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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Heilbut, Emil: Studie über den Naturalismus und Max Liebermann, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0291

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II. Iahrgang. Lefl ^

Mai;s§7



E Kercrusgegeöen von ArüeörücH 'MechL

„Die Kunsl für Alle" crscheint iu lialbmoimtlichcn Hesren von Ii/-—2 Bogen rcich illuslricrten Tcxtcs und ca. 4 Bitdcrbeilagen in llmschlag. Aboimcmcntspreis im
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Studie über deu Naturalismus und MaX Liedermann
von Lerman Belferich
(Fortsetzung aus Heft L4)

4.
— Und wie? mail will dekretieren, das Häßliche
allein wäre das Erhabene, nur das Traurige oaseinsberech-
tigt, nur Holzschuhe wären schön, nur arme Laudschasten
iutim, uur schnurgerade Chausseeu uicht trivial? Jch
schätze mich glücklich, vorläufig uur Biograph zu seiu und
unterdrücke seden Monolog.
Liebermann, nachdem er für einlge Zeit seinen Auf-
enthalt in Müncheu genommen (es inspirierte ihn natür-
lich zu einem „Biergarten"), ist dann nach Berlin zurück-
gekehrt, um sich zu verheiraten, lebt sehr glücklich, freut
sich seines Töchterchens, geht jeden Sommer in ein kleines
holläudisches Dorf, studiert dort, was er kann, vollendet
danach im Winter seine Werke, was er weniger kann,
leidet kraft desseu au der Künstlerkrankheit permanenten
Unbefriedigtseins, arbeitet aber trotzdem und schafst weiter:
man kann vor seinem künstlerischen Charakter nur Hoch-
achtung hegen. Und wenn im Anfang diejer Studie von
Nihilisten und Anarchisten Zolas die Rede gewesen ist,
zwar nur in Bezug auf die gevmetrische Neigung für
Wasserlandschaften, so ist das nicht ganz und gar unsym-
bolisch, denn auch Liebermaun — der artiftische Lieber-
manu — hat etwas intransigentes, ist der vorspringendste
der deutschen Naturalisten, unbezwungen, ungebändigt, nie
glatt geworden und eingefangen, wie die anderen es denn
doch, alle, alle, leise, stetig, allmälig zu werden scheinen.
Er wird nicht zahm. Uud die Malart, die er zu seinen
Diensten hat, ist auch so herbe, ungeschlacht und furios,
daß die Fahnenflucht ihm, selbst wenn er wollte, kaum
gelingen würde. Wir aber dürfen uns sreuen, ihn als
einen der uusern zu besitzeu, denn seine Aufrichtigkeit und
Liebe zur strikteu Wahrheit, ja sein Mangel an Geschick-
lichkeit ist eine erfreuliche Nüance in der so schillernden
Welt der deutschen Maler, Liebermaun zeigt ein Profil
her, und er wird, glaube ich, noch einmal in die Historie
kommen, wenn jene, die nach rechts einschwenkten, längst
vergessen sein werden mit ihrem Verwischen und Akkomo-
disieren, die schmiegsamen Leute, die Hagcrolles.
Dre Kunft für Alle II.

5.
Aber auf der andereu Seite teilt Liebermaun auch
uicht, was mau die Charlatanerie des Daguerreotyps
uennen könnte; die Diuge in der Unbeweglichkeit des
Modells vor eiu schwarzes oder weißes Blakt zu setzen
pnd nun zu sageu: seht. Aus seinen Bildern spricht
mehr, spricht eine lebhafte Hofsnung. Die Ruhe der
Natur wünscht er wiederzugeben, doch uicht eine Starre,
darin sie, bequem zu beobachteu, für das Parterre von
ABC-Schützen des Naturalismus daliegt. Seine Bilder
sollen Odem haben. Das Jnnere der Natur und was
in ihr latent liegt, will er herauskehreu, die Natur soll
sich atmend, bewegt geben, auf dem, was er malt, das
Wehen des Windes sich wieder auf seinen Bildern ein-
stellen. Dies ist die Hoffnung seiner mutigen Bilder,
die jugendlich, erfreulich keimend aus ihnen heraustönt:
nicht, daß sie, und gar stets und ganz, auch in Erfüllung
ginge. Aber ein so lebendiger Hauch von Naturgefühl
durchweht alles, was er hervorbringt, ein so kerniger Zug
zeigt sich darin, ein so mannhaft schöner Wille beherrscht
es, daß wir ihm gut Freund werden müssen: ihm und
den Gestalten, die er schafft.
Alte Frauen im Alleinsein, in kahlen Stuben brü-
tend, durch deren geweißte Wände und große Fenster-
scheiben mau iu eine weißlich-grünliche Landschaft hinaus-
sieht, Handwerkerzimmer, Weber, Schuster, knochige magere
Menschen, Jnvalidenbilder, Netzeflickerinnen, Konserven-
macherinnen, Wäscherinnen, Plätterinnen, die große
weiße Laken auf grüne Rasenflächen breiten — welcher
Farbenakkord Liebermann angehört und den er sehr leicht
und frisch zusammenbringt — liebt er; ebenso Sonnenflecke,
auf Sandboden, Landschaften in der Andeutung, rote
Ziegelflächen, graue Lüfte, alles sich erst Entwickelnde, Rei-
fende, Rauhe: Felder, Ackerkrume, Jäten und Aufschau-
feln. Was an schöne Linien gemahnt, schlägt ihn in die
Flucht, Berge, panoramenreiche Blicke mit Durchsichten und
Verschiebungen, wo ein Fluß in anmutigen Windungen
2S
 
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