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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Lindenschmit, Wilhelm von: Gedanken über Reform der deutschen Kunstschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0184

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l)on Vilhelm Lindenschmit
besten zu kehren, so leicht aufgeben wird. Mit solchen Hoffnungen geht Jahr auf Jahr herum; der aus Not-
wendigkeit zu früh nnternommene Kampf hat das Wachstum der Flügel gehemmt, den Mut, den Ehrgeiz ge-
schwächt, fo daß zuletzt, wenn dennoch der Austritt aus der Akademie nicht mehr verzögert werden kann, also
auch diese Hülfe aufgegeben werden muß, der jnnge Mensch, ohne eine abgeschloffene Ansbildung erreicht zu
haben, der Jllusionen bar und unfähig sich selbst zu helfen, als ein Opfer unklarer Staatsinstitutionen von
dannen geht. Allerdings, das Genie, der Hochbegabte wird sich aus solcher Lage bald befteien, in und außer-
halb der Schule leicht Unterstützung seiner Bestrebungen finden und damit die notwendige Unabhüngigkeit von
kleinlichen Sorgen erringen. Äber die Masse der Schüler besteht jetzt bei der leichten Aufnahme, auch an
den Kunstschulen, aus mittelinäßig Begabten, die, wenn zu ftüh zum Kampfe ums Dasein gezwungen, größten-
teils darin erliegen und alsdann den Kern des Küustlerproletariats bilden. Diese sind es auch, die mit
halbem Talent und halber Ausbildung den Geschmack des Pnblikums korrumpieren, Privat- und Staatsmittel
zur Zersplitterung bringen und dadurch wieder die Prosperität der bedentenderen Künstlerkräfte hindern.
Die Verhütung oder doch Einschrünkung solcher für die Staatskunstschulen wie für alle wirklichen
Künstler gleich peinlichen Verhältnisse ist allein möglich dnrch die Erhebung eines hohen Lehrgeldes, durch ein
Lehrgeld, dessen Betrag den Jünglingen wie den Eltern gleichmäßig klar machte, daß es sich bei der Wahl
dieser Laufbahn nm bedeutende Opfer handelt; das ihnen klar macht, daß die Kunst kein Zeitvertreib, kein
leichtfertiges Vergnügen, sondern ein ernster Beruf ist, zu dessen Erlernung nicht nur Übung und Talent,
sondern auch eine gewisse freie, nicht durch Nahrungssorgen verdüsterte Stellnng, also Kapital gehört!
Damit soll indes der Küustlerberuf nicht als ein Privilegium der begüterten Klassen charakterisiert
werden. Es kann durch Schaffung einer Anzahl von Freiplätzen zu deren Begabung die Lehrerkollegien nach
genaner Prüfung der betreffenden Schüler autorisiert wären, dem Talent vhne Mittel vollständig Rechnung
getragen werden. Ebenso könnte auch bei ganz außergewöhnlicher Knnstbegabung ein geringerer Grad von
allgemeiner Bildung als genügend erscheinen. Aber dem massenweisen Andrang mittelmäßiger Anlage ohne
Existenzmöglichkeit müßte vorgebeugt und die Staatskunstschnlen davor bewahrt werden, als das leicht zu er-
reichende Asyl svlcher mit Existenzschwierigkeiten kämpfenden Halbtalente zu gelten.
Die namhafte Erhöhung des Lehrgeldes würde auch die ungerechtfertigte Konkurrenz, welche die un-
entgeltliche Lehrthätigkeit der Staatsanstalt der etwa zum Lehramte neigenden Künstlerschaft bereitet, aufheben.
Die Schülermaffe, die jetzt uatürlich das cinem Künstler zu zahlende Honorar scheut nnd lieber den fast fteien
Unterricht der Akademien sucht, würde sich dadurch mehr zerteilen, die Lehrthätigkeit würde eine vielseitigere,
anf allen Gebieten künstlerifchen Schaffens gesuchtere, Privatschulen wären möglich, ja höchst wahrscheinlich, das
Lehrprogramm der staatlichen Kunstschulen wäre konzentrierter zu gestalten, ihre Verantwortlichkeit um ein
Bedeutendes verringert und das Kunstleben zweifellos in natürlichere Bahnen geleitet.
Am 9. Dezember 1873 erschien in Jtalien das Dekret welches die alte Akademie von San Luka,
reformierte. Demselben wurden die vom ersten italienischen Künstlerkongreß in Parma 1870 aufgestellten Grund-
sätze über Reformen der Akademien unterstellt.
Hiernach soll anstatt mechanischer Nachahmung der Antike die Nachbildung des Wahren mit logischer
Strenge treten. Die Schüler sollen außerdem einen tüchtigen litterarischen und historischen Unterricht erhalten
und es ihnen ermöglicht werden, nach Beendigung des Unterrichts ihre eigene Jndividnalität ohne den Zwang
der Schnle, wenn auch geleitet vom Rate tüchtiger Lehrer von Ruf, zur Geltung zu bringen. Diesen all-
gemeinen Grundsätzen znsolge hat der Unterricht eine Gliederung in allgemeinen und speziellen. Der allgemeine
(wohl eine Art Vorschnle) umfaßt Mathematik, Perspektive, italienische Sprache, Linear- und geometrisches,
Ornament- und Fignrenzeichnen, Kunstgeschichte und Knochenlehre. Der Spezialunterricht ist nach den Kunst-
zweigen abgeteilt und umfaßt außer den auch bei unsern Akademien gelehrten Gegenständen namentlich auch
Litteratur- und Geschichtsstudien, sowie häufiges Probezeichnen aus dem Gedächtnis in Anatomie und Perspektive.
Wenn anch der ganze hier angeführte Lehrplan nicht in allen Stücken fich für unsere Verhältnisfe
eignet, so dürfte doch schon einiger Anlaß zur Nacheiferung darin liegen. Wie die ganze Jnstitution der
Kunstschulen von Jtalien ausging, so scheint fast auch die zeitgemäße Reformierung von dort ihren Anfang
nehmen zu sollen.
Denn man kann wohl sagen, daß solche Art von Organisation eine zeitgemäße Reform ist. Die
Gliederung der Kunstakademien in Vorschule und Hochschule, jedochunter einheitlicher Leitung, wird immer unabweis-
licher. Umsomehr, wenn man sich nicht entschließen sollte, ein viel höheres als bisher übliches Schulgeld zu erheben.
Die Vorschule sollte aus einem zweijährigen Kursus bestehen, und die zeichnerische Technik, Aguarell-
malerei, sowie alles wissenschaftliche der künstlerischen Ausbildung lehren. Also, I.Zeichnen nach dem Runden,
nach Gipsabgüssen von Menschen, Tieren, Pslanzen, sowie auch nach anderen leblosen Gegenständen, soweit
es zur Entwickelung der Technik und Demonstration der Schattenlehre notwendig ist. Dann, 2. perspektivisches
und geometrisches Zeichnen, Anatomie von Mensch und Tier, Grundzüge der Ornament- und Ärchitektur-
geschichte. 3. Ällgemeine Geschichte, Litteratur und Kunstgeschichte.
Die Aunst sür Alle II. ^8
 
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