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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Voss, Georg: Das Lübecker Geibel-Denkmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0246

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488
Das Mbecker Geibel-Denkmal
Von Georg voß

77Y»ie Aufforderung, welche die Vaterstadt Geibels im
'^'Juli vorigen Jahres ergehen ließ, um ihrem größten
Sohne ein würdiges Standbild zu schaffen, hat die Veran-
lassung zn einer Konkurrenz gegeben, welche mit ihren 42
Modellen die Wettbewerbung um die stolze Aufgabe des
Berliner Lessing-Denkmals um 16 Entwürfe übertrifft.
Es ist das insofern überraschend, als das Standbild eines
Mannes in der bürgerlichen Tracht unserer Zeit jeder
künstlerischen Lösung die größten Schwierigkeiten entgegen-
setzt. Die charakteristische Haltung des Körpers tvird durch
unsere Kleidung verdeckt. Die glatten, einförmigen Tuch-
flächen unserer Röcke uud Hosen scheinen einer künstlerischeu
Gliederuug überhaupt zu widerstreben. Der Versuch, in
der plastischen Darstellung unseres geschniegelten Anzuges
einen wirksamen Gegeusatz von Falteu und Flächen, von
beschatteten und beleuchteten Stellen zu erzielen, raubt der
Figur fast stets die Wahrheit des wirklichen Lebens, odcr
läßt die Kleidung so lotterig erscheinen, daß es uns in
den meisten Fällen peinlich berühren niuß, unsere Dichter
und Denker in solchem Aufzuge in Marmor oder Bronze
verewigt zu sehen. Der rechte Genius, welcher sicher auch
für unsere heutige Tracht den monumentalen Ausdruck
finden wird, ist noch nicht erschienen, und auch in der
gegenwärtigen Konkurrenz wird man vergeblich danach
suchen.
Jn zwanzig Entwürfen, also fast der Hälfte aller
eingegangenen Modelle, ist man der Schwierigkeit der
Aufgabe dadurch aus dem Wege gegaugen, daß man dem
Dichter den herkönimlichen Denkmalsmantel um die Schultern
gehängt hat. Die persönliche Erscheinung des Mannes ist
in den ideal geworfenen Faltenmassen dieses Mantels fast
überall verloren gegangen. Statt einer wahren Charak-
teristik der Persönlichkeit, welche der lebenskräftige Zug der
Kunst der Gegenwart sonst auf allen Gebieten zu erreichen
sucht, hat man eine Reihe von Normalfiguren ausgestellt,
denen für jede neue Konkurrenz nur ein neuer Kopf auf-
gesetzt wird. Die eigenartige Gebärdensprache, welche aus
den Linien der Haltung des Körpers zu uns redet, bleibt
in den meisten Fällen unbeachtet.
Eine rühmliche Ausnahme macht der mit dem I. Preise
ausgezeichnete Entwurf von Hermann Volz in Karlsruhe.
Derselbe hat seinem Geibel allerdings ebenfalls den weiten
Mantel gegeben, doch der Ausdruck der dichterischen Thätig-
keit ist.in dieser Figur recht glücklich gefunden. Geibel sitzt
auf einem Stein oder Baumstamm, also mitten in der
freien Natur, die das eigentliche Lebenselement seines
poetischeu Schaffens bildete. Ganz seinen Gedanken über-
lassen, blickt er sinnend nach oben. Die eine Hand hält
das Buch und den Stift. Die andere Hand ist in dekla-
matorischer Haltung gegen die Brust gelegt. Er scheint
eine Zeile des werdenden Gedichtes vor sich hin zu flüstern.
Doch das alles kommt nur in der Vorderansicht zur Geltung.
Wenn man von der Seite und von hinten herzutritt,
merkt man kaum, daß in den Falten dieses Mantels ein
Mann des 19. Jahrhunderts verborgen ist. Bei einem
Denkmal, das in der Mitte eines verkehrreichen Platzes,
dem Lübecker Koberg,' errichtet werden soll, wird sich dies
recht fühlbar machen.

Ebenfalls sitzend dargestellt ist Geibel in 9 anderen
Entwürfen. Das Komitee hatte in dieser Beziehung
keinerlei Vorschrifteu gemacht, während man erst kürzlich
für die Entwürfe zum Berliner Lessing-Denkmal die
stehende Haltung ausdrücklich zur Bedingung gemacht hatte.
Daß auch hier nur der vierte Teil der Bewerber die
sitzende Haltung gewählt, ist auf jeden Fall cin Zeichen dafür,
daß man die Wirkung einer stehenden Figur noch inimer
für monumentaler hält. Treffliche sitzende Figuren habcn
ferner Hilgers und Echtermeyer geschaffen. Bei Hilgers
ist die Figur durch den weiten Mantel vollständig verhüllt.
Vvn großer Schönheit ist die Stellung des bewegt nach
oben blickenden Kopfes. Der Aufban des Ganzen ist für
jeden Standpunkt vortrcfflich durchgearbeitet. Echtcrmeyer
hat an der Tracht Geibels nichts geändert. Das Plaid,
welches der Dahingeschiedene im Leben so gern getragen
hat, ist leicht und ungezwungen über die eine Schulter und
den einen Fuß gelegt. Die Silhouette, welche sich dadurch
ergibt, ist gefällig. Die Härte der Linien der modernen
Kleidung erscheint gemildert, ohne daß irgend etwas Wesent-
liches versteckt wäre. Durchaus unserem Jdeal des Dichters
augemessen ist der Ausdruck. Geibel blickt träumerisch nach
obeu und scheint selber ergriffen zu sein vou der Schönheit
eines Gedankens, der durch seine Seele zieht. — Die
übrigen Entwürfe mit sitzenden Figuren lasseu deu Dichter
fast sämtlich auf einem Sessel Platz nehmeu. Diese mcist
kunstvoll durchgearbeiteten Fauteuils rufen die Erinnerung
an die Studierstube wach. Diese Erinnerung scheint mir
nicht erwünscht bei einem, der in seinen glücklichsteu Werken
das besungen hat, was sich seinem Auge unter Gottes freiem
Himmel von der Schönheit der Schöpfung erschloß. Zudcm
haben die beteiligten Verfasser fast sämtlich dasür gesorgt,
ihren Geibel so darzustellen, daß niemand in seinem Kopfe
Gedanken vermutet, welche über den Plafond des zu diesen
Fauteuils gehörenden Zimmers hinausgehen.
Unter deu 32 Entwürfen, welche deu Dichter stehend
dargestellt, habeu 15 den idealen Mantel, 4 das Plaid
und 13 Entwürfe die schlichte Tracht unserer Zeit. Die
mit dem II. Preise ausgezeichnete Arbeit von Römer be-
findet sich unter den letzteren. Der Auschluß an die
Wirklichkeit ist in diesem Falle allerdings recht prosaisch
ausgefallen. Der sinnende Ausdruck ist finster geraten.
Den Dichter, deni sich seine ideale Welt in Bildern voll
heiterer Klarheit erschließt, wird man in diesem Standbilde
vergeblich suchen. Der Gewinner des III. Preises, Max
Kruse, hat seiner Figur das Plaid über den Arm gelegt.
Um die Linien auf der Brust malerisch zu gestalten, hat
Kruse die obere Hälfte der Westenknöpfe offen gelassen.
Ein zweiter Entwurf desselben Künstlers, eine Statue mit
dem Mantel, ist von wcsentlich bedeutenderer Wirkung. Unter
den übrigen Entwürfen zeichnen sich durch bemerkenswerte
Schönheit zwei durchaus genrehafte Modelle aus. Berg-
meier läßt seinen Dichter die Hand gemächlich in die
Hosentasche stecken. Durch diese Haltung wird der eine
Rockschoß nach hinten gezogen, so daß sich eine Reihe von
schrägen Falten bildet, die in wirkungsvollem Kontrast zu
den senkrechten Linien auf der anderen Seite des Rockes
stehen. Das Alles ist sehr geschmackvoll augeordnet,
doch die Hand, welche der Nation die Heroldsrufe ge-
 
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