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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Das Kunstgewerbe auf der Berliner Jubiläums-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0095

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Das Auiistgewerbe auf der Berliner Iubilänms-Ausstellung

uns mit der ganzen Welt messen kvnnen, sicherlich kein geringes Resultat, wenn man bedenkt, daß sast von
alledem, Wien ansgenommen, 1867 noch nichts, ja eine Kunstindustrie, die den Namen verdient hätte,
überhaupt kanm existierte. Doch gehen wir nun zu dem Einzelnen über. Berlins Silberindustrie ist die älteste,
die Firma Hossauer hat schon 1861, Sy L Wagner und Bollgold, wenigstens in den vierzigcr Jahren,
große Prunkgeräte geliesert. Erstere nach Zeichnungen von Schinkel, die einen denn freilich in ihrer ge-
schniegelten Antikisierung sonderbar dürftig amnuten. Um so schwerfälliger, ein barbarischer Prnnk — erscheinen
zwei riesige Kandelaber aus Silber, die Stier, auch noch antikisierend wie Schinkel, entwarf, die aber beide die
ichönen Eigenschaften des llNetalls noch sehr wenig zur Geltung zu bringen verstehen. Weit wertvoller ist der
verühmte Glaubensschild, als Patengeschenk des Königs Friedrich Wilhelm IV. sür die Königin Viktoria bei
der Geburt des Prinzen von Wales 1842 gefertigt, um ihn im Glanben zu stürken. Wie weit er diese
Wirkung erreicht hat, ist mir nicht bekannt geworden, jedenfalls ist die von Cornelius gesertigte Komposition,
welche in einem um den änßeren Rand herumlausenden Fries die Reise des Königs zu dieser Taufe, natürlich
reich gemischt mit allegorischen Figuren darstellt, interessant genug, indem sie zeigt, wie der Meister dergleichen
in die höchste Sphäre zn heben und sinnvoll zu denten wußte. Auch die Ausführnng von Fischer L Mertens
ist wenigstens sehr soliv nnd stilvoll, wenn anch weit ^entsernt von der geistvollen Leichtigkeit und pikanten
Behandlung des Reliess, wie sie Tautenhayn eigen, sondern im Gegenteil hart, trocken und langweilig wie
alles, was diese klassizistische Schule hervorbrachte. — Darum wenden wir uns lieber zur Gegenwart, zunächst
zn den Hochzeitgeschenken, welche 66 Städte als vollständiges Tafelsilber dem Prinzen Wilhelm darbrachten.
Es ist ganz im üppigsten Barockstil gehalten, speziell das „glückhafte Schiff", welches den Mittclpnnkt bildet
und von Eberlein modelliert, bei Bollgold in Silber mit reicher Bergoldung ausgeführt ist. Geistvoll malerisch
oelebt, wie alles, was Eberlein macht, steuert dies Schiff, bei dem ein altdeutsches Brautpaar hinten sitzt nnd
es steuert, allerdings dem wildesten übermütigsten Prunk mit vollem Segel zu. Ob das aber dem bürgerlich
ehrenhaflen Charakter der Schenkenden oder gar den einfachen und deutsch-familienhaft reinen Sitten der Be-
Ichenkten entspricht, das ist doch eine andere Frage. Mehr strenge Knnst und weniger übermütiger Prunk,
wie er einem König gleich Ludwig XIV. allenfalls entspräche, wie es aber den Traditionen der Hohenzollern
und ihrer ganz der strengen Pflichterfüllung gewidmeten Lebensführnng nicht entfernt gleicht, das wäre doch
hier viel mehr am Platze gewesen. Der Eharakter dieses Barockstils ist eine anspruchsvolle Leere, ein
Mangel alles individuellen Cyarakters, also genau das Gegenteil dessen, was die Hoyenzollern groß gemacht
hat. Man kann es daher nicht sehr taklvoll sinden, daß man ihnen, wenn auch aus offenbarer Gedanken-
losigkeit, svlche Jdeale auf den Tisch stellt. Zumal in einer Zeit, wo wir noch eben schaudernd erleben
mutzten, wohin die Berehrung Lndwigs XIV. deutsche Fürsten mit verhängnisvoller Notwendigkcit sühren
mußle. Auch die übrigen Anfsätze und Geräte atmen mehr oder weniger diese vollstündige Gedankenlosigkeit,
und eS möchte schwer sein, an diesem ganzen mit so ungeheueren Kosten ins Leben gerufenen Taselservice für
einen Prinzen, der ob seiner nationalen Gesinnung heute schvn die Hoffnung aller Patrioten bildet, auch nnr
einen nationalen Zug anfzuweisen. Denn der Barockstil war ja bekanntlich noch kosmopolitischer als der
antikisierende, er ist m ganz Europa nahezu gleich gehandhabt worden, und es ist alles eher als ein gutes
Zeichen sür den herrschenden Geist, daß man ihn gerade in Berlin mit viel mehr Eifer als Überlegung und
gesunder Empfindung wieder ausnimint. Jst dieser Stil dvch nichts anderes als der Ausdruck der absoluten
Herrschermachr, und ihn wieder auszuwärmen, heißt direkt dem Berfall oder der Revolution zusteuern. Denn
wer kann sich einbilden, daß für die Willkür des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts im neunzehnten
noch Platz sei l Jn der Kunst gerade so wcnig als im politischen Leben. Da wäre mir schon die immerhin
cdle und strenge Richtnng des Geselschap noch tieber, da doch eine tiefe und achtnngswerte Überzeugung dahinter
jleckt, als diejer prunkend ausgebauschte künstlerische Nihilismns. Allerdings ist gerade dieser, jeder Überzeugung
oare, allem Zdealen abgewendele Nihilismus eine überall weit verbreitete, aber darum denn doch noch lange nicht
yerrschende moralische Mankheit, sind aber die Künstler etwa dazu da, dieser grundverderblichen Geistesrichtung
oen Glanz ihres Talentes zn leihen und so übertünchte Gräber zu schaffen? Hätte die Kunst in Deutschland
nicyts besseres zu thun, als durch den Ubermut, dessen AuSdruck des Barockismus ist, der sozialen Revolution
genan wie vor ynndert Zahren auch noch den Weg zu bahnen, die ohnehin schon an die Thüre pocht.
Jmmerhin besser sind einzelne Teile des Services, wie das Geschenk der Provinz Sachsen, das aus
einem Humpen mit Fries, der einen altdeutschen Hochzeitszug darstellt, besteht, und als zierlichstes von allen
üer in einem Pokal beslehende der Rheinprovinz, vonRöber inDüsseldors komponiert nnd vonHermeling in
ftöln ausgeführt, der freilich in seiner seinen Grazie mit den anderen wenig gemein hat. Weit erfrenlicher
als dieses mit so viel Pracht als unleugbarem Talent ausgestattete Taselservice ist dann noch eine kleine,
S. k. H. dem Kronprinzen vom Kaiser von Osterreich zu seiner silbernen Hochzeit geschenkte Kassette in
Limousiner Email, entworsen von Zauner. Wer die reizend in Silber getriebenen Figuren an den Ecken
modelliert hat, war leider nicht angegeben, obmohl gerade diese besonderS stilvoll sind. Das ist anch Spät-
Renaissance, aber himmelweit verschieden vom antikisierenden Barockismns.
 
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