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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Kaden, Woldemar: Ein Blumenmaler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0104

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§i„ Blumenmaler. von W. Aaden

Biiume und Sträucher ein augentröstlicheres Aussehen zu
geben, zufälligerweise die Blumeu oder später die Früchte
vergessen hätte, so würde, daran war kein Zweifel,
Malacrea sie geschafsen haben.
Davon erzählt man eine ergötzliche Historie.
Er hatte den Auftrag bekommen, im Palaste des
Barons Sartorio in Triest eine Decke zu malen. Dies
war, wie noch heute anerkannt wird, eines seiner best-
gelungenen Werke. Dennoch hatte, während des Malens,
der Herr des Hauses in höflichster Weise sich erlaubt,
dem Künstler in Foriu vou Wünscheu einige Aussetzungen
zu machen.
Dieser fühlte dadurch tief in seiner Eigenliebe sich
verletzt; nur mit Mühe hielt er eine Grobheit zurück, um
gelassen das grosze Wort zu sprechen:
„Merken Sie sich Eines, Herr Baron: Für die
Blumeu meinetwegeu crst Gott uud dann Malacrea, für
die Früchte aber erst Malacrea und dann Gott."
Der Herr der Frühlinge lächelte ob seines zuversicht-
lichen Sohnes und so that denn der Baron das Gleiche.
Das war im richtigen Sinne seine Blüteperiode, sein
Lebenslenz, nnd dieser Lenz zeigte sich in dem ganzen
Auftrcteii des Künstlers. Er schwelgte in Blumeii uud
sonniger Heiterkeit; voller Lebhaftigkeit war sein Verkehr
mit den Kunstgenossen, sein Muud floß über vou Witzen,
Scherzworten uud Liedern, die Hand war immer offen.
Jn den besteu Familien war er ein gern gesehener Gast . . .
Hat uns das Geschick eiu derbleinenes Glückshemd
auf den Leib genäht, so wähnen w>r, es könnte niemals
zerreißen; endlich aber gucken doch die Ellenbogen durch
und eines schönen Tages kriegts der Luinpensammler.
Und wie heißt es in dem schönen Stammbuchvers:
„Rosen, Tulpen, Äkelken,
Alle Blumen welken..."
Und auch der Lenz Malacreas welkte in den Sommer
hinein. Wohl fiel ab uud zu noch nianche goldene Frucht
vom Lebensapfelbaum in seinen Schoß. Dann aber kam
der Herbst und es gab nur noch heimliche Kartoffeln,
im übrigen standen Feld und Garten leer. Die letzten
gelben Blätter waren abgefallen, und uuter dem dürren
Geäst saß Francesco der Blumenmaler nnd wollte den
alten Lenz zurückzaubern, aber der kam nicht.
Statt seiner kamen Enttäuschungen uud Bitteruisse.
Auch die Früchte waren herb und nährten nicht mehr.
Was er einst in freier lustiger Wahl künstlerisch geschafsen,
das mußte er jetzt im Zwang fabrizieren: Bilder und
Bildchen (keine Decken niehr in Baronalschlössern) voll
Hast und Eile, nicht mehr dem Ruhm zu Liebe, soudern
nur um des schmutzigen Geldes willen.
Was kümmerte ihn weiter der Ruhm! Er brauchte
Brot und Kleider und Schuh, Hauszins, Licht, Holz und
Kohlen, und die Händler mit diesen Dingen ließen sich
nicht, wie einst der Kuß der Liebe durch gemalte Vergiß-
meinnichtsträußcheu bezahlen; trotzdem er nicht mehr
Blumenmaler, sondern Blumenhändler war.
Ein Geschäft wie ein anderes, wie der Handel mit
Kohl und Kraut und Rüben z. B., der vor den Thüren
hausierend seine Waren ausruft.
Und hausieren ging in seinen letzten Jahren auch
Malacrea. Ein Bildchen mußte in zwei Tagen, niußte
yeut Abend schon fertig sein und abgesetzt werden, oft
noch naß, denn die paar Gulden, oft nur Kreuzer, die es
einbrachte, waren bitterstes Bedürfnis, und angeboten und
Die Aunst für Alle li.


verkanft ward es unter der Gleichgiltigkeit des Publikums
auf wahren stillen Bittgängen uud Schleichwegen in den
Kaffeehänsern und Restanrants.
Bei dieser verdrießlichen, steberhaften, demütigen Arbeit
hatte Malacrea, waren jeine Farben gebleicht, seiue Ge-
mütsart umgeschlagen. Er zeigte fortan sich ernst und
jchweigsam, floh die Gesellschaft, und wenn ihm jemand
ermntigenden Sinnes lobend vou seiuen Bildern sprach,
so pflegte er ihm das Wort mit einem bitter-ironischen
Lächeln abzuschneiden.
„Schweigt mir, und laßt die Toten ruhen", sagte
er düster. „Jch bin jetzt kein Maler mehr; ich bin ein
Handwerker, der auf Tagelohn arbeitet."
Tagelang saß er droben in seinem öden Zimmer,
das ihm Schlafkammer, Küche und Empfangssalon, weun
auch nur für die Gestalten seiner Träume, war. Dort
hatte er die wackelige Staffelei sich ans Fenster gerückt,
und durch dieses sah er über die Dächer und Schorusteine
hinweg ein Bettuch großes Stück Himmel und einen blauen
Bandstreifen Meer.
Vor der Staffelei hockte er zusammengekrümmt und
malte, mit allmälig erlahmender Rechten, schon lange nicht
mehr nach der Natur, sondern in Erinneruug an frühere
Kompvsilionen, deren Thema er in hundertfachen, ininier
seltener werdenden Variationen aus der Phantasie wieder-
holte.
Dort hatte er mitten im bleichen Elend, mitten in
der Entmutiguiig, in Einsainkeit und Dunkel, dennoch oft
Augenblicke rosiger Jllusion und lichtvollen Friedens.
Jn weniger unglücklichen Zeiten nämlich gönnte er
hiu und wieder sich einen eigenartigen Luxus.
Weuige, von den Tagesbedürfnissen übriggebliebene
Kreuzer in der Tasche, stieg er an eineni schönen Früh-
lings- oder Sommertage, morgens sieben Uhr, von seiner
Dachstube hinab und begab sich an ein bedächtiges Schwei-
fen um die handelsbelebten Steinlauben des Stadthauses
her. Dort war der Blumenmarkt, sein Theater, wo die
Kinder Florens, nur seineu Ohren vernehmbar, ihre klassi-
schen Frühlingshyninen rezitierten. Dort saßen in langen
Reihen die buntröckigen Bauernweiber und Mädcheu mit
ihren Körben voll blühender Blnmen, mit gewundenen
Kränzen und gebundenen Sträußen und den gemischten
„Uiori sciolti" in Becken und Wasserkrügen: eine wahre
Orgie an Farben, Formen und Düften, erheiternd, be-
rauschend.
Hier nun führte der Arnie seine kunstsehnenden Augen
spazieren, wie ein Hungriger die seinen vor dem Schau-
fenster einer Delikatessenhandlung. Er war glücklich: alte
Frühlinge, längst dahin gewelkte, lebten wieder vor
ihm auf.
Die Alten kannten den „Signor Francesco" noch
von seiner guten Zeit her, wo er ganze Körbe voll Blumen
erwarb und glünzend bezahlte, die Jungen kannten ihn
an seinem wunderlichen Kostüm, von dem er nie gelassen
hatte: halb Heldentenor und halb Räuber oder Ver-
schwörer, Carbonaro oder so etwas.
Zu diesem Kostüm gehörten als Hauptstücke die
weitärmelige Jacke oder Joppe aus dunklem Sammt und
der breite Ernanihut, von dem eine lange schwarze Feder
nickte.
Diese auffüllige Tracht hatte ihm in den verdächtigen
Zeiten der vierziger Jahre mancherlei Unannehmlichkeiten
io
 
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