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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 9
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Grossmann, Rudolf: Begegnung mit Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0387

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MAX BECKMANN, DER STRAND. 1927

AUSGESTELLT IN DER GALERIE A. FLECI1TIIEIM, BERLIN. MIT ERLAUBNIS DER GALERIE J. B. NEUMANN, NEW YORK UND DER GALERIE A. FLECHTHEIM

BEGEGNUNG MIT MAX BECKMANN

VON

RUDOLF GROSSMANN

TJeckmann zeigte bei Flechtheim seine seit der Kriegszeit
entstandenen Bilder. Im Katalog stellt der moderne Dog-
matiker Thesen auf. Zu dem Dogma eines vorgefaßten Form-
willens gehört aber auch sein Wille zur Sensation, zur Ver-
gewaltigung der Objekte. Um deretwillen verehren auch die
Frauen diesen „Robusto", sie setzen sich unterbewußt an
die Stelle der Objekte. Er zeigt sich als fanatischer Zimmer-
mann seines Raumes, verarbeitet dabei auch altmeisterliche
und kubistische Anregungen. Seine Technik ist ausgezeich-
net und klar. „Gebrochene Töne und Lokalfarben sind zu
verwenden!" „Eine transzendente Mathematik der Seele be-
dingt die Konstruktion des Bildes!" — und seine Macht-
vollkommenheit, den optischen Eindruck der Welt zu ver-
ändern, wie er will, so lange er gestaltet. Auch diese ma-
thematische Gleichung zwischen Ich und Welt ist mit An-
strengung und Wedekindscher Schärfe errechnet und streng
kontrollierr. Trotzdem, manche Bilder sind sehr schön und
man folgt gerne seiner freudigen Expansion, wenn der Krampf
sich in einfachen, manchmal etwas zu einfachen, zu absicht-
lich primitiven Formen löst. Nach seiner Heirat mit Kaulbachs
Tochter entspannte sich seine Kunst immer mehr, Blumen
mit fast süßlichen Tönen, eine Troubadourstimmung, die sich
selbst ironisiert, dringt manchmal durch. Wer nicht mit ihm
geht, dem suggeriert er nichts, der muß ihn ablehnen. Denn
er steht so sehr unter seiner eigenen Diktatur, daß seinen
immer gespannten Muskeln das Idol seiner Selbst prall auf-
sitzt, ihn von sich besessen macht. In seinen vielen Selbst-
darstellungen, in denen er in fast zwangsweiser Selbst-
Anmerkung der Redaktion: Auch in Mannheim, in der Kunst-
halle, war das gesammelte Werk Beckmanns ausgestellt, bevor es nach
Berlin kam.

kontrolle sich immer wieder greift, ist es am besten er-
sichtlich.

Beckmann kam vom Impressionismus, hat die Welt anfäng-
lich tragisch gesehen, richtige „Malheurs" gemalt, wie Schwind
von Piloty sagte. Im Krieg, als die Welt, vorher noch leid-
lich normal, sich an tragischen Schrecknissen überbot, über-
schrillte er sich, schlug um, geriet in das Grotesk-Komische,
mechanisierte, malte Alpträume, reihte mit der Unlogik des
Traumes real Gesehenes aneinander, hielt sich Wirklichkeit
vom Leibe mit diesem Arrangement, mit diesem Gleichnis.

Er summte damals leichte Melodien vor sich hin, be-
vorzugte kleinrandige Strohhüte oder die geistig radikale
Melone, sah aus wie ein ins Hypertrophische geratener Wun-
derknabe ; aber zeitweise zogen sich seine Mundwinkel wieder
tragisch verkrampft herab, seine Augen starrten weit ge-
öffnet, irgendwas zwang ihn, diesen Stimmungsumschlag in
immer neuen Selbstdarstellungen auszugeben. Er schleppte
ihn mit in die Nachtbar, in die Eisenbahn; im Hotel kon-
statiert er ihn im Spiegel. Es entstehen „Selbst im Hotel" und
viele andere Darstellungen dieses Selbst. Immer wieder muß er
der Außenwelt sein eigenes pathetisches Ich gegenüberstellen
oder sich in bramarbasierender Pose mit ihr messen. Vielleicht
führt diese Spaltung erst zur Formung seines Weltgefühls.

Die Bilder in ihrer Gesamtheit, besonders die nach Kriegs-
zeit entstandenen, vertragen sich schlecht. Sie haben so viel
LadestolF, daß sie sich selbst auseinandersprengen. Manche
greifen Probleme von Rousseau, Braque, Picasso auf, sie wer-
den mit sieghaftem Kinnheftigdeutsch verarbeitet, die Ma-
lerei hat etwas Frankfurterisch-Provinzielles. Aber auch dieser
Zug ist ganz bewußt. Kleinbürgerliche Häuser, knallfarbene
Zäune und Schilder, Semaphore, Lastkrane, alles, was die Stadt

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