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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Köhler, Robert: Der amerikanische Kunstzoll
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0433

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Der amerikanische liunstzoll. von R. Aöbler

verschafft und zwar nicht ausschließlich in den sogenannten
tonangebenden K'reisen, denn die Tagespresse sorgte in der
ansgiebigsten, lvenn anch nichi iimner in der verständnis-
vollsten Weise für die allgemeinere Verbreitnng desselben.
Als der Wunsch nach Aufhebung des Zolles einmal Ans-
druck gefnnden, trat die gesamte Presse der Nord- nnd
Oststaaten für „freie Kunst" in die Schranken; nnr selten
erhob sich dagegen ein beachtenswertes Blatt; kanm ein
Künstler von Bedeutung, weder in den Reihen der selbst-
verständlich als „konservativ" geltenden Alten, noch der
„fortschrittlichen" Jüngeren, schien etwas anderes zu be-
gehren, als die Beseitigung des unnötigen Zolles. Von
den in Enropa studierenden Amerikanern ward vor etwa
fünf Jahren, angeregt durch den ^meriaan ^.rtist's Llnb
in München, eine Petition an den damaligen Finanzminister
Frelinghnysen gerichtet, in welcher, anßer nm eine Ermäßignng
der damals schon ziemlich bedeutenden Konsulatsgebühren,
nm die Beseitignng des Zolles anf die Rahmen der zollfrei
eingeführten Bilder im Auslande lebender Amerikaner
nachgesucht wurde, nnd dies gab wohl den ersten Anlaß zu
einer Agitation seitens der Künstler in der Zollangelegen-
heit überhaupt. Mehrere Kongreßmitglieder wnrden anch
bald für die gnte Sache gewonnen, und von diesen ein
Gesetzentwurf znr gänzlichen Aufhebnng des Kunstzolles
eingebracht, dessen Annahme in den Künstlerkreisen als
ausgemachte Sache galt; hatten wir dvch die gesamte bes-
sere Presse für nns, das Land befand sich in glänzenden
finanziellen Verhältnissen, und das Opfer, welches wir von
Onkel Sams Säckelmeister verlangten, war ja kein allzn-
großes! Der Tag der Entscheidnng kam, und — der
Zoll ward auf 30"/^ erhöhtü Das Erstannen über
dieses unerwartete Ereignis machte bald einer tiefen Ent-
rüstnng über den mutmaßlichen Urheber dieser Maßregel
Platz, und nnn begann eine eifrige Snche nach dem Un-
seeligen. Akan verdächtigte diesen und jenen der älteren
Künstler, znerst nnr privatim, dann öffentlich, doch jeder
wies den Verdacht entschieden zurück: man verfiel anf die
Kunsthändler, ohne sich recht klar zn sein, wos die eigent-
lich dabei gewinnen sollten; auch diese leugneten die Vater-
schaft. Zuletzt blieb dieselbe an eineni Advokaten in Phi-
ladelphia hängen. Dieser gute Mann hatte sich in den
Kopf gesetzt, daß die einheimischen Künstler zn sehr unter
der Konknrrenz mit den answärtigen zu leiden haben, nnd
daß man dieser Konkurrenz einen Damm setzen müsse. Für
diese philanthropische Ansicht gewann er bald Anhänger genug
nnter den weisen Räten des Landes, bei denen sich auch
bnld noch eine andere Anschauung geltend machte, die dcn
Zweck fördern half und in der That sich schließlich als Haupt-
trumpf erwies: die Ansicht nämlich, daß jedes Kunstwerk
ein Luxus sei, welchen sich nnr die Reichen gewähren
können, und diese sollten auch dafür besteuert werden! Daß
eine solche Anschauung in maßgebenden Kreisen die vor-
herrschende sein sollte, erscheint dem Europäer, bei dem
das Wirken nnd der Geist der Kunst sich längst im all-
täglichen Leben mehr oder weniger Geltnng verschafft,
wohl als nahezu unbegreislich. Allein es ist zu bedenken,
daß, wenngleich das Bedürfnis nach künstlerischen Thaten,
nach der Pstege des Schöneu eiu alleu Völkeru angebornes
ist, doch vor allem die Notwendigkeit der Erlangung des
materiellen Wohles sich geltend macht. Wen dieser Drang
erfaßt, dem bietet sich nur der flüchtige Genuß des Augen-
blicks, der hat keine Zeit, sich viel uni die Entwickelnng
des Schönen zu kümmern; das gilt, wie vou Jndividuen,

so von Nationen; und daß gerade in Amerika derselbe noch
immer dcr vorherrschende ist, ja sich oft noch eher zn ver-
scharfen droht, ist ein ganz natürliches Symptom nnserer
nationalen Entwickelnng, ja überhanpt ein Zeichcn der Zeit,
in der wir leben. Allein sv niächtig anch diese rein materielle
Phase erscheint, neben dcrselben cntwickclte sich doch cbenso
naturgemäß ein idenleres Strebcn, das namentlich im Lanfe
der letzten Jahrzehnte cine Ansdchnnng angenommeii, wie sic
eben nur in einem zn so rascher Entwickelnng fähigen Landc
möglich ist. Jn dcn kanm sünfzig Jahre zählenden
Städten des Westens, in dencn bis vor kurzem kanm ein
anderes als nnr prvvisorisch seincn Zwecken dicnendes Ge-
bände errichtet wurde, erheben sich jetzt stolze Bauten für
Mnseen, Galcrien nnd Kunstschnlen, ans Privatmitteln
erbaut und crhalten. Da, wo wir als Buben vor fünf-
undzwanzig Jahren noch die Geschicklichkeit der bunlbe-
malten Jndianer bewnnderten, wie sie mit dem gefiedertcn
Pfeil nach kleinen Kiipferniünzen schossen, die wir ihnen
als Ziel aufsteckten, da zeichnet die hentige Jugend nach
deu klassischen Formen der Antike. Und nm das kümmert
sich der Staat noch nicht: — glücklicherweise, denn da,
wo er seine väterliche Fürsorge beweisen wollte, wählte
er gerade das faische Mittel, wennglcich es den redlichen
Willen beknnden sollre, der einheimischen Knnst förderlich
zu seiu. Man hat behauptet, daß anch maucherlei poli-
tische Rücksichteu dabei im Spiele waren, als die Tarif-
frage im Kongreß zur Sprache kam; doch wie dem auch
sci — ausschlaggebend war die Ansicht, daß jeder Lnxns-
artikel bestenert werden sollte, und daß die Werke der
Kunst in diese Kategorie gehören. Anfs neue wurde dagegen
Protest erhobcn. Nm eine anthentische Angabe über die
Ansichten der amerikanischen Künstlerschaft in diescr Frage
zu erhalten, versandte das Künstler-Komitee des Union
League-Klub in Newyork eiu Zirkular an sämtliche Küustler,
iu welchem sie um die Erklärung ihrer Ansicht gebeten
wurden. Das Resultat war, daß von 1242 eingelau-
fenen Antworten sich 1160 für gänzliche Bescitigung des
Zolles erklärten; 25 für deu früheren Zoll von 10°/^;
teilweise zollfrei 17; für den spezifischen Zoll 42 nnd
nur 8 für die bestehenden 300/o-
Auch dieses Nesultat wurde dem Kongrcß vorgelegt
und dnrch den Nepräsentanten Belmont abermals ein
Gesetzentwurf eingcreicht, welcher die Aufhebung des Knnst-
zolles bezweckte, allein wiederum vergebens. Umsonst
wurde der Kongreß auf schvn eingeführte und noch be-
vorstehende Repressivmaßregeln auswärtiger Negierungen,
unter welchen den Amerikauern das Stndium in Europa
erschwert wnrde, aufmerksnm gemacht: die verschärftcn Aus-
fuhrbestimmungen dcr italienischen Regierung, die auf-
fallende Ubergehnng amerikanischer Kunstwerke bei der
Prämiierung im Pnriser Salon; das alles schien sie nur
zu verstärkeu in ihrer verbissenen Ausicht, die Kunst müsse
natioual sein, und um das zn werden, solle sie von frem-
dem Einflusse frei bleiben, es sei besser, unsere Künstler
bleiben im eigenen Lande. Gegen eine „nationale Kunst"
konnte allerdings niemand ernstlich protestieren; doch wie
nnseren hochweisen Landcsväteru bcgreiflich machen, daß
wir vor alleu Dingen die Kiinst überhaupt erst beherrschen
mnssen? Männer, die kein größeres Knnstwerk kennen als
das Washington-Monument in der Bundeshauptstadt, keine
wciseren Gesetze als die selbstgemachteu, sind nicht so leicht
zu bekehren, wenn man ihnen die „veralteten Jnstitutionen
der ausgemergelten Monarchien Europas" als Muster
 
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