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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Acht Tage in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0417

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vom Herausgeber

Z27


Doch ich gerate da auf Dinge, die mich nichts angehen, und tadle, wo ich loben wollte. Denn wo
wäre eine Stadt, die sich in Bezug auf Schönheit der Bauten, anf Reichtum an Knnstschätzen aller Art, auf
den Reiz der Umgebnngen, anf die Behaglichkeit des Lebens, die Freundlichkeit und Gastfreiheit dcr Bewohner
mit Wien messen könnte? Jn allen diesen Dingen steht Berlin noch ebenso weit hinter Wien zurück, als es
ihm an Fleiß, Thatkrast, kühnem Unternehmungsgeist, strengem Pflichtgefühl liberlegen ist. Dafür kann man
aber nicht über die Ningstraße gehen, ohne die größte Achtnng vor dem Geiste zn empfinden, der solche
bewundernngswürdige Werke ins Leben gerufen. Überdies gibt nns die Raschheit, mit der sich Wien, dank
dem sangninischen, leichtlebigen Charakter seiner Bevölkernng nach den vcrnichtendsten Schicksalsschlägen immer
wieder erholte, die beste Gewähr dafür, daß diese Stadt sich ihre Blüte erhalten würde, selbst wenn das Staaten-
konglomerat, das man Osterreich nennt, wirklich anseinanderfiele. Haben nicht Hannover, Kassel, Wiesbaden,
Frankfurt erst recht anfznblühen angefangen, als sie ans.Residenzstädten in freie, ganz anf sich selbst gestelltc
Gemeinwesen verwandelt wurden? Um so mehr wäre das der Fall bei Wien, als dieses gerade das beste,
was dort bis jetzt geschaffen worden, ans eigenen Kräften erzeugt hat. So die Banten Ferstels und H asen-
auers, welche beide Wiener sind. Universität nnd Votivkirche des einen, wie die Museen nnd das Burg-
theater dcs andern sind geträukt von wicncrischem Geist, sprechen weitaus am meisten die gesnnde Sinnlichkeit,
Lebenslust, den Schönheitssinn, die Grazie des Volksstammes ans. Diese Naturwüchsigkeit haben keine anderen
Bauten in diesem Maße, ja das Rathans, sonst eine hochachtbare, ihre Bestimmung als Mittelpunkt des
Gemeinwesens mit bewnnderungswürdiger Kühnheit und Konseqnenz aussprechende Schöpfung, gleicht doch
weit mehr dem schwübischen Geiste seines Schöpfers, als dem des in ihm tagenden Bürgertums. Fast dasselbe
muß man von Hansens Parlamentshaus sagcn, dessen zwiespältiges Wesen wohl vielleicht dem des Staates,
aber ganz gewiß nicht dem der Stadt entspricht, das ebensogut in Paris, in Petersburg, als in Wien stehen
könnte, da es gar keinen Zusammenhang mit dem Boden hat, auf dem es steht. Die Kunstwerke sollen aber
ebensogut Rasse zeigen als die Menschen.
Wie mit der Ban-, verhält es sich anch mit der Bildhanerkunst, wo Kundmann nnd Weyr die beiden
Hauptformen des Wienertnms in seiner streng edlen nnd heiter sinnlichen Erscheinnng ebenso charakteristisch
vertreten, als Ferstel nnd Hascnauer in jener. Der Tegethoff, Grillparzer, Schnbert, Anastasius Grün des
ersteren sind ebensolche nnsterbliche Ausprägnngen dentsch österreichischen Wesens, als seine Figuren der Kunst-
indnstrie und Architektur, oder seine Vcktorien solche von dessen idealer Welt, die dann Weyr in seinem
Bacchuszug und seinen zahllosen Fignren an nnd in den Mnseen noch spezifisch wienerischer, geistvoll reizend
und spielend ansgestaltet.
Semper, Schmidt, wie Zumbnsch vermittelten allerdings den Zusammenhang mit dem dentschen Geist,
dessen Wien niemals ganz entraten könnte, ohne schweren Schaden zn leiden, einer schüdlichen Verflachnng
anheimznfallen. Denn wie wir im dentschen Reiche gerne trocken und hart, so werden die Wiener, sich selbst
überlassen, leicht flach, barock nnd leer. Wolltc man den Anteil Sempers nnd Hasenauers an ihren gemein
samen Bauten bestimmen, so scheint er mir am besten dadurch anszndrücken, daß der erste die Knochen, der
zweite das Fleisch dazn geliefert habe. — Wien von seiner Verbindnng mit dem dentschen Geiste losreißen,
hieße allerdings es nnbedingt vernichten, das zeigt die Metternich'sche Epoche am besten. Da artet dann das,
was liebenswürdige Lcichtigkeit, anmntiges Spiel war, gar gcrn in Frivolität, Gedankeuschen und gemütlich
thuende Charakterlosigkeit aus. — Hanswnrst nnd die so beliebtcn Travestien, die alles Hohe nnd Edle ins
Gemeine verkehren, sind spezisisch wienerische Erzengnisse, wie der ützende, nichts achtende oder verschonende
Witz berlinerische.
Jch habe soviel von Bau- und Bildnerkunst gesprochen, daß mir von der Malerei kanm etwas zu
sagen übrig bleibt. Sie ist auch offenbar jetzt die am wenigsten begünstigte der Künste, da die großen Talente
aus den schon erwühnten Ursachen fast alle ausgewandert sind. Man braucht Defregger, Karger, Simm,
Math. Schmidt, Willroider, Jettel, Munkacsy, Payer, Hynais nnr zn nennen, nm das zu beweisen. Ob es
gelingt, die schwere Lücke, die Makart und Canon gelassen, ausznfüllen, wer könnte das wissen? Der letztere
hätte wenigstens in Angeli einen Nachfolger, und ob es Klimt gelingt, für Makart einzutreten, das muß man
der Znknnft überlassen. Denn nirgends ist Talent häufiger und Charakter, der ihm Stetigkeit und Jnhalt
gäbe, seltener, als in Österreich mit seinem Völkergemisch, das oft so ungünstig gerade auf die dortigen
Deutschen und ihre dem Gnten, wie dem Schlechten gleich zugüngliche bewegliche nnd weiche Art einwirkt.
Wien ist nicht vergeblich die Stadt, wo aus jeder Ecke ein anderer Wind bläst. Jn der Malerei sind jetzt die
französischen Einflüsse offenbar sehr stark.
Eines aber kann man auch hier mit Vergnügen wahruehmen: daß gerade die jüngste Maler-Generation
wieder anf die Schildernng des prüchtigen Wiener Volkslebens znrückgreift, welches ja des dankbarsten Stoffes,
der köstlichsten Fignren eine wahre Fülle bietet. Man muß diese Handwerker nnd Arbeiter, kleinen Kanfleute
 
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