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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Adelmann, Alfred: Des Genius Flug: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0435

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Des Gcnius Flug

Z-z2
Der göttliche Fwike!-Ein Bestundteil dieses Gottes-
vdcms ist dns Tcilent, — das Talent, anch ihm, dem Künst-
ler, verliehen, — spärlich freilich ancrkannt von dem hcrr-
schenden Geschmack, von der Biode des Tages. Aber das
Talent ist, leb t in ihm, knnstvoll und mächtig, zur Höhe
zichend, ihn erfnllend oft so stark, als mnßte es die Brust
ihn, sprcngen, — als müßte es jene Fesseln zerreißen,
woniit die Seele an die Niedrigkeit des Alltagslebens ge-
schmiedet ist.-Das Jdeal des Schönen blühte
in ihm, glühend, farbenprächtig, aber nicht das Jdeal des
Schönen allein, sondern dnneben das Jdeal der Ziele der
Menschheit, ihrer Strebnngen nach Vervollkommnung des
Menschendaseins! ....
So rief es bcgeistert in ihm, die Schaffenslnst regend,
dic Kräste des Geistcs bclebend und schärfend. Lichte,
reine, Schönheit strahlende Gestalten der Wahrheit zogen
dnrch scine Seele, — dancben in finsterer oder gleißnerisch
lockender Gewandung die Gestalten der Lüge, des Hasses,
der Zwietracht und Falschheit, wie der knechtenden Herrsch-
gier. Und während des Künstlers Auge auf der Pracht
der großartigen Alpenwelt ruhte, bald dort in der Tiefe
das Dampfschiff verfolgend, welches die Fluten des Thuner-
sees dnrchfurchte, bald über die dnnklen Wälder und saf-
tigen Matten der Abhänge gleitcnd — und dann wicder
die Linien der hochragenden, felsigen Bergesgrade nnd der
glitzernden Schneekuppen verfolgend, durchdrang sein Geist
Gegenwart und Vergangenheit.
Ein Sonnenstrahl fiel dnrchs Gezweig der Fichte,
welche den Sinnenden bcschattete, spielte ihm nms Haupt;
nnd als sei derselbe ein Segensgrnß der Gottheit, so er-
kannte er plötzlich den Kern der Gedanken, die ihn durch-
stürmten, den Mittelpnnkt der Gestalten und Bilder, die
seine Seele dnrchzogen.-Ter Gottcsfunke war in
ihn getallen, und klar, scharf nmrisscn, zeigte sich seinem
Talente der bildungsfähige Plan zu cinem nenen großen
Werke. Heißen Gluten gleich fühlte er in sich den Odem
des Genius: ihm war, als werde ihm die Brust zi» eng.
— Er erhob sich. — —
Was er da empfand, war das Göttliche im Menschen,
war die Knnst und Hoheit des Talcnts, — war das
reinste, vollkommenste Glücksgefühl, dessen erhabencr Gcnnß
nur dem Genius zn teil wird. Losgelöst vom Körper
erscheint da die Seele, erfüllt von überirdischer Kraft, und
der schöpferische Geist fühlt sich als ein König im Reiche
der Gedanken, als ein Fürst von Gottes Gnaden!
Jm Thale länteten die Glocken, denn es tvar Sonn-
tag heute. Von Jnterlaken, von Spiez, von all' den
nüchstliegenden Uferorten des Thnner nnd Brienser Sees
sandten dic Kirchen ihren friedlichen Gruß zn den Berges-
höhen nnd der freien Natur hier oben und bestärkten die
weihevolle Stimmnng des cinsamen Künstlers.
„Ein großer Gedanke voll Schöpferkraft
Wirkt sonnenhast,
Steigt in leuchtender Krast
Aus dem Schoße der Nacht
Wie das F-rührvt auf,
Jn feurigem Lauf
Alles enlziickeiid."

Diese Wvrtc dcs zeitgenösfischen Dichters klangen
ihm durch den Sinn. — Er stand in stiller Andacht —
im Herzen: die hvchste Befriedigung des schaffendcn Künstlers,
por den Blicken: die Herrlichkeit einer Natur, deren er-

habene Schönheit nnd wunderbare Mannigfaltigkeit im
Wechsel von gigantischcr Größe und entzückender Anmut,
so mächtig, wie heute, ihn noch nie ergriffen hatte. . . .
Mit einemmcil: ein dumpfes, donnerartiges Getöse,
-dann ein Rollen und Brausen, ein Reißen, Bersten
und Splittcrn, — nnd jetzt ein gewaltiger Windstoß, der
den Künstler jäh zu Boden warf. Und wie dieser, am
Stamm der Fichte sich festklammernd, rasch sich wicder
emporrichtcte, snh er die Luft um sich her verdunkelt, ge-
wahrte er rechts nnd links und über sich Felsstücke nnd
Steine unter sansendem Getöse dahinfliegen, -— Staub-
wolkcn umherwirbeln.-Eine Sekunde später rnndum
ein furchtbarcs Dröhnen, ein Krachen und Ächzen, — und
nun traf ihn plötzlich ein wuchtiger, niederschmetternder
Schlag. — — Er tanmelte, — stürzte zusammen, — —
vernahm noch das sich entfernende Donnern und Bransen,
— und jetzt, wie aus weiter Ferne und dennoch ganz
deutlich, den Sang einer geliebten Stimme:
„Möcht' sich zur Sonne schwingen.

Da plöhlich unbewußt,
Hebt es ihn aus den Fluten:
Mächtig rauscht sein Gefieder,
Er singt, — o sel'ger Klang! —
llnd sterbend taucht er nieder,
Sein Herz vvr Lust zersprang." ...
Die Sinne schwanden ihm und wie leblos lag er
am Boden, zu Füßen der mittendnrch geborstenen Fichte
und umgeben von grauenvoller Verwüstung der soeben
noch lachenden, blumenübersäten Matte, welche nun unter
einem Trümmerhanfen von Felsblöcken, Schutt und Geröll,
entwurzelten Bänmen und zersplitterten Ästen begraben lag.
Still war es jetzt wieder hier oben: die Ruhe des
Grabes; vom Thale her aber schallte noch immer das
Donnern und Dröhnen des wild über die steile Bergwand
dahinbrausenden und alles zermalmenden oder mit sich
fortreißenden gewaltigen Felsblocks, der sich hoch oben vom
Grade der Wandfluh gelöst und all' dicse Verwüstung
verursacht hatte. — —
Da — aus der Tiefe, vom Seenfer her — ein
angstvolles gellendes Rufen nnd Schreien von Menschen-
stimmen, — dann ein dnmpfes Brechen und Krachen,
— --eine Weile Stille, — und jetzt ein Wehklagen,
dessen markerschütternde Art deutlich znr Bergeshöhe herauf-
schallte.
Hier oben auf der verwüsteten Matte stand die Senn-
hütte noch, wenn auch am Dache stark beschädigt, und
davor, dicht znsammengedrängt, der Rest der Rinderherde,
wovon ein beträchtlicher Teil zerschmettert nnd fortgerissen
war. Die beiden Älpler eilten bestürzt umher, den in
ihrer Herde entstandenen Schaden festzustellen und nach
etwa zersprengten Rindern auszuschauen. — -— Da ge-
wahrten sie erschrocken den Fremden blutend und schwer-
verwundet zu Füßen der zersplitterten Fichte. — Sie unter-
suchten den Besinnungslosen: — — er lebte noch. -—
Nach kürzer Beratung fertigten die Hirten aus dem umher-
liegenden Astwcrk cine Bahre, bedeckten dieselbe mit weichem
Gezweig, legten den Berwundeten darauf und begannen
mit ihrer Last zu dem eine gute halbe Stunde entfernten,
auf dieser Höhe einsam liegenden Gasthof „Alpenrose"
hinabzusteigen.
 
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