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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Brandes, Otto: Der Pariser Salon 1887, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0372

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Der Pariser Salon 188-

alte Walfischfänger Red im roten Hemde. Diese Köpfe
sind Porträts, für welche die englische Admiralität ebenso
wie für die Requisiten das in ihrem Besitze befindliche
Material zur Verfügung stellte. Für die übrige Mann-
schaft, die trefflich in ihren Manifestationen an der Arbeit
nach ihrem physischen Können und Wollen beobachtet ist, hat
Payer Studien an englischen Originalen, namentlich an
Fischern von Iarmouth gemacht. Besonders charak-
teristisch in der Gruppe ist der Seemann, der sich seine
Gummiflasche mit Schnee füllt, um damit, nachdem derselbe
am Körper zu Wasser aufgethaut, den verzehrenden Durst
zu stillen, denn trotz aller Kälte macht die Arbeit warm.
Trocknet sich doch einer der Offiziere den Schweiß von
der Stirne. Damit aber auch die heitere Note nicht m
fehle, schildert uns Payer in einem der letzten Ziehenden
oder vielmehr nicht Ziehenden den „Memoirenschreiber",
wie er ihn selbst mir bezeichnet, den Mann, der unbekümmert
um die aufreibende Arbeit seiner Kameraden jedes noch
so lächerliche Ereignis auf der Reise, bucht. Wer mag
auf den Reisen Payers wohl diese Memoirenschreiber
gewesen sein, denn das ist eine trefflich dem Leben abge-
lauschte Figur.
Der Schlitten zieht, nachdem er bei dem anf einer
Anhöhe den gesamten Zug überschauenden Kapitän Crozier,
dem Ches der Expedition nach Franklins Tode, vorbeige-
kommen, bei einem Häuflein links stehender Kameraden
vorüber, die bald dem Tode verfallen sein dürften. Ein
schneeblinder Offizier, ein vor dem Schneetreiben mit der
Hand sich schützender Schiffsjunge, ein Matrose, dessen
Gliedmaßen erfroren, auf Krücken. Die an dem dunkeln
Himmel unheimlich kreisenden Raben lassen den Schluß
der Tragödie, wie sie nns die „Bai des Todes" erzählt,
bereits ahnen.
Wenn ich bereits sagte, daß Payers künstlerische Ge-
staltungskraft ihre Aufgabe in der Wiedergabe des Erlebten,
in der möglichst vollkommenen Ausdruckgebung der Wahrheit
sieht, so ist es damit ausgesprochen, daß wir in denselben
nirgends einer Pose oder theatralischen Mätzchen begegnen.
Die Farbe des Bildes hat etwas Herbes und erscheint
unter den vielen sarbenfrohen Bildern des Salons manchem
selbst vielleicht mit einem Stich ins Olivengrüne. Man
trägt dann eben dem eigentümlichen Himmel, unter welchem
sich die Szene abspielt, ungenügende Rechnung. Payer
weiß trefflich zu individualisieren und zu charakterisieren,
er ist ein feiner und gewissenhafter Beobachter. Das Bild
erzählt beredter einen Teil der Franklin'schen Expedition,
als dies je dickleibige Bände zu thun im stande sein
werden.
Die französische Jury hat denn auch den Künstler
mit einer Medaille belohnt und die Zeitungen sind seines
Lobes voll. Wußte man doch bis vor kurzem hier kaum,
daß der nur seiner Arbeit und seiner Familie lebende
Künstler in Paris seine Heimstatt aufgeschlagen.
Ein Bild, welches uns ebenfalls in eine fremde Welt,
eine fremde Zivilisation versetzt und erst mit der Zeit unser
ganzes Jnteressegewinnt, ist des Amerikaners Mosler Bild:
„Der Abzug der Apachen." Wenn die Rothäute sich auf
d'en Kriegspfad begeben, so verlassen sie — und lassen
sie umkommen — diejenigen Mitglieder ihres Ltammes,
welche durch Alter oder Krankheit verhindert sind, ihnen
zu folgen. Den Moment dieses Verlassens hat uns Mosler
geschildert. Der Künstler hat für dieses auf Bestellung
gemalte Bild in dem letzten Jahre an Ort und Stelle

eingehende Studien gemacht. Es ist schwierig, sich
namentlich über den Empfindungsausdruck dieser Rothaut-
gesichter Klarheit zu verschaffen. Handelt es sich doch um
eine uns unbekannte Gemütswelt, verbunden mit einer uns
nicht vertrauten Physiognomik. Nach und nach entdeckt aber
der aufmerksame Beschauer in den Gesichtern der Zurück-
gebliebenen eine aus einem unabänderlichen Geschick sich
entwickelnde Dumpsheit mit dem Ausdruck der Trauer.
Die waldige Szenerie, der zerklüftete Fels, der sonnen-
beleuchtete Pfad, von welchem die lebensvoll dahinziehenden
Krieger einen letzten Blick auf die dem Tode geweihten
Zurückbleibenden werfen, ist mit großer Meisterschaft
gemalt.
Eine eigentümliche Jllustration zu der Geschichte
unserer Zeit bilden die verschiedenen Krankenbilder des dies-
jährigen Salons. Brouillet, ein Schüler Geromes, stellt
eine bedeutende Arbeit, eine klinische Stunde Charcots aus.
Der Saal ist von zwei großen Fenstern erleuchtet, die auf
einen Hospitalhof gehen. Der Professvr steht dozierend
neben einem Tisch, auf welchem sich allerhand elektrische
Jnstrumente finden. Vor ihm sitzt oder steht das
aus Ärzten und Notabilitäten der Wiffenschaft bestehende
Publikum, fast alles Porträtköpfe, unter welchen wir den
des Senators Naquet, den Clareties, Paul Arenes er-
kennen. Neben Charcot, von dem Chefarzt der Salpetriäre
unterstützt, mit entblößter Brust, eine nach hinten gebeugte
Hysterische, ein Bett, auf welchem sie hereingetragen worden
und zwei sehr bekannte Wärterinnen der Salpetriere. Kopf
und entblößte Schultern der Kranken sind tüchtig mo-
delliert, die lebhafte Aufmerksamkeit des Auditoriums gut
zum Ausdruck gebracht und die Jndividualisierung der
einzelnen Pwsonen wohl gelungen, kurz. das Bild ist von
seltener Lebendigkeit. Ein ebenso lebhaftes Jnteresse erregt
Gervex' Bild: „Vor der Operation". Professor Pean in
dem Hospital St. Louis doziert an einer Patientin, welche auf
einem Krankenbett hereingetragen wird, während ein Assisteuz-
arzt sie chloroformiert, die vorzunehmende Operation dem
zahlreichen umstehenden Auditorium. Natürlich kann anch
eine Szene beiPasteur nicht fehlen, die uns Laurent Gsell,
ein Neuer im Salon, ein Schweizer, der sich als Schüler
Cabanels bezeichnet, darstellt. Das Malerische des Bildes
wird durch die russischen Jmpfkandidaten gebildet. Die
Hauptpersonen, das am Banche eutblößte, zur Vaccination
Pasteur vorgehaltene Kind erreichen es nicht, uns für den
Vorgang zu erwärnien.
Auch der Hypnotismus — eine Frau, die von einem
Manne mit langwallendem, schwarzem Haar unter Assistenz
verschiedener Personen magnetisiert wird — ist im Salon
vertreten. Der Schöpfer dieses Bildes, dessen Name hier
lieber verschwiegen wird, stand jedenfalls nicht unter der
„Suggestion" des guten Malens. Obwohl abstoßend, doch
scharf beobachtet und mit großer Sicherheit wiedergegeben
sind Abrys, eines Antwerpeners, drei im Bett liegende
Hospitalkranke, von denen der mittlere, fast dem Tode
nahe, sitzend und vor sich Schreibmaterial haltend, Verse
zu konzipieren scheint. Noch abstoßender und weniger virtuos
gemalt ist ein anderes Hospitalbild von Gautier: Lkolei-a
rnorbus. Diese Sorge um Krankheit und Tod hat uns
ein ganz ausgezeichnetes Bild eines zum erstenmale aus-
stellenden südamerikanischen Künstlers Michelena gebracht:
„Das kranke Kind." Bei armen Leuten tritt der Arzt an
das Bett des schwer kranken Sohnes. Der besorgte Blick
 
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