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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Wolf, August: National-Kunstausstellung in Venedig, [3]
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Paetus: Dresdner Kunst-Zustände
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0361

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National-Äunstausstellung in Venedig. l)on A. Wolf — Dresdener Aunst-Zustände

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des Urbano Nono die bedeutendsten. Obgleich erst seit
knrzer Zeit der Kunst gewonnen, hat dieser junge Mann
mit einem Sprunge hervorragende Bedentung erlangt,
durch die Durchbildung der Form sowohl, als ganz be-
sonders durch den packenden Realismus seiner Darstellungen.
Seine größte Arbeit zeigt uns einen am Bodeu ausge-
streckten ans Kreuz gebundenen Verbrecher in fast doppelter
Lebensgröße. Sein Steinschleuderer ist von früher her
bekannt und durch einen Preis gekrönt. Er ward von
Mißgünstigen für Naturabguß gehalten, was nun den
Künstler veranlaßt hat, in starker Lebeusgröße oder über
dieselbe hinaus zu arbeiten. Die prächtige Gruppe eiues
alten blinden Bettlers niit Veteranenkreuz an der Brust,
von seiner zuiammengebrochenen Tochter begleitet, auf eiuem
Steine sitzend hat er „Belisario" genannt. Es ist ein
tiefergreifendes Kunstwerk. Jn einer Versuchung Christi
tritt das Dämonische des Verführers sehr wirkungsvoll zu
Tage. — Michieli Venedig hat eine schöne Verspottung
Christi ausgestellt. De Paoli das „Opfer der Spiel-
wut". Das Hazardspiel, in einer frechen weiblichen Ge-
stalt personifiziert, triumphiert über einen Jüngling, der sich

soeben den Tod gegeben. —Dalzotto modellierte einen
Narzissus mit süßlich-lächelndem Kopf und so unangenehmer
Wahrheit in der völlig nackten Gestalt, daß einzelne Teile
direktem Naturabgusse gleichen. Von Ettore Forari
sahen wir einen Ovid, Kolossalstatue, sehr schön, aber all-
zu direkt an römische Togafiguren erinnernd. — Natür-
licherweise fehlt es in dieser Ausstellung wie in keiner an-
deren italienischen an Werken der Plastik, welche Tollhäusler-
launeu entsprungen zu sein scheinen. Ebenso natürlich ist
es, daß fast alles gut gemacht ist und an Kenntnis des
Handwerkes die Bildhauer Jtaliens die Maler vielleicht
übertressen. Es lohnt sich jedoch nicht aus der immerhin
großen Anzahl der Figuren und Figürchen einzelnes her-
vorzuheben. Höchst selten finden wir eine Figur, die ein
feiues tiefes Gefühl oder Kenntnis der plastischen Fun-
damentalgesetze verriete. Viel hübsches, aber nichts bedeu-
tendes.
Die ränmlich und sachlich bedeutende Abteilung der
Kunstiudustrie wird die Besucher der Ausstellung ent-
schädigen für das, was die Plastik nicht vollkommeu ge-
halten.

Dresderrer Kunst-Zustande

Dresden, 11. Mai 1887
Sehr geehrter Herr Redakteur!
(^llhre längereu Aufsätze aus Dresden haben uns hier
sehr wohl gethan; eine so frische Beurteilung unseres
alteu Nestes dringt fast wie ein Hoffnungsstrahl zu uns,
die wir verdammt sind, in diesem einschläfernden Dunst-
kreise zu leben. Verstatten sie auch den folgenden Klagen
und Schilderungen ein Plätzchen. Vielleicht sind sie geeignet,
von Dresden und seinem Kunstleben ein richtigeres Bild
zu geben, als man sich gemeinhin davon macht.
Nirgends wird so viel von Staats wegen für die
Kunst gethan als in Sachsen, nirgends ist so wenig wahre
Kunst zu finden, als hier. Woher das kommt? Der
Zopf, der Schlendrian, die schlechte Presse, das Chinesen-
tum, die Leisetreterei: Bliemchen an allen Ecken und Enden!
Nehmen Sie die Akademie her: sie krankt an allem,
was Lindenschmit so geistvoll auseinaudergesetzt hat, in
höchstem Maße. Die Einheit der Lehre sehlt, es sehlt die
Einigkeit uuter deu Professoren, überall herrscht Partei.
Pauwels wurde aus Weimar berufen; man erwartete von
seiner Thütigkeit den wohlthuendsteu Einfluß. Aber alle
seine auf Naturstudium gerichteten Neuerungen hat er
Schritt um Schritt erkämpfen müsseu. Von allen Seiten
hat man ihn getrieben, um ihn hübsch zu assimilieren.
Er berief Pohle zu seiner Unterstützung nach Dresden.
Pohle trat zur Gegeupartei. Ergebnis: der Vorsteher des
Malsaals und der Vorstaud des ersten Ateliers für
Historienmalerei bekämpfen einander in der Schule. Wo
bleibt da die Kunst? Professor Hähnel ist der Stolz nnd
Ruhm Dresdens seit 50 Jahren. Er, der Meister,
brauchte wenig Natur zu seinen Schöpfungen, sein gewal-
tiger Schönheitssinn wies ihm die richtigen Wege. Aber
er zieht daraus den Schluß, daß auch der Schüler
aus seiuem Eigenen schöpfen müsse. Und wenn er kein
Eigenes hat? Da hilft nur die schleunige Flucht in ein
anderes Atelier oder in eine andere Stadt vor der Kon-
Dre Runst für Alle II.

vention, vor der Manier, vor der Unnatur. Professor
Schilling hat durch seine letzten künstlerischen Thaten seinen
Ruhm nicht gemehrt, falls ihn nicht das König Johann-
Denkmal erueuert. Schilling zeichuet sich übrigens dadurch
vorteilhaft vor Hähnel aus, daß er auf die Gedanken
seiner Schüler eingeht, während dieser alles Nichtklassische
rücksichtslos unterdrückt und den Schüler eher entläßt,
als daß er seiner Jndividualität irgend welches Recht
zugesteht. Dagegen fördert Hähnel die, welche zu seiner
Fahne schwören, iu der thatkräftigsten Weise.
Daß Professor Grosse als Vorsteher eines Ateliers
für Historienmalerei an der richtigen Stelle stehe, behauptet
hier niemand. Er ist ein überaus tüchtiger Vertreter der
klassischen Richtung und hat erst jüngst durch seine Madonna
bewiesen, wie lebensfähig seine eigene Kunst ist. Jndes
der Schüler kann nicht seine Wege gehen, seine Farben-
gebung ist der Vergangenheit zugewandt und unterscheidet
sich grundsätzlich von der Pohles, des Vorstehers im Mal-
saale. Prof. Grosse, der ein so hohes Schönheitsgefühl
für Linienführung besitzt und so schön zeichnet, sollte die
hohe Selbstentäußerung besitzen, Lehrer im Zeichensaale zu
werden. Welche Befriedigung kaun es ihm gewähren, sein
Meisteratelier verödet, sich selbst ohne Einfluß auf seine
Malschülcr zu sehen? Es ist geradezu unmöglich, daß er
die geringste Freude an seiner Lehrthätigkeit als Maler habe.
Daß sich in der Gip sklasse die Prof. Scholtz, (der
mit so feinem Sinn für Farbe begabt ist), Hofmann und
Gonne ablösen, und daß dies ebenso im Zeichensaale die
Prof. Schönherr, Kriebel und Walther (alle
ältester Schule) thuu, wird nach den Auseinaudersetzungen
Prof. Lindenschmits niemand als einen gesunden Zustand
bezeichnen wollen. Auch Prof. Gey steht trotz aller Tüch-
tigkeit iu der Naturklasse kaum an der richtigeu Stelle.
Wir dürfeu nicht verschweigen, daß in den akademischen
Einrichtungen in den letzten Jahreu, meist durch Pauwels'
Anregung, manche Besserung eingetreten ist, so das ana-
tomische Zeichnen, die Komponierklasse; indes das sind nur
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