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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Pecht, Friedrich: Acht Tage in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0410

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Acht Tage in Mien

vor dem Parlamentshous, noch die Via Vittorio-Emmanuele in Rom, oder dic Linden in Berlin können sich
damit messen. Am allerwenigsten durch den künstlerischen Wert ihrer Gebäude.
Bedenkt man aber, daß diese Riesenbauten alle in den letzten dreißig Jahren errichtet wurden. also
in einer Periode, während welcher Österreich mehrmals am Rande des Verderbens stand, so erstannt man nber
die Lebenskraft dieses so oft als todkrank geschilderten Staates, der dies alles zu leisten vermochte in einer
Zeit, wo jedem anderen selbst der Gedanke an solche Schöpfungen vergangen wäre. Was haben denn das
reiche rcpublikanische Frankreich, oder das noch reichere England während dieser Zeit von ähnlichen öffentlichen
Bauten geschaffen? Was Jtalien, oder selbst das dvch noch weitaus thätigste deutsche Reich?
Allerdings dürfen wir Dentsche anch diese kolossale Leistung für uns in Anspruch nehmen, da sie
nnsern österreichischen Brüdern ganz allein gehört, und weder Czechen und Polen, noch Ungarn und Jtaliener
den mindesten Anteil an derselben haben, weder geistigen, noch materiellen, so wenig als an den noch sonst in
Wien entstandenen herrlichen Neubauten, unter denen eine Reihe fast zn prachtvoller Privathäuser, wie der
riesige Ziererhof von König, die prächtigen deutschen Renaissance-Häuser am Stephansplatz, die nicht minder
schönen neben dem Rathaus von Nenmann u. a. m. einen hervorragenden Wert beanspruchen. Wir können
also wohl mit frohem Stolze auch diese glänzenden Leistnngen dem deutschen Geiste, der deutschen Thatenlust
zuschreibcn; es sind Kinder derselben Kraft, die sich auf den Feldern von Metz nnd Sedan erprobte. Ja,
ohne das Jahr 1870 wären anch sie nnmöglich gewesen, die fast sämtlich nach ihm und getragen von seinen
Erfolgen, entstanden. — Nach solcher Kraftprobe scheint es daher doch cin wenig überflüssig, an Österrcichs
Zukunft zu verzwei'eln. Wenigstens so lange es sich von dem Geiste tragen läßt, der hier so Großes
hervorgebracht.
S
Besucht man heute Berlin, so macht es einem den Eindruck eines von Kühnheit und Kraft strotzenden
Emporkömmlings, der es weiß, daß ihm die glänzendste Zukunft bevorsteht, da er alles sich und seiner Arbeit
verdankt, sich Schritt für Schritt alles erkämpfen, bald der kargen Natur, bald den feindlichen Menschen
abringen mußte. Das gibt jenes stolze Siegesbewnßtsein, welches einem dort auf Schritt nnd Tritt entgegen-
kommt und die einst so langweilige Stadt zn einer der schönsten und jedenfalls znr bestverwalteten umgeschasien
hat. —- Ganz im Gegenteil macht Wien daneben den Eindruck eines alten Aristokraten, dcr einen reichen
Besitz ererbte und ihn jetzt klng und mit großem Sinn zu vermehren trachtct. Aber alle seine Neuerwerbungen
tragen bereits einen vom früheren Bestand wesentlich verschiedenen, ganz modernen Charakter, sie dienen dcr
Wissenschaft, der Kunst, oder der Geld-, nicht nur der einst allein herrschenden Geburts-Aristokratie. Beiden
gemeinsam ist nur der glückliche leichte Sinn, die nnerschöpfliche Freude am Schönei Jn Berlin lebt man,
um zu arbeiten, in Wien arbeitet man, um zu genießen, das unterscheidet die beiden Städte ebenso gründlich,
als es nns deutlich zeigt, welcher von beiden die Zukunft gehört. — Denn in Berlin gewahrt man überall
den rüstigsten Fortschritt, während in Wien jetzt nnleugbar, wenn nicht ein Rückgang, doch mindestens ein
zeitweiliger Stillstand unverkennbar ist. Hat doch offenbar die Monarchie ihren deutschen Charakter verloren
und ist eben deshalb Wien nicht mehr so dcr Mittelpunkt Österreichs, als Berlin der von Dentschland zu
werden beginnt. Wenn beide Städte einen kolossalen Umban erlebten, so ist es ganz charakteristisch, daß er in
Berlin mit ciner Hauptwache, in Wien mit einem Opernhans begann, nnd jetzt mit dem Bnrgtheater anscheinend
abschließt, während er in Berlin erst recht in Gang kommt. Jn Münchcn begann cr einst mit der Glyptothek
nnd endigte mit der Akademie der Künste. Das ist ganz in der Ordnung, denn in München ist die Knnst
alles, in Wien sehr viel, in Berlin nichts, das heißt: sie ist nur ein Mittel der Macht, wie vieles andere,
der Charakter des Staates ist heute noch soldatisch, nicht künstlerisch. Jn Wien bemerkt man dagegen das
Militär kaum, das einem in Berlin auf Schritt und Tritt begegnet und der ansgesprochensten Gnnst einer Be-
völkerung genießt, von der jeder Soldat war, ist, oder sein wird. Um so entschiedener tritt in Wien der
durchaus künstlerische Charakter seiner der bayrischen ja stammverwandten Bevölkernng hervor, ihre Lust an
der Verzierung, am Schönen jeder Art. Dürfen sich neben den Wiener Neubauten die Berliner allerdings
nicht sehen lassen, so hat denn auch der dem Sparen überhaupt abgeneigte Staat bei ihnen wahrhaft ver-
schwendet. Besonders an dem alle an Lebendigkeit und heiterer Schönheit übertreffenden Burgtheater. Gerade
dadurch aber ward es so sehr die Verkörperung des Wienerischen Charakters, wie kein anderer der Wiener
Bauten. Jene erste Bedingung jedes grvßen monumentalen Werkes: daß es den Stempel der Zeit und der
Bevölkernng trage, in deren Mitte es entstanden, erfüllt äußerst selten ein Gebände in so hervorragendem
Maße, als dieses Meisterwerk Hasenauers, der vor allem ein Wiener ist, wie es nur je einen gegeben.
Jch erinnere mich nicht genau, wie viel von dem ersten Entwurf Sempers übrig geblieben, jedenfalls hat ihm
Hasenauer erst das leichtlebige Wiener Wesen aufgedrückt, ihm jcnen ewigen Sonnenschein der dortigen Kunst
erstrahlen lassen, den wir ganz ähnlich bei Mozart, Schwind, Makart, Passini, Ferstel und Weyr finden.
Man wird schon froh, wenn man dcn Bau nur eine Weile ansieht, so reizvoll und lebendig bewegt ist alles
 
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