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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Fulda, Ludwig: Auf dem Künstlerball: Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0218

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^66 Auf dem Aünstlerball
licher, als daß er daraufhm die schmeichelhaften Thränen herzig daran vorüber, und ein boshafter Kritiker schrieb,
kollegialer Bewunderer mit Leinwand trocknete? man wisfe nicht recht, ob es die Leonore aus dem Tasso

Als aber auch die Vollendung des Stilllebens ähn-
liche Szenen und Wirknngen hervorgerufen hatte, mnßte
sich Adalbert in einer Stunde der Erleuchtung doch ge-
stehen, daß das Zusammenschmelzen des väterlichen Ver-
mächtnisses mit dem Wachsen seines Ruhmes nicht ganz
in dem rechten Verhältnis stand. Er beschloß daher, sein
„Hauptwerk" unverzüglich in Angriff zu nehmen. Zu
diesem Zweck rollte er ein sehr respektables Stück Lein-
wand, drei Meter lang, zwei Meter hoch, auseinander,
ließ es aufspannen und setzte sich davor, um zu überlegen,
was nun eigentlich darauf kommen sollte.
Die Fügung wollte es, daß auch sein nächstes Bild
unter der beabsichtigten Größe weit zurückblieb. Denn
er fand zum erstenmal eine Aufgabe, die ihn wirklich er-
wärmte. Auf dem Hofbräukeller, den er an einem
schönen Sommerabend aufgesucht hatte, um von dem „großen
Zug" zu träumen — und nicht nur zu träumen, machte
er die Bekanntschaft braver Münchener Bürgersleute und
ihrer Tochter Leonore. Die Eltern, — Nun, es waren eben
Eltern wie andere mehr; aber die Tochter! Sie war ein
allerliebstes Kind mit hellblauen Augen, dunkelblonden
Haaren nnd einem überaus bescheidenen Näschen. Fhr
Mund war der kleinste, der Adalbert je vorgekommen,
und er sagte sich mit einem Gefühl von kunsthistorischer
Unfehlbarkeit, daß ihr Gesichtchen etwas Perugineskes
habe. Als er dies jedoch laut wiederholte, rief es eine
ganz unbeabsichtigte Wirkung hervor. Leonore lächelte
verschämt, die Mutter sah mit starrer Verständnislosigkeit
auf Adalbert, und der Vater schlug ihm kräftig auf die
Knie und sagte, er sei „sehr ein g'spaßiger Mann".
Das Lächeln Leonorens entflammte den jungen Künstler
nnr noch mehr. Er behauptete mit einer waghalsigen
Entschiedenheit, welche nur sein Verlegenheitsgefühl über-
winden sollte, sie habe ein ganz süperbes Köpfchen, und
rückte dann sogleich mit der Anfrage heraus, ob er sie
nicht malen dürfe. Nach einigen unhaltbaren Einwen-
dungen der Mutter wurde auf diese Anfrage von der ge-
samten Familie das Siegel der Bewilligung gedrückt;
Leonore hatte freilich sofort durch ein schüchternes, aber
sichtbares Nicken ihres „süperben Köpfchens" ihr holdes
Einverständnis offenbart. Als sich nun gar im weiteren
Verlauf des Gesprächs herausstellte, daß der Herr Papa
Hemdenfabrikant sei und mit Adalberts Vater in lang-
jährigen Geschäftsbeziehungen gestanden habe, da war das
letzte Eis gebrochen, und die so zart geknüpften Bande
waren durch die leinene Verbindung iu die Sphäre solider
Greifbarkeit gerückt.
Und Adalbert malte Leonore. — Er malte sie mit
allem Schwung, dessen ein liebender Künstler fähig ist,
und mit all der Begabung, welche seine Freunde ihm zu-
trauteu. „Es wird mein bestes Bild", rief er wiederholt
und warf dabei jedesmal einen dankbar zärtlichen Blick
auf das Original, welches mit juugfräulichem Anstand und
etlvas gelangweilt im Modellstuhl saß. „Ja, es wird
mein bestes Bild", so rief er, und wer seine anderen
Bilder kannte, der mochte gewiß diese Zuversicht einer
liebenden Seele nicht allzu verwegen finden. Trotzdem
hatte das Porträt, als es endlich fertig war und unter
dem vielverschweigenden Titel „Leonore" zur Ausstelluug
gelangte, nicht ganz die erwartete zündende Wirkung.
Das Publikum stand kopfschüttelnd davor oder ging kalt-

oder die aus der Bürger'schen Ballade sei; denn sie
schaue Einen lächelnd an und sehe doch drein, als wäre
fie ums Morgenrot aus schweren Träumen gefahren.
Die Bitterkeit solcher Angriffe empfand jedoch nie-
mand weniger als Adalbert; denn er schwamm in einem
Meer von Glück. Was lag ihm jetzt daran, daß die
Muse ihn nicht erhören wollte, jetzt, wo die Tochter des
Hemdenfabrikanten ihm Herz und Hand geschenkt! Ja,
Leonore war Adalberts Braut. Die Verlobungskarten
waren versandt, der Tag der Hochzeit festgesetzt, und die
Fabrik des gütigen Schwiegervaters arbeitete fleißig an
der Ausstattung des jungen Paares. — Wie das alles
gekommen war? -— Sehr einfach und doch sehr uner-
wartet. Bei einer der letzten Sitzungen hatte Adalbert
plötzlich Pinsel und Palette fortgeworfen und war Leo-
noren zu Füßen gesunken; Leonore war aus dem Modell-
stuhl emporgesprungen und hatte sich hinter die mächtige
Leinwand des noch nicht begonnenen Hauptwerkes ge-
flüchtet. Dort fanden sich die beiden Herzen mit Leich-
tigkeit. Ganz so leicht war die Zustimmuug der Eltern
nicht zu erlangen gewesen; Beiden wollte es nicht ein-
leuchten, daß ein Künstler ihr Schwiegersohn werden solle.
Die Mutter meinte, Künstler seien selten ihren Frauen
treu, und der Vater fügte hinzu, sie seien fast niemals
solide Wirtschafter. Aber als Adalbert der Mutter er-
klärte, die Untreue käme auch in anderen Beruisarten
vor und sei bei ihm vollständig ausgeschlossen, als er dem
Vater auseinandersetzte, daß ja auch er rohe Leinwand
verarbeite und insofern selbst ein halber Künstler sei, daß
er aber ihn speziell nicht als Maler, sondern als Sohn
des alten Geschäftsfreundes betrachten müsse, und als zu-
letzt die Thränen Leonorens sich mit dieser zwingenden
Logik Adalberts vermischten, da war der Widerstand be-
siegt, und der Herr Papa schlug dem Schwiegersohn kräftig
auf die Knie, um damit seinen väterlichen Segen an-
zudeuten.
Während eincs fröhlichen Brautstandes hatte Adalbert
Gelegenheit, seine „perugineske" Geliebte von ganz neuen
Seiten kennen zu lernen. Das auffallend kleine Münd-
chen bewies ihm, daß es nicht nnr verschämt zu lächeln,
sondern auch eifrig zur Geschäftsordnung zu reden ver-
stand. Allerlei Meinungsverschiedenheiten über Kunst und
Leben stellten sich nach und nach zwischen den Liebenden
heraus, ohne jedoch den Himmel ihres Glückes ernstlich
zu trüben; denn weil Leonore eine hingebende Seele be-
saß, so überließ sie ihrem Bräutigam gerne das erste
Wort und begnügte sich mit dem letzten.
Gleich zu Anfang hatte sie verraten, daß sie — wie
jedes aufrichtig liebende Herz — nicht ganz frei von Re-
gungen der Eifersucht war. Doch nahmeu dieselben ersi
mit dem Begiun des Karnevals unangenehme Dimensionen
an. Als Leonore nun gar ausgekundschaftet hatte, daß
Adalbert auf einer Redoute gewesen, da gab es die erste
ernstliche Szene zwischen Beiden, und der bedauernswerte
Künstler konnte nur mit der größten Mühe verhindern,
daß die Schwiegereltern zu Mitwissern und Richtern ge-
macht würden. Vergebens suchte er seine erzürnte Braut
darüber aufzuklären, wie auch in der Kunst der Zweck
die Mittel heilige und wie er nun endlich einen würdigen
Gegenstand für sein Hauptwerk gefunden habe, nämlich
eine groß gedachte Darstellung des Karnevals, für welche
 
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