Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

DOI Artikel:
Heilbut, Emil: Schweizer Reisebrief, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0390

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3oe

Schweizer Reisebrief

Preise halten ihren Winterschlaf noch in den eingeschlossenen
Büchern. Man ist auf die kleineren Gasthöfe angewiesen,
die ihre Namen mehr aus der Zoologie als aus der
Geographie herleiten (es ist eine Preisfrage, woher die
Gasthöfe zum „Adler" und zu den sonstigen Säugetieren
immer billiger klingen als Hotel d'Angleterre oder gar
de Russie), man ist auf die kleineren Gasthöfe im Frühjahr
angewiesen, die auch mehr Gemüt haben und nicht so viel
Kellner, sie find die einzigen, die jetzt geöffnet sind. Und
wer das Windhundgeschlecht der Kellner haßt, der
fühlt sich auch bei dieser Lage der Dinge durchaus
nicht unglücklich nnd wünscht fich gar nichts Befferes als
aufgenommen zu werden wie wir, als wir in die Stadt
Brunnen am Vierwaldstädtersee kamen. Den Burschen,
der unser Gepäck trug, hatten wir vorausgeschickt, damit
uns das Getrappel seines Schuhzeuges nicht im Genusse
der schönen Nacht störte, und langsam, uns freuend, folgten
wir. An der Thür des Hauses empffng nns die
Schaffnerin, wohlgebant, ansehnlich blond, ehrenfest, leuchtete
uns die Treppe voran und empfahl sich an der Thür
unseres Zimmers — kein Kellner, wie der Dichter singt,
hat sie begleitet. Ein reizendes Zimmer erwartete uns,
mit höchst heiter geschnörkelten Tapeten, deren große Muster
nach der alten Mode ihre langen goldglitzernden Arabesken
über den weißgraucn Grund zogen. Es waren stillose
Tapeten, man macht heutzutage viel geschmackvollere, aber
sie waren in ihreni maßhaltenden Prunke treue Spiegel
der Art, in der unsere Großeltern kunstlos behaglich ihr
Leben mit kleinen Ahnungen von Luxus fchmückten. Jch
erinnere mich noch deutlich des sreundlichen Glanzes ihres
Goldmusters, beim Licht der beiden Kerzen aus unseren
Tischen. Unsere beiden Betten standen rechts vom Eingang
das eine, links das andere wie Zwillinge an den Wänden,
einander dicht gegenüber, zwischen ihnen gab es einen
schmalen Streifen hellen Fußbodens, und geradeaus lag
das Fenster mit schöner Aussicht auf die in bescheidenen
Verhültnissen bewegte Brandnng. Leise schlugen die Wellen
gegen das Ufer, in breiter Flüche lag auf dem See der
Mond und ließ seine Helligkeit voll in nnser Fenster
strömen, welches wie ein Auge ohne Wimpern kahl war
nnd dem Glanz sich nicht verfchließen konnte, aber wir
beide schlossen unsere Augen, ein doppeltes Gutenacht ward
nur noch gehört und das regelmäßige liebliche Geränsch
des Wassers wiegte uns in den angenehmsten Schlas.
2.
„Thalatta, Thalatta," deklamierte früh um sieben der
Freund und legte den Kopf an die Fensterscheiben. Der
Wind ging stark, der Vierwaldstätter See war bewegt.
Die kecken, frischen Wellen warfen wie im Spiel mit den
Windstößen die Köpfe zurück, kräuselten sich, hoben sich in
cntzückenden Linien aus dem Wasser in die Höhe, auf dem
Kamm mit weißem Gischt gekrvnt und schoben sich ohne
Unterlaß Schicht auf Schicht dem Lande zu. Sie dröhnten
klatschend gegen die Balken oder rollten langsamer, sich
glüttend und wie dünner Faden sich ausbreitend den
sanft aufsteigenden Sandboden aufwärts, zogen sich danach
teilweise zurück oder zerstoben, zerflossen und zergingen
perlend auf den glitzernden Steinchen des Strandes. Wir
bestiegen in froher Laune das Dampfbot und bald setzte
sich der mächtige Kasten auch in Bewegung. Es schaukelte
wirklich beinahe wie auf dem Meer. Gleich Blitzen zuckten
die fliehenden weißen Linien der schäumenden Wellenkämme

über die blaugrüne Flut hin, und hinter dem Radkasten
brodelte das Wasser weiß-grünlich in undurchsichtig schlei-
miger Masse. Wir hielten auf freiem Verdeck dem Winde
stand und kamen uns, wie wir uns gegenscitig mitteilten,
deshalb wie homerische Helden znr See vor. Zugleich
machte die Energie, mit der unser Dampfer die Wellen
durchschnitt, unsere eigenen Herzen stolzer schlagen, wie als
wäre diese Energie dcs Dampfers unser eigcnster Jmpnls.
So pflegen die Menschen bei einer Sinfonie an den Konzert-
abenden nach dem ersten Satze, in dem gekämpft wird,
nach dem zweiten, der so lang ist, nach dem dritten, in
welchem im Scherztakte gestampft wird, endlich beim viertcn
die Köpfe zu heben, bcim glorreichen vierten, dem schließenden
Satze, in welchem nach dem Ausspruch aller Konzertkritiker
die Mnsik der Sinfonie — es wird von jeder behauptet —
aus der Nacht znm Licht dnrchdringt. Jeder atmct auf
und blickt befreit nach den Damcn im Konzertsaal, oder be-
geistert nach der Lnftklappe am Plafond hin, die zum
Schluß geöffnet wird, kühn, als hätte man eine große That
vollbracht als man die Musik hörte, während man doch
nur den Komponisten hat walten lassen. Jch halte den
Vergleich für homerisch und kehre zu uns zurück. Wir
hobcn nns mit jedem neuen Siege, den der vorwärts-
strebende Dampfer über die Wellenberge davontrng, stolzer,
jeden Einschnitt, den der Dampfer machte, begleiteten wir
mit gleichsam znr Attacke vorwärts gebeugter Haltnng.
Wir streckten uns königlich znrück, wenn wir die Welle ge-
schnitten hatten und der Danipfer in die Tiefe drang, und
dachten mit in die Stirn gedrückten Hüten, wie weiland
Promethens dachte, bedecke deinen Himmel Zeus, nnd fanden
nnsere Sitnation sehr anregend. Die Fahrt war in dcr
That köstlich. Breitspurig, jeder Zoll Seeratte, standen
wir anf dem schwanken Vorderteil in der Nähe des wärme-
spendenden Schornsteins, en plein air, und sahen mit
Wonne über die wildbewegten Wasser hin und anf die
wie im Tanz hinfliegenden klfer. Die User flogen in
Wahrheit an nns vorübcr bei dcr andaucrndcn Geschwin-
digkeit des Dampfers, aber anf der Höhe der Tellskapelle
wollte cs mir doch scheinen, als ob der Dampfcr hicr es
ganz besonders eilig hätte; seine Geschwindigkeit ward fast
nnheimlich, und wenn er Mensch nnd Maler gewesen
wäre, würde ich geglaubt haben, er sei in die Flncht
gejagt von den Fresken in der Tellskapelle, an
der wir vorbei mußten. Als wir die Fresken hinter
uns hatten, beruhigte sich richtig der Dampfer wieder,
der Sturm schien ihn weniger zu schrecken. Ter war
inzwischen nun orkannrtig geworden, dazn hagclte cs
heftig und die Berge hatten sich eingehüllt. Das ist der
Fön, sagte mein Freund mit Bestiinmtheit, denn er
fühlte es in den Beinen, iminer wenn Fön war, wurde cr
müde in dcn Beinen. Jn Flüelen, wo unser Dampfer
hielt, stiegen wir direkt auf die Eisenbahn, weil nach dem
Urteil sämtlicher Flüelenser das Wetter, imnier wenn es anf
dieser Seite des Gotthard schlecht (schlert sagten sie) ist, anf
der italienischen Seite des Gotthard vorzüglich sein iuußte;
haben wir Sonncnschein, haben sie Regen, sagen die Be-
wohner dcs Landes. Und wir fuhren nun, immer im
Hagel und also dem vollgiltigen Anspruch auf blaue Lüfte
jenseits, erwartungsvoll auf den Gotthard zu, an manchem
schönen Fall der Neuß, an dem sonst so schönen
Pontresinerthal vorbei. Endlich kam das große schwarze
Loch des St. Gotthard und nnhm uns in seinen
Schlund auf. Es rasselte, als ob der Zug an Ketten
 
Annotationen