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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Ahl, Friedrich: Die Büste: Erzählung
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Pecht, Friedrich: Unsere Bilder, [28]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0460

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T>ie Büste. von Friedrich Uhl — Unsere Bilder

das Atelier feucht und dumpf vor. und draußen lachte der
Sonnenschein. Ein Strahl fiel fcharf in die Werkstätte.
Robert blickte nach deiu hohen Fenster; wie lange mnß
das nicht gereiuigt worden fein! sprach er vor sich hin.
Robert waudte sich mir zu; ich hielt eiuen kleinen Veilchen-
strauß iu den behandschnhten Händen. Er sah mich lauge
an. „Papa ist wohl schwer zn treffen?" sagte ich. —
„Warum?" — „Jch dachte, weil Sie der Nase schon
zum drittenmale eine Drehnng nach rechts geben, eine
Richtung, die ich an Papas Nase noch nie bemerkt habe",
antwortete ich altkluges Ding mit echter Naseweisheit.
„Oder haben alle Nasen die Neigung, sich nach einer
Seite hin zu entwickeln?" — Robert hörte halb verblnfft,
halb belnstigt die Worte der kleinen Schulmeisterin. Wie
solch winziges Ding kritisch auftritt, das Atelier gefällt
ihm nicht, die Büste nicht. Hat das Kiud vielleicht Recht?
Nun, das Atelier könnte umgestaltet werden . . . zuge-
gebeu, aber die Nase? Richtig, ich habe wohl überrascht
durch den Besuch, eiuen etwas zu starken Drnck ansgeübt!
. . . Nun, wenn das Kiud wiederkömmt . . . wird es
aber wiederkominen? Kanm, wenn ich fortfahre zu ar-
beiten und das Mädcheu nicht zu beachten. Jch muß
sprecheu. Aber was . . . was sagt man deun Mädchen
dieses Alters? „Lieben Sie das Land, Fcünlein?" rief
er endlich. Vom Eise befreit war die Rede, und ich
stimmte das Lob der Natur an. Jch war stolz, daß ein
Küustler sich mit mir unterhielt. „Komme näher," sagte

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Papa, „wenn Herr Hannold mit meiner Büste fertig ist,
soll er die Güte haben, Deine Hand abznformen! Reiche
ihm Deine Hand!" Jch errötete schuldbewußt und stand
wie festgebanut. Robert schritt auf mich zn, zog den
Handschuh mit eiiiem Griffe von meiner Hand und ge-
wahrte einen niedlich geschwärzten Finger, die Spur
eifriger Morgenbeschäftigung mit einer Stilaufgabe. „Jch
bitte, verraten Sie Papa nicht . . ." brachte ich mühsam
hervor. Robert drückte leicht meine Hand und sagte:
„Jch danke, mein Fräulein! . . . Jch werde diese Hand
mit Vergnügen formen!" rief er Papa zu. Ein kleines
Geheimiiis verbnnd nns und unsere Hände hatten fich
gefunden. Das hat Robert gefreut. Er hörte auf zu
arbeiten, wollte uns das Geleite geben und verfügte sich
in das Nebenzimmer, nm die Kleidnng zn wechseln. Als
er das Atelier wieder betrat, sah er, daß ich an dem
Sockel der Büste den Veilchenstrauß mit cinem Klümpchen
weichen Thones befestigt hatte. . . . Soll ich noch etwas
hinznfügen? Jahre waren vergangen, ehe ich als Frau
des Künstlers das Atelier wieder betrat, in welchem ich
ihm als Kind die ersten Veilchen gegeben. Er hatte mich
erst nach Jahren, als er Papa besuchte, wiedergesehen,
aber gleich erkannt, wie er sagte, das heißt, mich völlig
verändert gefunden; dann war er öfter gekommen, nnd
schließlich als Brüutigam täglich, die Veilchen-Gegengnbe
in der Hand. — Und so befestige ich jetzt immer an den
Werken meines Mannes, die mir gefallen, Veilchen. . . ."

Uinere Bilder
vam Lerausaeber

aß man den schönen Müdchen überall den Vortritt
läßt, ist nicht mehr als billig, geschieht es doch
ebensowohl zu unserm Trost als dem ihrigen. Wir er-
öffnen demuach die heutige Bilderreihe mit der reizenden
Traubenverkäuferin des Engläuders Calderon, deren
Oliven feilhaltende Schwester nnser Blatt schon vor einiger
Zeit gebracht. Beide zieren mit noch vielen anderen den
Speisesaal eines englischen Gentleman, der sich fürwahr
keine anmutigere Gesellschaft in denselben hätte bitten
können. Diese jetzige Schöne scheint nns die vollste Ge-
wißheit zn bieten, daß ihre Trauben nicht etwa zu sauer,
sondern im Gegenteil so süß als möglich seien. Es ist
eine gesunde Naturfrische in dem Kopf; ja ein leise heraus-
fordernder Spott auf den sv schön trotzig geschürzten
Lippen scheint uns zn sagen, daß sie die Süßigkeit der
Früchte sehr wohl selber kennt, die sie euch anbietet. —
Drum ist es denn auch kein Frühling, sondern ein köstlich
reicher Herbst, der da vor euch hintritt, gerade hier ist die
Charakteristik dieser modernen Bacchantin ebenso reizvoll als
ansprnchslos heiter, ohne den sonstigen Answand allego-
rijcher Damen gelnngen. Sie legt denn anch ein üußerst
vorteilhaftes Zeugnis für den gegemvärtigen Zustand der
englischen Kunst ab, zu deren geschätztesten Meistern Cal-
deron mit Recht gezählt wird.
Von der blühenden Gegenwart weg in die Ber-
gangenheit führt uns dann der Münchener Aug ust Holm-
berg in seiner Vorlesung, die ein litterarisch gebildeter
Pater dem Herrn Knrdiual in dessen Privat-Käbinett hält.
Es ist so prächtig reich ausgestattet, daß man gleich an die
Paläste der Colonna, Borghese oder Doria in Rom denkt.
Oie Auust für Alle II

Mit den Evangelien hat das Büchlein, dessen Jnhalt
der Vorleser Se. Eminenz bekannt niacht, offenbar auch
viel weniger gemein als mit Ovid'schen Versen, die der
Mann nnwillkürlich skandiert, während nns das verständnis-
innige Lächeln des am Fenster stehenden Begleiters Sr.
Eminenz deutlich zeigt, von welcher Art von Martyrium
hier die Rede sein dürfte. Der Kirchenfürst selber ist
freilich durch das Zipperlein und die Jahre längst über
alle Versuchungen hinansgehoben und schwelgt beim Znhören
offenbar nur noch in schönen Erinnermigen.
Jndes liegt hier nicht der Schwerpunkt des Bildes,
sondern vielmehr in der außerordenilichen, direkt an die
alten Niederländer erinnernden Wahrheit und dem Reichtum
seines Tons. So vortrefflich die Herren Prälaten auch
wiedergegeben sind, so bleiben sie doch mehr eine witzige
Staffage des prächtigen Gemachs, das uns samt der Vor-
lesnng so recht überzeugend zeigt, wie man im Rom des
vorigen Jahrhnnderts die Armut und Keuschheit verstand,
welche die Diener der Kirche gelobten.
Gleich seinen beideu Vorgängern führt nns auch
Oswald Achenbachs Bild nach Jtalien. Ja sogar
ganz in die Nähe des Stnhles Petri, nach dem ebenso
schön gelegenen als sonst armseligen Rocca di Papa, von
welchem aus nian einer so wundervollen Anssicht über die
Campagna nach der ewigen Stadt und dem Meere zu
genießen kann, wenn man erst einen flohfreien Standpunkt
zu gewinnen im stande war. Meister Oswald scheint dies
geglückt zn sein — freilich nur außerhalb des Nestes selber,
in dessen einzige, steil den Berg hinansührende und von
Schmutz starrende Straße man bei ihm nnr von oben
 
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