Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

DOI Artikel:
Brandes, Otto: Der Pariser Salon 1887, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0374

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2A2

Der Pariser Salon 1887. von Ntto Brandes

den Schweiß von der Stirn, die Mutter wandert
neben ihm her, wahrend der mit dem tradiüonellen gol-
denen Papierkranz belohnte wilde Junge vorausgesprungen
und denselben, auf einem Feldgatter reitend, schwingt; das
ebenfalls belohnte sittige Töchterchen ist mit ihm zwar
vorausgeeilt, wagt aber nicht scine wilden Reiterkünste mit
ihm zu teilen. Das Bild ist eine der besten Arbeiten des
Salons. Aber nicht allen Kindern ist der regelmiißige
Weg durchs Leben vorbehalteu. Gelhaye erzählt uns
da eine traurige Geschichte. Jn dem Büreau der Findcl-
kinder trennt sich eine junge Mntter soeben und wohl für
iminer von ihrem Liebling, der jammervoll weint, als er
von der dienstthnenden Wärterin fortgeführt wird. Die
junge Frau schaut dem scheidenden Kinde schmerzlich bewegt
nach, und selbst der schön frisierte, an solche Szenen wohl
gewöhnte Herr Sekretär, kann einen Anflug von Rührung
nur schwer unterdrücken. Zahllos sind die Bilder von
bcitelnden Kindern. Einen ergreifenden Eindruck macht
Pclez' „Nest des Elendes". Zwei durch Hunger und
Schmutz heruntergekommene, in Lumpen gchüllte Knaben,
die in einem ekelhaften lknterschlupfe eug aneinander ge-
schmiegt, die eigene körperliche Wärme verwertend, schlafen.
Pelez, der meisterhaft uns die verkommene Jugend schildert,
sollte abcr in seinen Modellen wechseln, von denen das
eine derselbe Knabe, den er uns im vorigen Jahre als
Bettler gebracht. Ein geradezu agitatorisches, aber talent-
voll gemaltes Bild ist des Elsässers Zwiller „Der
Philosoph." Ein in Lunipen gehüllter Knabe mit dem
Tragkorb auf dem Rückeu sitzt, die eine Hand geballt, den
Kopf nachdenklich auf die andere stützend, auf den Stufen
zu einem Hause, dessen buntfarbige Maueranschlüge Opern-
ball, großes Los, Weihnachten für alle und das
jammernde Volk, Krieg den Akillionen ankünden, Anzeigen,
die unsern Burschen, der noch nichts im Leibe hat, wohl
zu diesem Nachdenken anregen. Bails „Küchen-
junge", welchen die Jury mit Recht mit einer Medaille
bedacht, ist eine herzerfrischende und technisch vollendete
Arbeit. Der halberwachsene Junge, der den von ihm
spiegelblank geputzten Messingkessel nun selber froh lachend
bewundert, ist mit einem selten guten Humor, der Kessel
und das herumstehende Geschirr aber mit einer über-
raschenden Virtuosität bei großer Gewissenhaftigkeit gemalt.
Aber auch der süßen Trägheit wird gedacht. Das
grauäugige Landmädchen der Madame Comerre Paton,
welches am Bache liegend mit semen grauen Augcn ge-
dankenlos in die weite Welt starrt, eine Situation, für
welche die Künstlerin die Bezeichnung „ignornnce" Un-
wissenheit gebraucht hat, ist eine bezaubernde Verkörperung
von süßem Nichtsthun und herzerquickender Naivität. Aber
leider dauert dieser Zustand der „Jgnorance" nicht allzn
lange. Leider werden die Mädchen nur oft allzu schnell
wissend. Des Engländers Warrener „Ein Geständnis"
erzählt da eine schmerzliche Geschichte von allzu früher
Erkenntnis. Jn dem schlichtcn Bauernstübchen steht die
Tochter des Hauses am Fenster, das thränenschwere Auge
mit dem Taschentuch bedeckt. Das Geständnis hat statt-
gefunden, die greise Mutter senkt schwer gebeugt, dumpf
brütend das Haupt, die eine Hand wie im Zorn gegen
den Verführer ihres Kindes geballt. Jawohl, ihres Kindes.
Man fühlt, daß ihr die Schmach ihrer Hütte nicht ein-
mal so nahe geht, wie der namenlose Jammer ihres Kindes.
Wie anders, wie empfunden ist dieses Bild ini Vergleich
zu dem von Pomey „Unbeugsam", welches denselben

Gegenstand behandelt. Möchte sich doch Herr Pomey
einmal vor die Warrener'schen Arbeit hinstellen. Er
selbst müßte entdecken, wie leer, wie empfindnngslos, wie
theatralisch aufgebauscht ihm sein Bild im Vergleich zu
der innigen Schöpfung seines Kunstgenossen vorkommen
würde. Jn solchen Vergleichungen, will mir scheinen,
liegt ein wesentlicher Gewinn, den die Künstler aus den
Ausstellungen zu ziehen im stande sind. — Doch nicht immer
länft die Sache so ab. Die beiden ländlichen Hochzeiten,
die eine von Fourie, das Hochzeitsmahl, und die andere
von Brispot, ein Hochzeitszug, der vom Gewitter über-
rascht wird, sind Beweisstücke hierfür. Albert Fouries
Bild nimmt mich ganz gefangen. Die Hochzeitsgäste
sitzen in der Laube, durch deren Blätterdach das helle
Sonnenlicht dringt. Jn jeder Person ist ihr bestimnites
Verhältnis zu der Gesellschast ausgeprägt. Der Schwieger-
vater, — es kann nur der Schwiegervater sein — ist
aufgestanden, um mit der jungen Vermählten anzustoßen.
Er ist in Hemdsärmeln und, da er sich vermntlich einen
Kuß leisten will, so trocknet er sich bereits mit der Ser-
viette die Lippen. Lächelnd sieht seine Frau mit der
sanberen weißen Haube seinem Beginnen zu. Alles hat
deni Alten seine Aiifmerksamkeit zugewandt. Nur ein
kleines Mädchen, dem es mit dem Trinken und dem Sitzen
zuviel wird, kehrt ungeduldig mit einem Blumenstrauß
den Tisch. Das ist ein lustig sonnenfrohes Bild, und
wer nur einige Zeit in Frankreich gelebt, nur einmal im
Bois de Vincennes schon eine Hochzeit kleiner Leute mit
angesehen hat, der muß der Feinheit der Beobachtung,
wie der Macht des Ausdrucks, welche Fourie bei An-
wendung des Verfahrens der modernen Schnle zu Gebote
stehen, die höchste Bewunderung zollen. — Die vom Ge-
witterregen überraschte ländliche Hochzeitsgesellschaft Brispots
ist ein Bild voll überschüumenden Huinors, von fesselndstem
Jnteresse, welches in Bezug auf Beobachtung dem Fourie'schen
Bilde gleicht, dem es aber bezüglich der Kühnheit in der
Technik ganz bedeutend nachsteht.
Jm allgenieinen kann man bei diesen, wie überhaupt
bei den dem Landleben entnommencn Bildern den Einflnß
Millets mit seinem derben Rcalismns nicht verkennen,
und iinmer mehr verschwinden aus der Ansstellimg die
Salonbauern. Man sehe sich nur einmal die Bllder von
L'hermitte, Deyrolle, von Buland, auch von Breton an,
oblvohl letzterer schon eine allzugroße Senllmentalitüt,
andere meinen, eine schöne Poesie entwickelt, seitdem im
letzten Jahre seine „Lerche" so viel Furore gemacht hat.
Sie sind dem wirklichen Leben abgelauscht, und die Figuren
nicht blos mit Bauernkleidern kostümierte Modelle. Die ge-
nannten Künstler haben wahrePerlengeliesert. L' hermittes
„Mittagsrast in der Heuernte" ist eine Schöpfung aller-
ersten Ranges, Deyrollc mit seinen en knce gesehenen
Boccia spielenden Bauern, die dem Laufe der Kugeln
folgen, während einer derselben im Begriff steht, eine solche
abznsenden, sind das Ergebnis gewissenhafter Studien, wie
des Aufgehens in dem Geist der ländlichen Bevölkerung.
Bulands „Erben" zeigten uns die Jnteressiertheit und den
Ernst der kleinen Leute in allem, was Geldangelegenheit
ist. Es sind kostbare Figuren, die Buland uns da vor-
führt, frisch rasiert, im Sonntagsstaat vor dem geöffneten
Geldschrank, von dem eben das Siegel gelöst, und ganz
durchdrungen von der ebenso feierlichen wie einträglichen
Handlung, als welche diese Testamentseröffnung ihnen
erscheint. iSchiuß foigp
 
Annotationen