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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Heilbut, Emil: Reisebrief aus Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0202

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Reisebrief aus Dresdeu. Oon kiermann lielferich

gemult; kalt bläulich, mcht warm brüunlich, wie die Mün-
chener Ruysdaele. Objektivität der Naturbetrachtung. Der
„malerischste" der Franzoseu, und also ihr müuchuerischster,
ist Decamps, welcher sich sehr hübsch in der Meyer'schen
Galerie vertreteu findet, mit eiuer ausgezeichueten Szeue
aus deu Pyreuäen (etwas wie unser Zügel) und eiuer
Pferdeschwemme. Die Pikanterie seiuer Malweise vermag
selbst eineu Schweinehirteu zu adelu, desseu Profil sich
farbig vou eineni grauen Himmel abhebt.
Zeigte Th. Rousseau auf dem ersten Bilde Helligkeit
und »siucerite«, wie das Kunstwort lautet, zeigt er da-
gegen den Reichtum seiuer Natur auf einer andern Lein-
waud, einem Bilde vou fast Böcklin'scher Fabelhaftigkeit
und Farbentiefe. Ein schwerer Urwald mit gewaltigen
Stämmen, dunklem Moosbodeu, der die Lautlosigleit um
so überzeugender macht und nur im Hiutergrnnde einer
helleren Note in dem blaueu Fleck Himmels.
Bei A. v. Petteukofen faßt mans kaum, wie man geist-
reich wie Menzel und Passini — und Ungar sein kanu.
Leys', Alma Tademas Lehrer, archäologische Kuriositäteu
fangen an uus zu langweilen. Auch Diaz' Nymphenbilder,
die zu ihrer Zeit so berühmt wareu, passeu uicht mehr in
den Ton. Von Ziem ist eine feine Laudschaft aus
Venedig da.
Delaroche ist der französische Piloty. Man sollte es
nicht glauben, wie uuinteressaut jctzt seiu Cromwell wirkt.
Daubiguy aus der erlesenen Schaar der Schule von
Foutainebleau erscheiut mit einem seiner stets gern ge-
seheueu Abende am Wasser, die zugleich so poetisch und
so exakt siud, helle Moudabeude, au deneu alle Diuge
scharf beleuchtet, aber doch von traumhaftem Dufte weich
umflossen werden.
Meuzel sührt ein Diminutiv von einer Souperszene
vor, in etwas brandigem Tone. Vou Leubach abcr ist
eine der seltensten Seltenheiteu zu vermelden. Er porträ-
tierte den Besitzer, Herrn Meyer, nicht ganz glücklich, ivas
manchmal auch Homer Passiert, aber das Bild hat eiuen
neuen Rahmen und das passiert Lenbach sonst uie. Es
ist eiu Ereignis, es ist eine Rarität, abgesehen davon, das;
es ein Malheur ist. Deuu die Leubach'schen Schöpfungeu
vertragen keine neuen Rahmen; fie bedürfeu mit ihreu
diskreteu uud raffinierteu Farbeureizen eiuer ebeuso diskreten
und raffiuierten llmrahmnng, welche verschleiert uud lasiert
ist und welche nur von diesen altitalienischeu, ins rötliche,
bräunliche oder grünliche spielendeu, von der Patina der
Zeit augeuehm abgeschwächten Goldrahmeu geleistet wird,
dereu Patiua übrigeus auch küustlich vorgeahmt werden
kauu, wie diejeuige der Bilder selber. Erst weun llmgebung
und Malerei völlig zusammeustimmen, ist bei Lenbach'scheu
Bildern die ganze Wirkung gesichert uno sie vermögcn
daun mit dem seinen Reiz ihrer hohen Kultur als Werke vou
erstem Range zu wirken. So ist das Porträt der Barouesse
Hirsch, welches auf einer Staffelei für sich stehend in der
Meyer'schen Sammlung die pisce äe resistuuce bildet,
ejne ganz vollendete Schöpfung. Sie steht, keines modernen
Goldrahmens Gefunkel macht ihr Konkurrenz, mit ihrem
lieben, blassen, milden Gesicht vor uus, die brauueu Haare
leicht altmodisch hochgesteckt, die Hände sind zusammen-
gelegt, der Mund zuckt, ist rechts etwas aufgezogen, ini
Blick der Augen liegt eine ganze Sonate und voll patrio-
tischen Hochgefühls, aus einer iiiternatioualen Galerie uuter

dem Schlußeindruck eines Bildes deutscher Abkunft fort-
zugehen, entfernen wir uns mit eineni sreundlichen Hände-
druck au den Diener.
' -i- -k-
llnd der schönste Morgen lacht uns entgegen. Der
Thau perlt, es singt und kliugt von den Zweigen und
wüßte ich mehr von der Botauik, so würde ich detaillieren,
wie es um mich her duftet und blüht. Mau wäre ver-
sucht, stets so früh sich zu erheben.
Gegenüber, im Garteu eiues Mädcheupensionats, ist
es schon munter. Man steht früh auf und vergnügt sich
im Freien, eh' die Schulstuuden begiunen. Die jungen
Damen, in Morgentücher gehüllt, promenieren zu dreien
auf deu Wegen zwischen dem Raseu, lernen auch aus
mitgenommenen Büchern, lachen und sind laut. Jch sehc
angelegeutlich durchs Gitter zu, uach dem Recht sahrender
Leute uuterwegens, was sich ins Auge stellt, zu beobachten.
Ilnd ein kleiner Lockenkopf sieht mich aus hübschen Augen
au, vermutlich um des Ilustatthafteu meiner Beobachtuug
willen.
Auf der Straße hvrt mau Pferdegetrappel; Offiziere,
die eine Morgenpromenade machen. Hinter ihnen reiten
die Burscheu, mit grotesken Versuchen, die chevalereske
Manicr zu kopieren. Allerlei Geräusche des erwachendeu
Tages regeu sich. Laudleute, die zur Stadt zieheu, Hunde-
gebell iu der Ferne, Knarren eines vereinzelten Wagens.
Alles im Frühnebel.
Weiterhin gibl es rustikale Eiudrücke, Felder, auf
deuen es von Nebel dampft. Hindurch führt eine Allee.
Links tritt die Mauer eines Besitztums heran, mit Eck-
pavillons. Jhre Fensterläden siud geschlossen, daß alles
wie im Schlafe scheiut. Kuustbäume, breite imposante
Wege, die schnurgrade auf das Herrenhaus sühren. Vasen,
Statuen. Ülnklang an das Dresden der glänzenden Hof-
haltung, Barockstil, mit der pittoresken Silhouette vou
Schloßkirche and Zwiuger im Hintergrund.
Jch kehre zu dem Pensiousgarten zurück. Tie
Pause ist aus, die Mädchen (auch der Lockenkopf) vcr-
schwunden, aber aus den geöffneten Fenstern der ersten
Etage driugt zweistinimiger Chorgesang. Was sie singeu,
weiß ich nicht, doch Gesaug frischer Mädchenstimmen ist
immer köstlich. Denn frischen Stimmen vou Mädchen,
im Freien gehvrt, ist es gegebeu wie den weißen Statuen
im Grün, daß sie erfreulich wirken, wie sie auch sein
mögen. Jch verweile am Gitter und lausche hinauf;
Bäume, Sträucher, Villen und Fernsicht liegeu lcicht um-
flort iu feuchten Morgcnduust gebettet, auf einer eiuzelueu
Fensterscheibe blinkt die Sonue und durch den umhülleu-
den Schleier kliugen reizvoll gedämpft die Mädchen-
stimmcu aus dem Pensionat. Sie steigeu wie das Seel-
cheu dieser anmutigen Frühstimmuug zum Himmel. Hörend
beug' ich mich vor, meine Hand greift in die Büsche, aus
deuen Thau tropft; vou einein Zweige, der vor meiueu
Augen schaukelt, schwiugt sich ein Vögelchen und verliert
sich im Äther. Mit eitel Wohlgefallen und Sonne
schließen die Dresdeuer Rückerimierungen und das, ver-
ehrter Leser, folgt, wenii von im besteu Falle alter Kunst
auf juuge Pensionärinueu übergegangen wird ; sie sind der
Dresdener Luft nicht minder eigentümlich als die klassi-
scheu Werke.
 
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