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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Heilbut, Emil: Das Marseiller Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0057

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von kserman kselfcrich

Z9

Aus der allen Humpenburg im Jahre 1833 („Sophieuprozrffion"). von I. Petzl

Vorzüge au sich besitzt, so giebt sie doch das Bild nicht
wieder und man muß dieses im Originale sehen. Es
lohnt den Besuch dieser Galerie, welche in einem
Gebäude ist, das nicht verdienen würde, ein solches Werk
zu besitzen, weil die Formen des Gebäudes recht gut für
das protzige Kasino eines Sommerbades, recht schlecht aber
als Rahmen sür die Gebilde der Kunst sind: man wird
übrigens begreifen, daß, wenn das Gebäude den Ein-
druck eines „hocheleganten" Kasinos oder Ausstellungs-
tempels macht, es in den Angen der Marseiller als rechte
Provinzler, ganz vortrefflich ist. Das Licht in diesem
Gebäude ist elend; das sehen die Marseiller nicht, denn
sie gehen nicht hinein. Säulenhallen gehen aber daran
herum, und Wasserfälle plätschern da von oben nieder,
und es ist in einem Feenschloßstile aus einem Ausstattungs-
stücke gebaut. Und die Marseiller glauben, es ist ein Archi-
tekt von Genie gewesen, der es aufgebant hat, während es
die Nicht-Provinzler anmutct, als wenn sie eine Theater-
koulisse plötzlich bei Tage sähen. Der Millet aber zeigt eines
der größten Wunder der Malerei. Man sollte nicht glauben,
daß ein genrcmäßiger Vorgang, wie dieser, daß eine Bauern-
frau die Suppe, die ihr Säugling zu sich nehmen soll,
vorbereitet, zu „großem" Stil sich eignet; und dennoch
ist hier ein Gemälde in großem Stile da, und noch mehr:
mau ist genötigt, Millet zu bewundern, daß die Anstreng-

ung, die er sich jedenfalls gegeben hat, um die Lebens-
erscheinung bis zum Stil zu vereinfachen, von uns in
diesem Falle nicht stärker bemerkt wird, daß hier, bei sogar
lebensgroßen Figuren, die Milletsche „Formel" ganz zwang-
los wirkt. Man glaubt an diese Frau, man wird sie nie-
mals mehr anders sehen, als zu diesem Stile vereinfacht.
Das Geheimnis aller großen Kunst hat Millet hier, ganz
so bedeutend, als wenn er einer der alten Meister wäre,
sich zu eigen gemacht. Ein Abendstrahl fällt über Mutter
und Kind. Dieses, auf dem Schoß der Mutter liegend,
öffnet Augen und Mund weit und zeigt die Weichheit
seines Fleisches; es lebt bis zu den Fußspitzen; die Zehen
drängen sich aneinander; und doch so stabil ist hier alles
trotz des Lebens seiner Teile; eine Gruppe wie vom Bild-
ner gestellt; indessen nicht etwa darum, nicht wie von
einem Maler gemalt, vielmehr in der nobelsten Em-
pfindung für Ton: ohne „malerische" Gegensätze ist sie
doch in einer großen Kunst der blonden, sich in der
Wiedergabe der wahren Luft im Raum bethätigenden, nur
durch ein Rot der fernen Lainpenbeleuchtung vor dem
hellgrauen Hintergründe erhöhten Farbe hervorgebracht.
Man muß es sehen, um sich zu überzeugen; und man
muß es wiederholt sehen, um seiner enormen Vorzüge
inue zu werden. Während diese Mutter an nichts als
daran denkt, daß sie die Suppe kälter werden lassen will,
 
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