermleüen. Eine ätherische, elwas ülasse,
blutleere Grundhalkung isk charakteriskisch. Ilnter-
schiede nach Temperaiiienlen sind In Wahl und
Stärke der Farben zu sehen, im übrigen aber glel-
chen sich die Arbeiken sehr. Es siel mir auf, dasz die
„dinghafke" Linstellung deS nalürlichen Klndes
eigentllch gar nichk zum Morl kommt. Man könnte
fast meinen, als ob die Melt dieser Kinder leer wäre,
von all den lieben, lustigen, merkwllrdigen, zau-
berhafken oder schaurigen Gestnlken, von ihrer Pvesie
und Phantaskik, die die reiche Sphäre des Kindes
sonst erfllllen! Das Kind, dessen skarkes uiiinilkelbares
Gestiihl für idenr Auisdrirck der Dln-ge vvr Aiigen liegt,
wird, wenn es unbeeinfluszk ist, skeks „dinghasl" er-
leben. Jch glaube daher, dasz ohne Erwachseneiibe-
einflussung das Kind niemals zu einer solchen Dar-
stellungsweise gelangt, wie sie in der Maldorfschule
gepflegk wird. Bon einer organischen Anknüpfuiig
des Ilnterrichks an das schon Borhandene, an die
natürliche Bildsprache des Kindes, wie sie das „bild-
hafte Geskalten anstrebt, kann man hier nicht reden.
 
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