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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Karl Raupp
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0240

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vom kerausgeber

,85


Ziemlich genau dasselbe gilt von
unserem Raupp, der sich die kleinste aller
Welten, die winzige Fraueninsel im Chiemsee
mit ihren paar Dutzend Häusern und ihrer
Bevölkerung von armenFischern undBäuern,
ein paar Handwerkern und frommen Kloster-
frauen als Spezialität ausgesucht und ihr
in der hochpoetischen Verbindung mit der
herrlich großartigen Natur eine merk-
würdige Fülle der reizendsten Jdyllen ab-
gewonnen hat. Denn das Leben dieser
Jnsulaner ist voll elementaren Reizes, voll
Arbeit und Gefahr wie stillen Glückes,
nirgends fühlt man sich der Natur näher
als auf diesem stillen Eiland, wo sich seit
tausend Jahren kaum irgend etwas an den
Lebensbedingungen der Menschen geändert
hat, so daß es wie ein Märchen aus
alten Zeiten vor uns aus den Fluten auf-
taucht. — Und doch hat, Ruben aus-
genommeu, der es vor fünfzig Jahren
wenigstens versuchte, niemand den herrlichen
Schatz von lauterstem Gold der Poesie, der
hier ruhte, zu heben verstanden bis auf
Raupp. Oder gäbe es etwas Rührenderes
als dieses junge Weib, das seinen ruhig
schlafenden Sängling mit blitzenden Augen
durch die sturmgepeitschten Wellen führt,
als ein Jdeal von tapferer Mutterliebe?
Wo wäre denn der alten Kunst der-
gleichen auch nur eingefallen bei ihren
Banernschilderungen? — Und doch ist
da keine Spur von jener widerlichen Sentimentalität
der Klassizisten, sondern die frischeste Seeluft weht uns
aus dem lieblichen Bilde entgegen. Ganz dnsselbe gilt
von dem köstlichen Blatt, wo morgens die Mutter
zum arbeiteu hinaus auf die Krautinsel fährt und die
Großmuttcr auf die Kinder im Kahn acht gibt, die sie
voll Jubel begleiten dürfen, während der Großvater am
Strande den jüngsten hütet. Auch hier ist das mannigfaltigste
Leben in der Kinderschar, jedes wieder anders und jedes
wahr. Wie geziert sähe daneben eine Geßner'sche Jdylle
aus! Wie fröhlich ist ferner das dritte Bild, wo die
ältere Schwester die kleinere beim Anblick der jungen
Entchen vor Freude Zappelnde im Kahne hält, während
das Brüderchen mit denselben spielt. Jeder aber, der
diese Leute näher kennt, wird bezeugen, daß nicht nur
die Alten, sondern selbst die Kinder so genau den Stempel
ihrer Herkunft tragen, daß man sie nirgends andershin,
nicht einmal nach Tirol oder Schwaben, verpflanzen könnte,
ohne daß dies sofort fühlbar würde, und fremd anmutete. —
Das tritt aber bei den grvßeren Bildern Raupps, der
alle Sommer auf der Jnsel zubringt, noch entschiedener
hervor, ob er uns nun die junge Schifferin glücklich
vom Geliebten aus dem Sturme gerettet gebe odcr die
Begegnung einer jubelnd auf dem heubeladenen Schiffe
sitzenden Jugend mit dem Kahne des Pfarrers schildere,
der einem Sterbenden die letzte Wegzehrung bringt, oder ob
eine andere Familie in der Ernte zeige, wie sie eben beim
Herüberschallen der Abendglocke einhält, um fromm zu
beten. Überall zeigt der Meister in seinen die Landschaft
nicht weniger stimmungsvoll als die Menschen wahr schildern-
den Bildern, wie sich beide so ganz und gar bedingen,

Aus Ä. Raupps Skizzeubuch
eines ohne das andere nicht denkbar ist, also wiedernni
etwas, wovon die alte Kunst noch gar nichts weiß.
Auch Raupp hat das erst lernen müssen. Am 2. März
1837 als der Sohn eines Beamten in Darmstadt geboren,
hatte er trotz früh hervorgetretener Begabung erst Gym-
nasium und Polytechnikum besucht, ehe er sich bei dem
bekanuten Landschafter Lucas der Kunst widmen durfte.
Mehr Neigung zur Figuremnalerei als zur Landschaft
fühlend, ging er bald ans Städel'sche Jnstitut im benach-
barten Franksurt, wo er erst Steinles, dann Jakob Beckers
Schüler ward und sich bei ihm große und einfache plastische
Formenanschauung aneignete. Jm Jahre 1858 vertauschte
er Frankfurt mit Müncheu und trat zwei Jahre später
in Pilotys Schule ein. Dort malte er noch romantische
Bilder, benützte aber doch schon den Sommer regelmüßig
zu Studieu im Gebirge. Das erste Bild hier wareu
„die zwei Mütter". Er ließ ihnen eiue „Heuernte" im
vollsten Sonnenglanz folgen, die durch das gesunde Natur-
gefühl, das aus ihr sprach bereits großes Aufseheu macht.
Bald geriet er auf die malerischste aller Jnselu, die ihm
fortan den Hauptstoff bieten sollte. llm 1866 bei Piloty
austretend, eröffnete er jetzt eine eigene Schule, aus der
Engel, Toby E. Rosenthal, Harburger, Beckmanu, Seiler u. a.
hervorgingen. Nicht lang darauf ward er aber als Lehrer der
Malklasse an die Niirnberger Kunstschule berufen, wo Fr. A.
Kaulbach, Löfftz, Weigand bei ihm eiutraten. Nach Kre-
lings Tode pensioniert, ging er 1879 nach Müuchen zurück,
wo er bald an der Akädemie als Lehrer der Vorschule an-
gestellt, eine segensreiche Thätigkeit entfaltete.
Daß er aber je weder Rom noch Paris oder Brüssel
besucht hat, um sich dort in seiner Empfindung irre machen
 
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