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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Personal- und Ateliernachrichten - Denkmäler etc. - Ausstellungen, Sammlungen etc. - Vermischte Nachrichten - Kunst-Literatur und vervielfältigende Kunst - Vom Kunstmarkt
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22H

Aunst-Litteratur und vervielfältigende Aunst — vorn Aunstmarkt

höchst eigentümliche Erscheinung, daj; derartige ernste Ubungen
austcr Kurs gesetzt sind, erklärt sich, >ve;m man weiß, daß die
naturalistische sog' Schule das Dogma aufstellt und auf ^od und
Leben vertheidigt, daß man nnr die Natur, lvontit die Äußerlich-
keiten des zufälligen Modells, also Haut, F-ell uud Gewand-
fetzen gemeint sind, nachzuniachcn branche, nnd daß damit eben
alles schon abgethan ist. Diese „Schnle" huldigt, mit Heine zu
reden, durchaus „dem Genie, das sich nicht von der Natur ent-
fernt hat, sich nicht mit Gelehrsamkeit briisten lvill, und wirklich
anch nichls gelernt hat", also natiirlich auch von dem Organismus
deS menschlichen Körpers nichts zu wissen braucht. Zu dem Be-
hufe richtet man schon vorweg das Arrangement zweckmäßig so
ein, daß möglichst lvenig von irgend einem Körperteil zu sehen
ist; daß iiberhaupt manchmal die Hände nicht direkt zu umgehen
sind, ist und bleibt allerdingS eine äußerst mißliche Sache. Sollte
aber nun gar einmal ein Stiick Schenkel oder Fnß, oder ein
Arm aufs Bild müssen, nun so gibt der photographische Apparat
das Gewiinschte mit der natürlichsten Lrene nnd trägt man dann
diese treuesie Natürlichkeit mit der Rnhe eines guten GewissenS,
da ja Natur immer Natur ist nnd bleibt, wie der Nasenkrebs
und die Cholera auch Natur und Wahrheit sind, auf die geduldige
Leinwand. Alles llbrige bedeckt der Mantel des Kostüms, d. h. der
trägen Bequemlichkeit, und wenn ja eine große Lücke im Bilde ent-
stehen sollte, da helsen die „Stillleben" immer aus. Körper brauchte
man nur unter der eisernen Zucht der historischen Richtung, die
nun, welches Glück! mit allen ihren Mnskelmanieren ins alte Eisen
gewandert ist. Die Ansriistung der neuesten Schule besteht, ivas
fachwisseuschaftliche Bildung anlangt, darin, daß man betreffs des
neuesten Chlinders und Schlipses „auf der Höhe sei", und daß der
neueste Roman von Zola auf dem Modellsopha liege. F-ür
andere Leute aber, die unter Kunst nvch etwas anderes verstehen
als das kindische Abmalen irgend eines Modelles, hat sich von
je die womöglich weitgehendste Kenntnis des menschlichen Körpers
als erste Grundlage aller ihrer Arbeit zum Zwecke wirklich
fceien, echt künstlerischen Schaffens als selbstverständlich ergeben.
Denn wer es hier mit der Sache, d. h. der Form, ernst nimmt,
der weiß, daß diese nicht mit der Nachahmung der Glätte oder
der Runzeln der Haut, sondern zuerst mit der Erkenntnis dessen,
was unter ihr ist, sicher erreicht wird. llnd je größer die geistige
Begabung und je genialer das künstlerische Konzeptionsvermögen,
je gründlicher ivird man sich die umfassende Kenntnis der Gesetze
der Natur angelegen sein lassen. Die größten Meister der Kunst
sind stets auch die forinensichersten gewesen, ob Händel, Mozart
und Beethoven, ob Aeschylos oder Schiller, ob Phidias, Rubens
oder Cornelius, das ist in aller Kunst ganz gleich und bei
Michelangelo hat sich das Studium der Tlnatomie — wie bei
anderen das Kartenspiel — zu einer sörmlichen Leidenschaft
herausgebildet, die mit den Jahren, anstatt sich zu legen, immer
mehr zunahm. Er sah nur in der Hand, die dieses Apparates
sich unumschränkt bedienen kann, eine dem Geiste gehorsame
und so einzig taugliche Hülse. Er vertieft sich darum in diese
Wissenschast mit unzähmbarem Eifer, weil ferner der von der
Natur bei der Menschengestalt verwendete Apparat znr Erreichung
der kompliziertesten Bewegungen nicht nur ein sehr praktischer,
sondern, objektiv betrachtet, obendrein noch ein Wunder von wahr-
hast künstlerischem Stil und architeklonischer Schönheit wie pracht-
vollster Mannigfaltigkeit ist, den das geschulte Auge bis in seine
geheimnisvollen Einzelheiten hinein mit immer wachsender Be-
wnnderung und staunendem Entziicken betrachtet. Nm nun
in das gründliche Verständnis dieses Wunderbaues, des Haupt-
themas aller kiinstlerischen Schöpfung, den Wisiensbediirftigen,
der sich nicht mit jedem Striche blamieren, sondern seinen Werken
Stichhaltigkeit verleihen will, einzufiihren, hat die Neuzeit kein
geeigneteres Werk hervorgebracht, als Kollmanns „Plastische
Älnatomie". Wer das Glück hatte, den klaren und zugleich an-
regenden Vorlesungen dieses bedeutenden Mannes und seinen
insiruktiven Demonstralionen an Skelett, Präparat und lebendem
dlkt folgen zu dürfen, der mußte wiinschen, das in diesen schönen
und genußreichen Stnnden Vernominene fiir immer dem Gedächt-
nisse erhalten zu wissen. Das ist mit vorliegendem Buche in
umfangreichstein Maße geschehen. AlleS ist gethan, nm dem
enisten, deshalb den Stümper abschreckenden, weil auf den ersten
Anblick trockenen Gegenstande bei aller wissenschastlichen Schärfe
und Vermeidung aller unnützen Gelehrtenweitschweifigkeit den
stets wirksamen Zauber sich immer erneuernder Anziehnng zu
verleihen, die aus dem Drange nach Eriveiterung und Vertiesnng
unserer Erkenntnis beruht. Überall ist das Wesentliche, um das
es sich für deu bildenden Künstler handelt, deutlich und klar mit
aller Präzision, mit steter Beziehung auf Leben und Kunst ge-

geben, wozu übrigens anch die gewählten Abbildungen, die aus
Michelangelo und den borghesischen Fechter sich zumeist beziehen,
und weil glücklicherweise nicht malerisch behandelt, in ihrer scharfen
Zeichnung sich dem Gedächtnisse einzuprägen vermögen, ein wesent-
liches Stiick mit beitragen. Jeder Abschnitt, ob über Skelett,
dessen Struktnr und Gelenkmechanik, oder über Muskel und
Sehnen, ist mit klassischer Beherrschung des Stoffes zum Zwecke
größtmöglichster Veranschaulichung des Zusammenhanges und
-wirkens der zum Menschen sich vereinenden und ihn bildenden
Stoffe und Kräste mit einem Geiste und einer einfachen Sprache
geschrieben, wie man diese iin Bereiche der exakt-naturwissenschaft-
lichen Fachschriften der Ikeuzeit kaum zum zweitenmale finden
dürste. Dieses Buch, griindlich ohne Weilschweifigkeit, belehrend
ohne Trockenheit, erschöpfend ohne zu ermüden, geistvoll und an-
regend ohne zu prahlen, wird dem Leser oder, besser gesagt dem
Studierenden, um so lieber werden, je mehr er sich mit dessen
Fnhalt, der dem Kiinstler absolnt das Wissenswiirdigste aus der
ganzen Welt ist, vertraut gemacht. Es wird ihm um so teurer,
wenn er eS nicht blvß auf dem Zeichentische vor sich liegen, son-
dern sich möglichst so in den Kopf gebracht haben wird, daß er in
demselben keine ihm sremde Stelle mehr entdecken kann. Wenn
der große Anatom Hhrtl wiinscht, „daß ein gnt bereitetes Skelet
ein friedlicher Mitbewohner jeder medizinischen Studierstube sein
soll, dessen stumme Gesellschaft niitzlicher und dessen Umgang be-
lehrender werden kann, als jene eines lebendigen Kontubernalen",
so ist das Gleiche betreffs des Kollinann'schen Buches zu wieder-
holen. Der Nutzen dieser täglich zu übenden Lektüre wird sich
sofort an deu Arbeiten des Lesers selbst bemerklich machen.
Ganz dieselbe Bewandtnis hat es mit dem „Polyklet" des alten
Schadow. Der berühmte Bildhauer hat auf die Herstellung des
Werkes, welches er zunächst wohl zu eigener Belehrung gezeichnet
und geschrieben, die Arbeit eines ganzen und zwar sehr langen
Lebens verwendet, wobei er wohl eingesehen, welch ungeheueres
Fördernis auS dem gewissenhaften Studium der Verhältnisse des
menschlichen Körpers dem Kiinstler erwachse. Worin der große
Wert des Werkes besteht, das wird dem gereiften Manne ein
Blick auf diese Tafelu, die als ein unverbrüchiicher Canon in jeder
Werkstatt der Kunst an der Wand hängen solllen, lehren und
der Schüler wird sie mit dem nötigen Respekt als auswendig zu
lernende Paradigmen jeden Tag sich zu Gemiite sühren müssen.
Zwar macht weder die vollkonimenste Kenntnis der Anatonlie
noch die genaueste Beobachtnng der Verhältnisse den großen
Künstler und bringen diese Hülsswissenschasten ailein weder eine
sixtinische Decke, noch ein jüngstes Gericht in der Ludwigskirche,
noch auch eine Hunnenschlacht zu wege. Wer aber das Zeug zuni
Künstler überliaupt in sich fiihlt, der wird es alle Stunden mehr
einsehen, lvie man ohne diese erwähnten Kenntnisse absolut nicht
durchkommt. Und bringe man es auch mit Anatomie und Ver-
hältnisgenauigkeit zu keinem Thorwaldsen, Velasquez oder Feuer-
bach, so wird man dadurch weuigstens zu einem ehrlichen und
gewissenhaften Menschen, der sich und andere nicht belügen will
und sich und der Welt, ob mit F-arben oder Strichen, gilt gleich-
viel, etwas vorzuflunkern, sich siir viel zu gut und voruehm hält.
Wichard ^auk
-r Das „Gretle von Strümpfelbach" führt uns Herr
Ndolf Wechßler in seinen „Sagen und Schwänken" ueben
vielen anderen Schwäbinnen, von Emil Klein gar nicht schlecht
illustriert, vor (Stuttgart, Rob. Lutzj. Durch ihren derben, ge-
sunden Humor, der uns Deutschen nun einmal immer viel beffer
gerät, als alle Vornehmthueret, erquicken diese poetischen Erzäh-
lungen in hohem Grade.

Vom Kunstmarki
vm Durch Bangel in Frankfurt gelangte am 7. und
8. März eine Anzahl bedeutender Gemälde moderner Meister
unter den Hammer. Der Gesamterlös betrug 32,853 Mk. Die
höchsten Preise erzielten ein Studienkopf von Defregger mit
2300, Tenners „Nordseestrand" mit 1000 und Todts „Liebes-
erklärung" mit 890 Mark.

vtcdaitionsschruß diescs Kettes: 1. Äxril — Kusgaöe: 1S. Kprik

Inbalt des vicrzebnten Lektes: Uert: Herman Helserich. Studie
üdcr den Naruralismus und M. Liebcrmaun — O. BrandeS. Vor dem
Salon — Ed. Daelcu. Wilhclm Busch — Unsere Bilder — Kunstuotizen 2c.
— Mi5derbertagen: Max Licbermann, Waisenmädchen — THomas
Fae^, Aus der Hand in den Mund — W. Räuber, Zur Jagd. — F.
v. Uhde, Ter Leicrkastenmann kommt

Redigiert unter verantwortlichkeit der Verlagsanstalt für Aunst und wissenschaft vorm. Fr. Bruckmann (vorstand: A. Bruckmann)
 
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