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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Die Berliner Jubiläums-Ausstellung, [10]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0056

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Die Berlmer Iubiläums-Ausstellung. von Fr. j)echt

ständnis für die heitere Schönheitswelt des Griechentums besitzt, so wenig als Rauch oder SchiÜing, die es
mit ihm teilen, jemals ein Gymnasinm besucht, wo man sie den Jungen auf ewig verleidet! Es ist schon lnstig,
wenn man bei dieser klassischen Schnlfuchserei beständig von der notwendigen Gymnastik des Geistes spricht
nnd darüber die des Körpers dermaßen vernachlässigt, daß die Hälfte der jungen Leute die Spuren davön ihr
ganzes Leben nachtragen!
Solch Verständnis der antiken Welt, wie es Hähnel zu ihrer eigenartigen Wiederbelebung, also zu
einer neuen Renaissance in Stand setzte, zeigt auch Schlüter in seinen köstlichen zwei Frauenbüsten, voll
Schönheitsgefühl und Naturstudium. Es bleibt eben ganz etwas anderes, wenn man auf Grund eines erneuerten
Naturstudiums und geläurerten rhythmischen Sinnes zu einem der Antike ähnlichen Resultat zu kommen sucht,
wie es die Renaissancekünstler, Rauch und Hähnel thaten, oder wenn man sie einfach nachahmt, wie Carstens,
Thorwaldsen und die antikisierende Schule jener Zeit. So gehört auch Eplers Kränze siechtende Viktoria
vom Goebendenkmal zu den besten Figuren der Ausstellung, durch die edle Ausfassung der trauernd den Lorbeer
für den dahingeschiedenen Helden pflückenden Siegesgöttin. — Zwei sehr hübsche Gruppen von Kleinplastik
gibt dann Roeder in seinem Adam und Eva, Kain und Abel. Noch lebendiger und malerischer behandelt
erscheint der Philoktet, der ein Wild sehend zum Bogen greift, von Spieler. Zwei sehr geistvolle Arbciten
voll Lebens- und Stilgefühl zugleich, direkt an die Florentiner erinnernd, gab dann Diez in seinem kostbaren
Gänsedieb und einer neuen „Das Geheimnis" betitelten Gruppe, wo ein Gnome oder Froschkönig einer Nixe
sehr wichtig thuend, ein Geheimnis ins Ohr siüstert. Das ist so eigentümlich und nervig, daß man Diez wohl
für den talentvollsten dieser Gruppe junger Dresdener Bildhaner halten möchte. Auch Hultzschs „Echo", die
am Felsen stehend mit kindischer Neckerei das Gehörte wiedergibt ohne es zu verstehen, ist voll naiver Anmut
und trefflich in Marmor gearbeitet, wie Bäumers Venus, die dem Amor die Flügel stutzt.
Die aus der Dresdener hervorgegangene Wiener Schule ist dann durch Kundmanns, unseren Lesern
schon bekanntes rührendes Relief: „Lasset die Kindlein zu mir kommen" und die kolossale Bronzesigur des
Tegetthoff, die den kühnen Seemann eben so edel als charakteristisch wiedergibt, vortresflich vertreten. Der
Meister zeigt hier, wie man selbst das stockprosaische Kostüm überwinden und künstlerisch gestalten kann, da
der trotzig und breitbeinig dastehende, offenbar in der Schlacht von Lissa auf dem Verdeck kommandierend gedachte
Seeheld eine so ausgeprägte Erscheinung ist, daß man sich ihn ohne diesen Rock gar nicht denken kann und er zum
wahren Typus eines österreichischen Marineoffiziers wird. Derselben Schule Hähnels entstammen auch König
und Benk, von denen des ersteren Melusinenbrunnenmodell ein wahres Meisterstück von graziös heiterer
Erfindung ist, das seines Gleichen kaum finden möchte in der Ausstellung und an die schönsten derartigen
Schöpfungen der Renaisiance hinreicht. Auch seine Wasserträgerin und Bacchantin rc. zeigen dies reizende,
verzierende Talent. Benk aber brachte die Bronzestatue einer Nidia, wo die Blinde vortrefslich ausgesprochen
erscheint. Ganz selbständig und von hervorragendem Wert sind dann der Schild und die Platte Tauten-
hayns, welche den Kampf der Centauren und Lapithen und den Raub der Proserpina ebenso schön und
lebensvoll komponiert als köstlich ausgeführt darstellen. Tautenhayn behandelt das Flachrelief mit einer
Meisterschaft nnd Originalität des pikanten Vortrags, in welchen er ohne Nebenbnhler dasteht, wie in seinen
prachtvollen Medaillen. Dabei hat er das strengste Stilgefühl, das ja den reizvollen Vortrag durchaus nicht
ausschließt, wie manche zu meinen scheinen. Zu den intereffantesten Erscheinungen der Wiener Bildhauerei
gehört endlich der Naturalist Tilgner, dessen meisterhaste Büsten ja weltbekannt sind, deren malerische Be-
handlung nebst der srappanten Ähnlichkeit ihnen so großen Reiz verleiht. Ganz zuletzt kam noch Weyrs
genial gedachter und ausgeführter Bacchantenzug vom neuen Burgtheater, eine treffliche Arbeit, die um so
überraschender wirkt, als sie in auffallender Verwandtschast mit Makart, lauter spezifisch wienerische Bacchan-
tinnen zeigt und dadurch eine höchst wohlthätig wirkende, lokale Färbung erhält. Man wird darum selten ein
so sormvollendetes und zugleich lebensvolles Kunstwerk sehen.
Unter den Münchener Arbeiten ist Gamps Gekreuzigter jedenfalls die beste und legt von einem gründ-
lichen Körperstudium ein Zeugnis ab, welches leider dem oft rohen Naturalismus der andern abgeht. Auch
der Kopf ist edel und ansprechend, das Ganze spezifisch deulsch. Langs altdeutscher Jäger, der auf einem
erlegten Eber steht, ist wenigstens sehr lebendig und Hirts Andromeda geschickt ausgeführt. Eine recht gute
Büste gab dann Heß vom König Ludwig I. und Roth deren mehrere, von denen die von der Tanns
sehr verdienstvoll ist. Wie könnte übrigens auch eine Kunst in München gedeihen, der es an jeder Auf-
munterung fehlt bei dem wunderbaren Systeme, deffen wir uns erfreuen, wo man die Leitung der sür Bayern
so wichtigen Kunstangelegenheiten als Nebengeschäft betrachtet und schon zufrieden ist, wenn man nur kein Geld
verlangt. Hoffentlich wird man unter dem neuen Regiment doch endlich besser einsehen, daß die Erhaltung
seiner Äunstblüte eine Lebenssrage nicht nur für München, sondern nicht weniger sür das Ansehen und die Be-
deutung ganz Bayerns ist. Jn der Baukunst und Bildnerei längst überholt, sind wir jetzt auf dem besten
Wege, uns auch noch die Malerei entwinden zu lassen, in der wir allein den anderen noch voraus sind. Und
auch das nur wegen einer natürlichen Begünstigung durch geographische Lage und Volksarr, wie sie in Deutsch-
 
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