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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Reber, Franz von: Über Bühnendekorationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0135

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Uber Bühncndekoratwnen

Y8
der Aufgabe sichtbar, so ist es schon ganz schlimm, weil
die Darstellung dann znr Karikatnr des Gewollten herab-
sinkt, wenn sie sich aber dem Auge wirklich ganz entzieht,
wird unser Verstand sich mit dem Rätsel beschäftigen, nnd
die Neugierde bezüglich der versteckten Mechanik unsern
Kunstgenuß notwendig schmälern.
Die Steigerung des Szenischen znm selbständigen
Efsekt kann nur im Spektakelstück gerechtfertigt erscheinen.
Wir enthalten nns der Polemik gegen dieses. Die Schau-
lust, die einmal ihr Ptibliknm hat, und zwar ein größcres,
als man etwa glauben möchte, mag auf der Biihne ebenso
ihre Befriedigung finden als im Zirkus. dlber dann tritt
eben das Sehbare in den Vordergrnnd, der Jnhalt wird
Nebensache. Nicht selten liegt das schon in dcr dtatur der
Sache, nnd dann kann der Jnszeiiierniig nicht genug Zlnf-
merksanikeit und dlufwand gewidmet werdcn, da die Ans-
stattung das Ganze zn bestreiten nnd zn halten hat.
Anders liegt die Sache bei großen dichterischen nnd mnsi-
kalischen Schöpfnngen eines Shakespcare, Goethe, Schiller,
eines Mozart, Beethoven u. s. w.
Bei solchen Werken sind in der Ausstattnng zwei
Dinge zu meiden: Realismus nnd pomphafter Efsekt.
Beides widerstreitet dem Gegenstande, tritt ans dem Jtahmen
eines nntergeordneteii nnd doch harmoiiischcn Akkvmpagne-
nients. Wenn nns die Gestalten der Dichterhcrocn in der
Verkörperung ihrer Gebilde voll entgcgentretcn sollen,
dürfen ihre Werke nnr so nmkleidet werden, wie sie ihre
Schvp^r einst nmkleidet dachten nnd denken koiinten.
Man mag ja weiter gehen, als es in Shakespearcs Zeit
möglich war, in welcher gewiß dcr Dichter selbst nnter
dcr Kargheit der Ansstattniigsmittel, über die er sich nicht
hiiiausringen konnte, litt. Aber bei der Vorstcllung, welche
sich der große Brite von der Szenerie machen konntc,
sollte man bleiben, nämlich bci einer Ausstattnng im Stile
seiner Zeit nnd seines Landes. Jch bin anch fest über-
zengt, daß eine Vorstellung von Corneille, Racine nnd
Moliöre im Aiisstattnngsstile Louis XIV. allein die richtige
Wirknng machen und das vollendete Ensemble finden kann,
wobei ja nicht geradc sklavisch an den barocken Exzentri-
zitäten der Zeiten festgchalten werden niiißte. Äticht niin-
der würde die Darstellnng der Goethe'schen Dramen in
der Ansstattniig der Zeit des Dichters nur gewinnen
können, wenigstens in einer solchen, wie Goethe sich die
szenische Umgebnng denken konnte.
Greifen wir, um dies zn beleuchten, einen praktischen
Fall herans. Goethes Jphigenie in Tauris wird gewöhnlich
und wic ich glanbe mitRecht mitDekorationen griechischen Stiles
derZeit deS Perikles gegehen. Daß dies dem Gegenstand gegen-
über an sich falsch ist, ein Anachronismus und ein Widerspruch
mit der Ktiltur der Taurier, ist handgreiflich. Jn Bezug
auf den Gegenstand kömite nur eine Ansstattiing richtig
sein, welche nach Maßgabe dcr Schliemami'schen Forsch-
nngen hergestellt wäre. Allein dies wäre, obwohl der
Zeit der Handlnug nach richtig, doch grnndfalsch in Hin-
sicht anf die Dichtung. Schon Sophokles nnd Enripides
dichteten, wie sie empfanden, anf der Basis ihrer Kultnr.
Konseguentermaßen wird daher schon Agatharchos von
Samos, der älteste Dekorationskünstler im eigentlichen
Wortsiniie, seine Architektnrszenerieii gewiß nach den An-
schannngen seiner Zeit gestaltet haben, und so ist dies
sicher bei allen hcllenischcn Bühncnstücken geschehcn nnd
gcbliebcn. Selbst wenn man in der spätcren hellenischcn
Zeit noch mehr von den Knlturformen des heroischen Zeit

alters gewußt hätte, als wir seit den Schliemann'schen Ans-
grabungen wissen, würde doch niemaiid daran gedacht
haben, die Bühiienansstnttung darnach zu formen. Deiin
so wenig die handelndeii Personen des griechischen Dramas
dachten und sprachen, wie jene vorhistorischen Damcn,
welche mit den schrecklichen Geschirreii und Geräten han-
tierten, die z. B. im trvjaiiischen Mnsenm zn Berlin zn-
sammengestellt' sind, so wenig gestattcten sic cine szcnische
Ansstattnng, welche in historijcher Trene anf das heroischc
Zeitalter znrückging odcr etwa archäologijch ans Homcr
entwickelt werden konnte. Unscre Anschaiinngen vom hellc-
nischen Altertnm aber haben sich nach jenen der pcrikleischen
Zeit geformt, nnd wir werdcn nns in der Ansstattnng
klassischer Darstelluiigen anch nicht mehr davon cntfernen
können. Wir würden anch nnr verliercn, wenn wir der
Wissenschaft, hier der Archäologie, einen allzn tiefgehcnden
Einflnß anf die Poesie gewährten, gerade so wie es nnr
als Verlnst betrachtet wcrden kann, wcnn die biidcnde
Kiinst im Historien- nnd Jdealbild nllznviel von dcr
Altertiimswisscnschaft erborgt.
Es wäre geradczu lächerlich, wenn man znr Hcrstel-
lnng der Szcnerie in Jphigenie in Tanris nach der Krim
gchen nnd sich dort das Landschaftsbild des Hintergriiiides
holen wollte. Ebenso überflüssig crschcint es anch, fiir
die Königsdramen Shakespcares, soweit sie sich im Tvwer
oder in andcren crhaltencn Lokalitäten nbspielen, die Sze-
nerie nach den erhaltencn Räumlichkeitcn zu gcstalten vder
in den klassischen Stücken die Hintergründe und Knlissen
aus den neuesten archävlogischen Werken zn rekonstrniercn
odcr in den italicnischcn Dramcn nnd Lnstspielen dcsselben
je nach Schnnplatz anS Vcnedig, Padna, Verona n. s. w.
zn cntnehmcii. Das würde so ivcit führcn, daß anch dcr
Brnnnentrog, der noch jetzt als Sarkophag der Jnlia
gezeigt wird, für die Grnftszcne in Nomco nnd Julia
nachgebiidet werdcn müßte. Hamlet ersordcrt so wcnig
eine dänischc Szcneric, wie Macbcth eine schottijche. Solchc
Anfordernngen tretcn kanm bei jenen ncneren Werkcn auf,
wo es sich nm modcrnc historischc Persvnlichkeitcn wie
Fricdrich der Großc odcr Napoleon I. handelt, nnd machcn
sich erst gcltcnd, wenn Essektstücke von bcstimintem Nativnal-
charakter, wie Mikado oder Bettelstiident ansznstatteii sind,
odcr endlich bei reincn Schan- nnd Spcktakclstücken.
Wie aber dcn Werken großer Bühncndichter gegen-
über weder exakte zeitliche, noch örtliche Wahrheit not-
wcndig, so ist namcntlich auch jener Realismns nicht er-
forderlich, der in der Szenerie anf Jllnsion abzielt. Jch
würde im allgemciiien an der Stilisiernng der Szenen-
malerei festhalten, wie sie das Material der Leinwand
und der Leimfarbe bedingt, würdc dem Maschinisten wie
demDekoratcur keine künstlerisch thatsächlich halsbrecherischen
Aufgabcn stellen, die Sürprise möglichst bcschränken, Schnür-
boden nnd Versenkungs- wie Erhvhungsapparate möglichst
vereinfachen.
gteservierte Würde als obersten Grnndsatz aufstellend,
würde ich nnr insoferne vor Aufwand nicht zurückschrecken,
als solid gearbeitet sein niiißte, und keine Verkommeiihcit
des wiederholt gebrauchten Dekor wahrgenommcn werdcn
dürfte. Täuschende Wahrheit im ganzen wie im ein-
zelnen, sei es nun Jnterieur, Stadtprospekt oder Land-
schaft wäre mir nebensächlich.
Jch gebe schon deshalb anf tänschcnden Realismus
wenig, weil er sich ja doch nicht durchführen läßt, weil
die gemaltcn Häuser und Gassen, Baum- nnd Felsgrnppcn
 
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