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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Die XXII. Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [1]
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Personal- und Ateliernachrichten - Preisausschreiben - Ausstellungen und Sammlungen - Vom Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0300

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2Z6

Die XXII. Iahresausstellung im wiener Rünstlerhause. — Personal- und Ateliernachrichten.

Sternenschauer schwebende, vom sonnabendlichen Strahl
Getroffene, aus Lilien Himinelaussteigende und als Säerin
die Furchen Beschreitende, bleiben unvergeßlich. Man darf
diesen religiösen Vorwürfen ein großes Gemälde von
Adalbert Seligmann anschließen, welches nach dem
der Odyssee entnommenen Motive Hermes als Toten-
führer, der die Seelen nach dem Hades geleitet, darstellt.
Die lebensgroßen Gestalten, Hermes voran, dessen eine
Hand der Vorderste aus dem bleichen Schwarm, ein Greis,
gegen sein Antlitz drückt, sind mit bemerkenswerter Energie
gegeben, obwohl die Formbeherrschung manches zu wünschen
übrig läßt. Fledermäuse flattern über dem stillen Wasser,
durch das grünlichte Hadesgeklüft, wo ewiges Schweigen.
Der Künstler, welchen die Ncuschule zu der ihrigen zählt,
hält sich hier, dem Stoffe entsprechend, in der Über-
lieferung; von Dogma keine Spur.

Das Bildnis ist diesmal mit mehr als einem halb-
hnndert Nummern Glanz und Stärke der Ausstellung.
Zwar fehlen Lenbach und Angeli, aber trotzdem haben
wir im Künstlerhanse selten so viel gute bildnishafte
Menschenmalcrei beisammen gesehen. Man sieht, diese
Kunst blüht und nährt. Zwei Gäste möchten wir in
erste Reihe stellen: Marr und Brütt. Der Maler
der „Geißler" gibt das Sitzbild seines Vaters; cs ist
schwer möglich, mit schlichteren Mitteln größere Künstlcr-
schaft darzuthun: der „alte Hanns", so ohne alle Zuthat hin-
gesetzt, ist uns noch lieber, als sein vorjähriges Porträt,
das ihn beim Ciselicrcn darstellte; nichts zieht hier ab.
Nahezu ebenso erfolgreich ist der Düsseldorfer Sittenmaler
Brütt mit dem Bildnisse (Kniestück) des Professors Bauer;
in unmittelbarer Wirkung und vornehmer Haltung wird
dasselbe von keinem anderen Porträt der Ausstellung
übertroffen; der Kopf ist prächtig in der Lokalfarbe und
höchst glücklich beleuchtet. Von Defregger sind gesund
anmutende Kinderbildnisse da. Unter den Wienern ist
Poch walski führend. Noch vor Jahresfrist auf dem
Wiener Boden schwankend, ist er jetzt festgewurzelt zum
stillen Verdruß dieses oder jenes. Es hagelt Aufträge.
Viele Leute, die sichs erlauben können, lassen sich von
Pochwalski malen, um zu wissen, welchen Charakter sie
haben. Alan kann gar nicht weiter von Porträt-Ver-
anlaßtheit entfernt sein, als ein Bildnis von diesem
Meister der Ungezwungenheit. Man befürchtet beinahe,
solche Kunst sei zu natürlich, um lange Mode zu bleiben.
Bis auf weiteres ist jedoch selbst bei Pochwalski noch
ein Fortschreiten zu verzeichnen. Sein Vortrag ist sicherer
geworden, seine Technik klarer, seine Charakteristik noch
vertiefter. Wie hat er den vornehmen Charakterkopf des
Fürsten Georg Czartoryski aus dem innersten Wesen
herausgemalt, wie ist Herr v. Schvller hingesetzt —
natürlich den rechten Daumen nachläsig in die Uhrkette
eingehakt — wie markig und ächt edelmännisch Fürst
Camillo Starhemberg als Jäger geraten und welche
Beredsamkeit liegt in den prächtig gemalten Arbeitshänden
Kuffncrs. Ja, Pochwalski ist auch ein großer Handmaler,
Charles Bell hätte seine Freude an ihm.

Auch der Ungar Leopold Horowitz hat sich seit
einiger Zeit in Wien niedergelassen, dürfte also zu den
Unseren gezählt werden. Er steht gleichberechtigt neben
Pochwalski, ein ganz anderer zwar, aber kein Minderer.
Als Frauenmaler aufgetreten, siegte er mit dem Bildnis
der Fürstin Sapieha. Seitdem — kaum fünf Jahre
geht's zurück — ist er ein Erster und Begehrtester im

Porträt. Leider ist das Bildnis der Wiener Sängerin
Renard in „Weiß" nicht fertig geworden. So erscheint
der Künstler nur mit zwei männlichen Bildnissen: Franz
Pulszky und Fürst Lobanow. Ich ziehe hier den Joppen-
Demokraten dem Frack-Aristokraten vor; sein Porträt ist
eines der wahren Meisterwerke der Ausstellung. Würde
eine Porträtgalerie von ungarischen „Achtundvierzigern" an-
gelegt, dies Bild des alten Volksmannes und Museums-
direktors müßte an der Hauptwand hängen, als eines der
sprechendsten menschlichen Jnventarstücke des politischen
Magyarentums. Dies dreimal ineinandergeschobene ein-
gedickte Gesicht auf der kurznackigen gemütlich wanstige»,
in eine hellchokoladene Lodenjacke notdürftig eingeknüpften
Leiblichkeit würde die alten Holländer entzückt haben, so
unerbittlich-ehrlich ist er Zug für Zug förmlich heraus-
geknctet. Benczur tritt wieder als Zeremonien-Porträtist
auf, aber diesmal im größten Stile. Sein Graf Festetics
ist höchste Magnatenmalerei, aber ins Großzeremonielle
hat der Meister mit seinem Staatsporträt des Fürsten
Ferdinand von Bulgarien sieghaft hineingegriffen. Die
Bulgaren diesseits und jenseits des Balkan müssen ihre
Helle Freude an einem Fürsten haben, der einem Maler
so wahrhaft fürstlich zu sitzen versteht. Welch selbst-
bewußter Pomp liegt in diesem vom verbrämten Hcrrscher-
mantel umwallten Bildnis. So viel Sterne sind auf
dieser Brust aufgegangen, daß sich das Herz darunter
unwillkürlich stolzer heben muß. Das rieselt, flimmert
und irrlichtert nur von Orden, Schnüren, Ketten. Aber
nicht minder beredt Ivie die Staatsuniform ist auch ihr
Träger gemalt. Die sichere, jugendstramme Haltung, das
erhobene Haupt mit der gebieterischen Nase, diese auf
dem Prunktisch, der Krone und Kalpak trägt, ruhende
Fürstenhand, deren Finger freilich etwas zu lang ge-
raten — dies alles sagt: „Ich habe Vertrauen in mich
und meine Mission." In seiner Art ist das Porträt ein
Meisterwerk, denn, abgesehen von der Aufgabe, den inneren
Menschen malerisch auf die Oberfläche zu bringen, war
es hier kein Leichtes, alle Fanfaren des Repräsentations-
Bildnisses schmettern zu lassen, ohne Auge und Geschmack
zu beleidigen. Ein treffliches Zeremonienporträt ist auch
L'Allemands „Graf Hohenwart" im Geheimratsfrack.
Ein anderer bekannter Akademie-Professor Griepenkerl
bringt zwei schlicht gehaltene männliche Bildnisse, die ihr
Verdienst haben. Unter unseren jungen Talenten treten
Wilda und Krämer (aus der Müller-Schule) mit
schneidiger Frische auf, der Erstere mit dem dunklen
Stehporträt eines jungen Herrn, der kräftig und kühn
herausgemalt und vortrefflich im Lichte gehalten ist, der
Zweite mit einem Sitzbilde Exzellenz v. Stremayrs, der
sich behaglich-schmerzlich von vergangener Ministermühsal
ausruht. Lebediezkis Gabillon als Talbot möge nicht
vergessen sein.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)

-X-

Personal- u. Atelier-Nachrichten.

L Ll. Berlin. Die k. Nationalgalerie Pflegt die Toten
mehr zu ehren als die Lebendigen. So hat sie immer gezögert,
Böcklins längst erworbene Pieta auszustcllen und hat diesem
vorzüglichen Bilde erst nach unhöflichem Drängen der Presse
einen schlecht beleuchteten Platz im Borraum vor den Cornelius-
sälen angewiesen. Zwei unlängst verstorbenen Malern erweist
sie dagegen schnellere Höflichkeit, die der Direktion der National-
galerie zu um so größeren Ruhme gereicht, als die beiden jetzt
 
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