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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Acht Tage in Wien
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Heilbut, Emil: Schweizer Reisebrief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0418

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Z28

Acht Taqe in N)ien. Vem tserausgeber — Schweizer Reisebrief. !)on lserman lielferich

und Angestellte aller Art sehen, wie sie am Sonntag hinausströmen mit ihren Mädchen oder Franen und
Kindern, sich, allen Werktagsjammer rasch vergessend, in den oielen Orten am Wiener Wald lagern, Volksfeste,
Tänze, Schießen, Picknicks improvisieren, um erst einen lebendigen Begriff von der natnrlichen Anmut, der
unerschöpflichen Genußlust, der unverwnstlichen Heiterkeit dieser Bevölkernng zu bekommen! Dabei sind Szenen
plumper Völlerei oder Brutalität viel seltener als in München. Ebenso sieht man nichts von der Verhetzung
und dem Jngrimm der Arbeiterbevölkerung gegen alle anderen Stände, wie in Berlin. Der Österreicher ist
im ganzen weit harmloser als der Berliner oder Münchener, und im Grund eine gute, kreuzfidele Haut voll
Mutterwitz nnd Vergnügnngslnst. Die natürliche Grazie und das gewandte Benehmen, der gnte Geschmack der
Frauen, die köstlich neckische Frische der Mädchen und Kinder thnn dann das Übrige, um solch' einen Sonntag
auf dem Lande bei Wien zu einem wahren Genuß zu machen, da man überall Mnsik, Gesang, fröhliches Lachen
hört, glückliche ganz dem Genuß der Stunde hingegebene Menschen sieht. Dem Maler aber bieten sie schon
dnrch die große Mannigfaltigkeit der aus allen Ländern der Monarchie zusammengeströmten Bevölkerung die
prächtigsten Motive anf Schritt nnd Tritt.
Man schwatzt immer vom herrlichen römischen oder venezianischen Volksleben und übersieht, daß dies
wienerische sich mit jenem mehr als messen kann. Daß das die heutigen Wiener Künstler nun endlich auch
zn entdecken anfangen, das kann zur größeren Gesundheit ihrer Schöpfungen nur mächtig bcitragen nnd so
wollen wir dieser jungen Schule denn anch alles Gltick wünschen, wenn sie endlich das Schöne in der Nühe
snchen und sehen lernt. Den Wienern überhanpt aber kann man nnr zurufen: Werdet dentsch in allem und
jedem, denn daran hängt Enre Zuknnft! Nnr wer sich selber treu bleibt, hat auch Macht über andere!

Schweizrr Reisebrief
von Dermüil Lielferich
(Hchluß von S. 3(2)

on neuerer Malerei sieht man III Basel dagegen
einige schreckliche Proben, Sachen, die aus helvetischem
Geschichtsinteresseentstanden sind nnd die man ans patriotischem
Fenereifer wohl begreifen nnd verzeihen, aber niemals loben
wird. Etliche Winkelriede, oder Hans- von- Hallwyle,
der eine primitiv antodidaktisch, der andere nach Lessing-
schem Rezept, jedensalls sehr im Sinne der Bnrger, von
respektablen Aiistrcngiingen und die Herreu Künstler von
den besten Absichtcn durchdrungen zeigend, das muß jeder
Jfachruf sagen.
Auf einem andern Felde bethätigt sich die Mittel-
mäßigkeit ebenso unglücklich: wenn sie sich Böcklin zuni
Muster nimmt. Man sieht ein Bild von einem Theodor
Preiswerk; Gefunkel der Sonnenstrahlen in der Land-
schaft, helles und dunkles Grün, Nymphen in Dnnkelblau,
Rauschen eines Baches — Aggredienzien, Böcklin'sches
Material, aber kein Werk. Es gibt keinen Meister, den
iiiivollkommen nachzuahmen so gefährlich wäre, denn Böcklin
ist einzig, als Jndividnalitnt genommen.
Der französische Pseudoklassizismus tritt in dem Bilde
von Gleyre auf, wo Pentheis von den Mänaden verfolgt aus
der linken Seite — inan möchte sagen der Bühne — auf
die rechte eilt; immer im Vordergrund, immer vor den
Lampen und in der Nähe des Souffleurkastens bleibend,
bei allem Gezeter nnd Augenrollen. Die Hände sind
gestreckt bei diesem Jüngling, wie bei denjenigen Opernhelden,
die die Ringe an ihren Fingern vor dem Pnblikum glänzen
zu lassen wünschen, und seine Zehen hat er im behenden
Laufe so elegant abwürts gestreckt, wie nnr irgend ein
schöner priino tenore, der sich beim hohen O anf die
Fußspitze zu heben nicht nnterlüßt, wenn er glorivs das
Heldenschwert schwingt. Lrnvo I'sll'et!
Wir sind aus dieser hohlen pathetischen Knnstan-
schauung glücklich heraus und viel näher als diese Aus-
geburten des geschrobenen akademischen Stils stehen uns

die naiven Alten. Wie entzückend ist nach solchen Pro-
duktionen die kindlichanmntende Einfalt der Zeit des Hans
Baldung Grün von dem wir in der Galerie ein
Bild des Todes sehen, der eine Frau, die weinend ihm
die Hünde entgegensaltet beim Schopfe packt nnd auf ihr
Grab deutend (die gemalten Worte) spricht: „Hie mußt
du in!" Mir neu war das Talent des Tobias Stimmer,
der bei nicht grade hervorragendem Können eine tüchtige
Charakteristik zeigt in seinem Porträt des Jakob Schwitzer,
fürwahr ein rechter Schwitzer, nnd ebenso bei dessen Frau
Barbara, geb. Lochmann, sich seiner Anfgabe mit großer
Unbefangenheit erledigt. Einige Bronwer sind da: als ob
sie vorgestern in der Diezschule gemacht wären; denn sie
sind Skizzen nnd die Diezschnle hätte sie darum noch nicht
wieder verderben können.
Nun aber znm Böcklin. Wir haben sechs große
Bilder von ihm hier: „heroische Landschaft mit einer
Jagd der Diana"; „Brustbild einer römischen Dame";
„Magdalena's Traner über den Leichnam Christi"; „Kampf
von Centauren"; „Opferhain bei einem Tempel" nnd
schließlich das neuerworbene bunte, dessen Namen noch kein
Katalog verzeichnet und das man gewissermaßen die See-
krebse benennen könnte.
Die heroische Landschaft mit der Diana zeigt, daß
selbst Böcklin langweilig sein kann! Und es ist nicht ein-
mal die — sit vsnin vsrdo — heilige Langeweile der
Jugendwerke, eine Langeweile, welche im Schatten seines
Lehrers Schirmer gedieh und sich bis zn Poussin erstreckte,
. . . bei Schack sieht man einen Böcklin von dieser
Schirmer-Ponssinmethode .. . sondern es ist leider eine ganz
traurige und banale Langeweile, cine Farbengemeinschaft
wnnderlicherweise mit Makart, mit einem schwächlichen
Makart aber! und man fragt sich erstaunt, wie Böcklin dazu
kommen konnte, die Originalität dieses Bildes von Böcklin
ist einzig die, unoriginell zu sein. Weiter: „Brustbild
 
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