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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Unsere Bilder, [24]
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Aus Rom
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Unsere Bilder — Aus Rom

zu Gebote steht, da sie mit einem Herzensreichtum ver-
bunden erscheint, der jenen gewöhnlich ganz abgeht und
den man freilich durch Luftreflexe so wenig ersetzen kann,
als durch nüchterne Spekulation.
Der ganze Jmpressivnismus paßt überhaupt mehr für
die Landschafts- als die Figurenmalerei, für das, was keine
Seele hat. Bei den Buchen und Eichen genügt auch eine
gesunde Beobachtung der Natur, wie sie uns Flickels preis-
gekrönte Baumlandschaft zeigt, aus der ein frischer Naturalis-
mus uns nervenstärkend aniveht. Und selbst hier ist es
die unbestreitbare Großartigkeit der Ilussassung dieser Bauni-
gruppe, die uns vorzugsweise besticht, ein wie kecker Realist
der Maler auch sei, so hat er doch ein gutes Teil der
eigenen Persönlichkeit in diesem Bilde niedergelegt, das nns
gerade darum noch viele folgende gute verheißt.

Aus 6om
er im alten Rom über neue Kunst schreiben will, der frage
vor allem bei den Toten an. Nicht etwa weil diese fiir die
Lehrnieister der Lebenden gelten. — Mit solchen veralteten Ilber-
lieferungen hat man im Königreich Jtalien, Gottlob! gebrochen.
Wer wollte auch von ihm verlangen, daß seine Erinnerung über
seine Geburt hinausreiche? Daß diese aber ins Jahr 1859 sällt,
wissen wir alle.
Was Wunder, wenn in einem so jnngen Staate uud seiner
noch jüngeren Hauptstadt die Politik vorerst noch das große Wort
führt und leidenschaftliche Ausfälle auf alles, was mit den früheren
Zeiten in Verbindung steht, den Ton angeben?
„Was gewesen, war nur ivert, daß es vergehe." — So
lautet das Credo fast eines jeden modernen JtalienerS.
Dementsprechend datieren alle Bestrebuugen und Unter-
nehmungen im jetzigen Rom etwa ebensv vom Einzug der italienischen
Truppen am 20. September 1840, wie Noah nach der Süudslut
die Vorkommnisse seines weinseligen Lebeus vom Landen der Arche
auf dem Berge Ararat nüt seiner Sippe berechnet haben mag.
Dazu geniigt ein Blick auf Neu-Nom. Himmel, welche
Würfelphantasie waltet über diesen öden Mietkasernen, die gleich
Pilzen nach allen Richtungen der Windrose aus der Erde schießen!
Gestern noch schlugen dort die Nachtigallen im Schatten hundert-
jähriger Parkanlagen, standen edle Marmorbiider simiend in offenen
Hallen und saßen heitere Menschen unter den Schnörkeln einer
mutwilligen Rokoko-Laune bei Wein und Gesang, wo jetzt die
Karren ächzen uud die Pferde stöhuen! — Was Gesundheits- und
Verschönerungskomniissionen auderwärts mit schwereu Kosten und
Mühen eiu- und aufsühren, das wird hier fröhlich mit Stumpf uud
Stiel vernichtet.
Wagt hie und da ein Einheimischer den von Freniden geäußcrten
Bedenken beizupflichten, so beschränkt sich sein Tadel gewöhnlich
auf die Gefährdung der ältesten Banreste aus der fast mythischeii
Zeit der Targuiiüer! Denn noch hält, wie gesagt, der politische
Haß alles historische und künstlerische Verständnis dermaßen in
Banden, daß die Zerstörung dessen, was unter den Päpsten
entstanden, diesen Patrioten sogar verdienstlich scheint. — Welche
Juwele der Baukunst sind so schon verschwundcn!
Wo bleiben aber meine Lvten, aus die ich mich am Eingang
berufen? Ohne Hyperbel nannte ich sie, denn was fingen die
Lebenden vhne sie an? Jch meine vor allem die Bildhauer, deren
Zahl in Jtalien Legion ist. — Hat der eine tote Viklor Emanuel
seinen knetenden und meißelnden llnterthanen nicht bereits mehr
zu thun gegeben als während seiner Lebenszeit? llnd Garibaldi?
und Mazzini? — Wie erfolglos plagen sich die arnien Teufel von
Bildhauern vollends an der schmächtigen Gelehrtengestalt des
letzteren ab, um statt eines plastischen Eindruckes schließlich doch
nür die eigene schöpferische llnfähigkeit zum Ausdruck zu bringen,
wie in jeder Denksäule des Costa zu Genua.
Sonst sind die Friedhöfe das eigentliche Feld für die reich
entwickelte bildnensche Thätigkeit in Jtalien. Denn anders gestaltet
sich der Totenkullus unter dem blaueu Dome des siidlichen Himmels
als unter unserem nordischen Wolkenbaldachine; anders sind dort
die Ansprüche der Lebenden und der Toten. — Das feine Weben
der Natur in Blatt und Blüte, das uns entziickt und wonüt wir
am liebsten die Ruhestätten unserer Berstorbenen schmücken, läßt

den Jtaliener unberührt. Dagegen liebt er Festgepränge, Pomp
und Prunk. Wie er ihm im Leben mit vergoldeten Möbeln,
Mosaik und Marmortischen in seinen eisigen Empfangsräumen
huldigt, so thut er es noch im Tode mit Anordnen eines kostspieligen
Monumentes für seine morschen Gebeine. — Dazu ein Klima,
iu welchem die feinste bildnerische Zierrat furchtlos im Freien auf-
gestellt werden kann, da sie nicht wie bei uns des Schutzes gegen
Eis und Schnee bedarf. Wohl umziehen die Friedhöfe im Süden
auch Bogengänge, doch mehr aus architektonischen Gründen. Die
Notwendigkeit derselben beginnt erst jenseits der Apenninen in
Norditalien und hier bietet wiederum Genna eine sv reiche Aus-
wahl von kostbaren Geschmacklosigkeiten, daß der Besuch seines
Campo Santo dem eines versteinerten Modebazars ersten Ranges
gleichkommt. Ja, die virtuose Geschicklichkeit, mit welcher dicse
Marmorschneider nnd Haarkräusler ihren letzteu Toten allezeit nach
der letzteii Mode für die Ewigkeit herausputzen und desgleichen
von den llberlebenden beweinen lassen, verspricht in fernerer Zeit
diese Stätten zu Toteumnseen der Tagestrachten zu stempelu.
Wie fast jede politische und künstlerische Verirrung auf irgend
einen gesunden Ilusgangspunkt zurückzuführen ist, so ist auch diese
heutige Konfektionsära der Jtaliener einer gesunden Reaktion gegen
die teils kalte, teils dragantene Neu-Klassizität der Canova-
Thorwaldsen'schen Nachbeter entsprungen. Vom Florentiner
Bartolini vor bald 59 Jahren zuerst eingeschlagen, hat diese
Richtung in seinem Landsmanne Düpre ihren besten und edelsten
Ausdrnck gefundeu. Das hypermoderne Mailand, froh aller Tra-
dition ein Schuippchen zu schlagen, beeilte sich, die neue Lehre
unter dem Vortritt des Tessiners Vela auf deu Schild zu heben.
— Was Realismus! Entsprächen die Körper nur inimer den
Formen der Wirklichkeit! Wie häufig machen aber auch hier nur
die Kleider die Leute! Jn diesem zweiselhaften Sinne allerdings
real geuug, da die blendende Geschicklichkeit im Handhaben des
spröden Marmorstoffes dem Jtaliener die Versuchung doppelt un-
widerstehlich macht, sich im Nebensächlichen zu verlieren und unser
Kleider-Motto zum kiüistlerischcn Wahlspruch zu erheben.
Der Piemontese Mouteverde, der begabteste dieser neu-
italienischen Schule, zeigt wenigsteus in seinen letzten Arbeiten:
der Statue des Generals Medici auf dem Friedhofe hier, wie
in dem kolossalen Reiterstandbilde Viktor Emanuels sür Bologna
daß er über die Aufgabe der Plastik bei der Wiedergabe von
hervorragenden Persönlichkeiten, zu einer reiferen Einsicht ge-
langt ist.
Die vorschreitende Haltuug, der halb gezvgene Säbel, wie
trefflich erläutern sie den energischen Gesichtsausdruck des lapferen
Generals, dessen Name, so lange er lebte, der Schrecken aller
llnbotmäßigen im Süden war. — Ebenso glücklich deutet der
Künstler in der martialischen Kvpfwendung des seligen Königs,
desseu Züge das Käppi ebenso weise als malerisch beschattet, deu
Augenblick vor dem Angriffe an. Er nimmt gerade die Zügel
seines mächtigen Streitroßes zusammen, ehe er seinen Solüaten
das bekannte piemontesische Wortspiel auf Sankt Martiuo zuruft,
nüt dem er sie zum Siege anfeuernd, auf den Feind losspreugt.
— Endlich einmal — soweit der bcschränkte Raum des Ilteliers
den llberblick zulüßt — ein modernes italienisches Denkmal, dessen
historischer Bedeutung die kiinstlerische Auffassung und?lbrundung,
die richtige Verteilung von Licht und Schatten zu entsprechen
scheinen.
Die Harmonie der llmrisse, welche doch die Grundbedingung
aller Plastik bildet, wird bci der Schwierigkeit, sie an der freien
Figur nach allen Sejten zu verwirklichen, immer mehr außer
acht gelassen und diese reliefartig, uur für die Vorderansicht
komponiert. Nirgends fällt das störender auf, als bei dem taleut-
vollen Bronzemonument der Gebrüder Cniroli, durch welches der
Römer Ro sa auf der halben Höhe des Pincio die Augen der lust-
wandelnden Meuge noch iminer fesselt, obschon es jeit zwei Jahren
bereits deu kleiuen Halbkreis an der Mauerbrüstung neben dem
Fahrwege eiunimint. — Wie auch nicht! Sieht der Patriot ja
hier gleichsam das Gegenstück zu der bekannten Friedhofs-Gruppe
bei San Lorenzo, die nur eine passende Jnschrist vor Zerstörung
sichert.
Dort händigt St. Petrus iu Person — im Andenken an
die bei Mentana gefallenen päpstlichen Zuaven — einem . . . .
Kreuzritter s!) sein Schwerl aus, zum Abhauen der garibaldinischen
Malchus-Ohren und — -Köpfe; — hier ehrt Rom die Erinueruiig
an das Brüderpnar, das bei demselben Mentana unter Garibaldis
Führung sein Leben ließ. Zu Tode getroffen sinkt der Eine unter
dem Bruder hin, der die Pistole in der gehobenen Rechten, das
Antlitz wild erregt, mit gespreizten Beineu, wie zum Sprunge
bereit, von einer leichten Anhöhe in die Ferue späht. — Lebendig
 
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