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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 15
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Deusch, Werner R.: Mittelalterliche Plastik Italiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0455

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MITTELALTERLICHE PLASTIK ITALIENS
VON WERNER RICHARD DEUSCH
Die beinahe ausschließliche Verwendung des Holzes für das italienische Kultbild wäh-
rend des 1 2. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, an dessen Stelle nur in Verona
und den nördlichen Küstenlanden Marmor oder ein feinkörniger, marmorähnlicher
Stein Verwendung fand, trägt'nicht zuletzt Schuld an der Spärlichkeit des erhaltenen
Materials, das außerdem, soweit es sich nicht um Reliefbildnerei in Stein oder Marmor,
sondern um freiplastische Kult- und Andachtsbilder handelt, nur so lückenhaft bekannt
und bearbeitet ist, daß es sich lohnt, Einzelstücke von bedeutendem künstlerischen
Wert zu publizieren und ihnen ihren Platz innerhalb der Gesamtentwicklung anzu-
weisen.
Die beiden hervorragenden Stücke der Sammlung Adolphe Stoclet in Brüssel, die wir
hier bekannt machen, stammen zwar aus zwei völlig getrennten und in ihrem Charakter
ganz verschiedenen Kunstkreisen, bezeichnen aber deutlich die Stilstufe der italieni-
schen Plastik am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert. Das erste ist eine thronende
Madonna mit dem säugenden Kinde, die aus der Sammlung Stroganoff stammt und
von Munoz1 als veronesische Arbeit des 1 2. Jahrhunderts bezeichnet wurde. Die 73 cm
hohe Figur aus istrischem Marmor stellt den Typus der auf Lukas XI, 27 und apokryphe
Evangelien zurückgehenden, seit dem 8. Jahrhundert im Osten heimischen und im Westen
nur in seltenen Exemplaren bekannten Galaktotrophusa2 dar und gehört zu einer Gruppe
beinahe identischer Gnadenbilder, deren bekanntestes im Dom zu Aquileja (Höhe 70 cm)
seit 1224 quellenmäßig nachweisbar ist'5. Ein weiteres Exemplar (Höhe 78,5 cm) be-
findet sich im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin*, während die 67 cm hohe marmorne
Madonna im bischöflichen Palast in Verona, die Kieslinger5 vermutungsweise mit der
von ihm publizierten, demselben Kreis angehörenden stehenden Muttergottes identifi-
zieren zu können glaubte, eine, wie bereits Swoboda richtig bemerkte, späte, wahr-
scheinlich erst im 1 5. Jahrhundert entstandene Wiederholung dieses berühmten Gnaden-
bildes darstellt.
Die rundplastisch gearbeitete Gestalt der Muttergottes sitzt auf einer mit einem Kissen
belegten Bank, von deren rechteckiger Rückenlehne ein Tuch über das Polsterkissen
herabhängt. In der Betonung des rechten Beines und dem Entgleiten des linken, vor
allem jedoch in der jähen Bewegung des Oberkörpers nach links, um dem auf dem
rechten Knie mit übergeschlagenen Beinen sitzenden Kind die Brust zu reichen, wäh-
rend der Kopf aufmerksam diesem Vorgang folgt, sind deutliche Ansätze einer Kontra-
postierung der Figur vorhanden. Der freie Ausgleich dieser Bewegungen wird jedoch
erstickt in dem Bestreben, die dynamische Kräftebewegung in die Fläche zurück-
zudämmen, und die Relief Wirkung der streng um eine Senkrechte komponierten
Figurengruppe zu wahren. Das Kind wird so stark zurückgedrängt, daß es mit dem
linken Arm der Mutter in eine Fläche zu liegen kommt, der Kopf Mariä ist beinahe
ins Profil gerückt und die schweren, harten, unmateriellen und selbständig ohne engere
Bezugnahme auf die Körpermodellierung bearbeiteten, beinahe schalenhaft wirkenden
Falten der Gewänder unterstreichen, besonders in ihrer flächenhaften Schichtung an
Munoz, Pieces de choix de la Collection du comte Gregoire Stroganoff, II, 113L Rome 1911.
Die für den Westen wichtigen Typen der Muttergottes am übersichtlichsten zusammengestellt
hei Baum, Romanische Marienbilder im Schweizerischen Landesmuseum, in »Anzeiger für
Schweizerische Altertumskunde«, N. F. XVII, 21504 1925.
Swoboda, in Lanckoronski-Niemann-Swoboda, Der Dom zu Aquileja, 119 ff. Wien 1906.
Wulff, Altchristliche und mittelalterliche Bildwerke II, 31h Berlin igii.
Kieslinger, Eine veronesische Madonnenstatue des Ducento. In »Pantheon« I, 87!!.

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51 Der Cicerone, Jahrg. XXI, Heft 15
 
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