Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Gottfried Neureuther und das neue Münchener Akademiegebäude
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0158

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gottfried Neureutber und das neue lNünchener Akademiegebäude. von Fr. jdecht

N-


Dir neue AkLdrmie der bildrndrn Rünste zn Wnnchrn. Lrbaut von G. Neurentker

Roheit, mit der das einzelne behandelt ist. Denn die
Wärme nnd Lebendigkeit eines Bauwerkes hängen fast ganz
von der Liebe ab, mit der das einzelne, besonders aber
seine Verzierung, alio auch der koloristische Teil, dnrch-
geführt wird. Wenn die Gotik, die orientalischen Banten
fast alle eine bald süße, bald düstere Glut atmen —
S. Marco und der Dogenpalast sind wahre Mnsterbilder für
das eine wie das andere — so hat das seinen Grnnd
lediglich in der außerordentlich feinen Durchbildung
aller Details einerseits uud dem wuuderbareu koloristischen
Reiz andererseits. Neureuther war uuu der erste, welcber
der reizvollen Durchbildnug der Einzelformen und der
spezifisch malerischen Wirkungen eine Sorgfalt nnd ein
feines Verständnis widmete, wie sie an der Jsar fast un-
erhört waren, wo mau bis dahin diese Dinge meist
höchst schablonenhaft, ja bisweilen selbst plnmp und roh
behandelt hatte. So erklärt es sich, daß man bei sämt-
lichen früheren Münchener Bauten höchstens mit Aus-
nahme der Basilika und Allerheiligeukapelle fast nie eine
Stelle trifft, die man malen möchte oder könnte. Man
muß schon ins vorige Jahrhundert oder gar in die Re-
naissance zurückkehren, um dazu Lust zu empfinden. Denn
selbst wenn, wie bei den Propyläen oder der Ruhmes-
halle, die Feinheit der Ausführung eine größere ist, so
sorgt die Roheit der Schwanthalerschen Skulptnren für
unsere Abkühlung. Von den Leistungen des „neuen Bau-
stils" nach dieser Seite hin Ivollen wir vollends nicht
sprechen.

Mit Neureuthcrs Pvlytechnikum wird das auf ciin
mal anders. Man betrete da nur das reizende Bestibül
oder sehe das köstliche Treppenhaus, so wird einem auf
einmal eine Wärme entgegenkommen, die unendlich wohl-
thätig berührt. Nicht miuder fiudet man sie in der
feineu Grazie, mit welcher die Details der Fassade behan-
delt sind. Was nian auch gegeu die Gesaintkompositiou einzu-
ireuden haben möge, man stcht verguügt davor, weil jedc
Einzelheit das Gepräge der Liebe trägt, die der sonst viel
graudiosercn Erfindung der Piuakothek daneben gänzlich
fehlt, Pie es daher nur zu kalter Größe bringt. Ja im
Jnnern verletzt nns sogar die Roheit der Arbeit und die
Nüchternheit der koloristischen Wirkuugeu. Denn Prunk
ohne Anmut vermag niemals zu erwärmen. Jn Deutsch-
land verlangt man aber vou deu Kuustwerken vor allem,
daß sie zuni Gemüt sprechen, ihm einen Eindruck machen,
nicht blos den Sinnen. Das allein entspricht dem natio-
nalen Charakter, und daß er das thut, das macht Nkeu-
reuther zu einem eminent nationalen Künstler, trotz seines
angeblichen Klassizismus.
Jener Bau des Polytechnikums bildet daher eiueu
wahren Wendepunkt für unser Kunsthandwerk nnd Bau-
gewerbe, alle ihre spätereu glänzendereu Leistungen hängeu
damit zusammen; hier war zuin erstenmal ein Monumen-
talbau eine wirkliche Schuie gewordeu, hatte also seinen
ersten Zweck erfüllt, die Kunstfertigkeit der Nation zu er-
höhen. Das Polytechnikiim bildet daher den Markstein einer
vollständig neuen Periode der Müuchener Baukunst, wo
 
Annotationen