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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Die beiden Münchener Ausstellungen für 1888
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0253

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Die beiden iNüncheiier AussteÜungen für 1888. Oom lferausgebck
Beginnen wir mit dem Ausstellen. Hier war der größte, aber auch ganz unleidliche Fehler, daß die
einzelnen deutschen Schulen nicht jede für sich ausgestellt hatten, sondern alle untereinander gemischt
wurden. Dies war allen gleich schädlich, weil es das wohlthuende Bild ihrer organischen Entwicklung
ganz zerstörte, keine zu ihrem Recht kommen ließ. Daß sich die Wiener Schule verständigerweise daraus
nicht eingelassen, sondern sür sich allein ausgestellt hatte, das machte ihren Saal zum weitaus har-
monischsten und vornehmsten der gesamten Ausstellung. Hoffentlich lassen wir uns, nachdem dieser grobe
Verstoß auch schon 1883 bei uns gemacht worden, endlich einmal herbei, ihn zu vermeiden, und lassen
die Düsseldorfer, Berliner, Wiener Schule getrennt von der Münchener ausstellen, was voraussichtlich dem Ganzen
einen neuen Reiz geben wird, da sich ihr Sondercharakter dann erst überraschend deutlich wiederspiegeln kann.
Raum ist ja im Überfluß vorhanden, nachdem die Künstler den ganzen Glaspalast allein besitzen und die Be-
teiligung des Auslandes, Jtalien ausgenommen, eine nicht allzn große, die Frankreichs vollends eine mehr als
sragliche werden dürfte. Bei der Übung, die unsere Künstler im Ausstellen allmählich erwvrben haben, dürfte
es dann um so eher möglich werden, die einzelnen Säle wirklich zu einem harmonischen und wohlthuenden
Ganzen zu gestalten, ihnen das widerwärtig jahrmarktartige Aussehen zn nehmen, wodurch so viele Kunstwerke
vollständig ruiniert werden. Die Aufstellung der Haupt-Schulen aber, denen sich die kleineren nach ihrer Wahl
anzuschließen hätten, überlasse man ihren Delegierten selber, die ihre Kräfte besser kennen müssen, als wir.
Daß man auch hier auf einer strengen Jury bestehen muß, die alles einer großen nationalen Schan-
stellung Unwürdige unerbittlich ausscheide, wer wollte diese erste aller Notwendigkeiten verkennen'? Wenn die
sranzösischen Künstler die Zucht haben, zu ihrem Salon alljährlich von 6000—7000 Bildern nur 2000—2400
zuzulassen, so werden wir doch hoffentlich auch einmal diese Selbstbeschrünkung lernen, die ja allen wieder in
der vermehrten Achtung zu gute kommt, die sie dem Ganzen erwirbt. Da voraussichtlich gerave eine solche Jury
den-meisten Widerspruch finden wird, so empfiehlt es sich, dieselbe aus Delegierten aller dentschen Kunststädte
zusammenzusetzen, wodurch man die Unannehmlichkeiten, denen die lokalen Behörden dieser Art niemals
entgehen, vermiede, da die Majorität dann immer von Nichteinheimischen, also Unbefangeneren und der Rache
der Zurückgewiejenen nicht Ausgesetzten, gebildet würdel
Wir kommen damit schließlich auf einzelne innere Mängel unserer heutigen deutschen Kunst, wie sie sich
in Berlin herausgestellt haben. Auf ihre Vermeidung möchten wir durch diese Zeilen vorzüglich hinarbeiten,
so weit dies gutem Rat überhanpt erreichbar ist. Es würe das um so eher möglich, als diese Mängel weir
weniger mit dem guten Willen oder der Begabung der Künstler, als mit der geistigen Versassung der ganzen
Nation zusammenhängen, wie sie durch uneryörte Ersolge und fünszehn Jahre ungetrübten Friedens samt ihrer
außerordentlichen Hebnng des allgemeinen Wohlstandes hervorgerufen wurde. — Denn wer wollte es leugnen,
daß diese unsere kühnsten Hoffnungen übersteigcnden Erfolge uns ein wenig unvorbereitet trafen, uns dank dem
Genie einiger großer Männer zu mühelos in den Schovß fielen nnd sich so nach kurzer sieggekrönter Änstrengung
eine übermäßige materielle Genußlnst und Erschlaffung einstellte. Sie ist es, welche sich in unseren Bitdern
ost viel zu deutlich wiederspiegelt. — Die Kunst ist aber da, die Nation zu veredeln und zu heben, nicht ihren
schlechten Neigungen zu schmeicheln. Sittlich pand die Renaissance tief unter der heutigen Zeit, aber das macht
gerade die unsterbliche Größe eines Michel Angelo, Raffael oder Dürer, daß sie dieser herrschenden Verderbnis
kühn widerstanden, der gemeinen Wirklichkeit das ewige Jdeal des Erhabenen, Großen und Schönen entgegen-
stellten, statt sich den Tagesgötzen zn beugen und den niedrigen Leidenschasten der Menge zu dienen! — Oder
hütte unsere Zeit denn wirktich gar keine Jdeale mehr, wie man beim Besuch einer modernen Ausstellung oft
zu glauben versucht ist? Nichts würe uurichtiger als das; sie besitzt im Gegenteil so gut als irgend eine das
Zdeal der Vaterlandsliebe, der Aufopferung, Uneigennützigkeit, Tapserkeit, Seelenreinheit und Kiuderunschuld,
ja ste hat vor allen früheren das Streben nach Wahrheit, das Erbarmen, die Sorge sür die Unglücklichen und
Enterbten, die größere Duldung und Menschlichkeit voraus. — Warnm sind nnn die Künstler sv sellen, welche
uns diese Jdeale zu verkörpern trachten, die uns ihr Auftanchen bei großen Mäunern, edlen Frauen oder auch
in der dunkeln Masse zeigen, wie es z. B. Uhde thut? Das Jahr 1870 hat bei uns eine wahre Fülle vou
Bürgertugend gereift, nicht nur von Heroismus im Kampfe, hunderte von Frauen aller Stände, von der Königin
bis zur Magd, haben mit Aufopferung des eigenen Lebens die Verwundeten in den Spitälern oder im Felde
gepflegt, die edelsten Züge der Todesverachtung haben unsere Soldaten neben schlichter Menjchlichkeit gezeigt,
wie kommt es nun, daß man davon, was uns doch zn so hoher Ehre gereicht, fast nichts dargestellt findet?
Unsere Zeit hat Mürtyrer so viele oder mehr, als irgend eine andere, nur sind es Märtyrer der Wissenschast,
der Humanitüt, der Freiheit, sie sendet eben jetzt ihre Apostel in alle Weltteile, um sie der Kultnr zu gewinnen,
uns Kolonien zu erwerben, die Wissenschaft zn bereichern, — hat aber von alledem unjere Malerei Nutzen zu
ziehen gewußt? Jener Ernst und die Hoheit der Gesinnnng, die erst den Künstler groß machen, sie sind ihr
viel zu sehr abhanden gekommen seit Cornelius oder Führich und Rethel, die sie gar nicht mehr begreift. — Nicht
minder aber fehlt ihr oft auch jener Reichtum der Bildung, ohne den man das moderne Leben in seinen besten
und edelsten Seiten kanm zu verstehen im stande ist- Die Trivialität und das leere Virtuosentum sind die größten
 
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