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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Muther, Richard: Alte und neue Kunstgeschichte, [2]
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Friedrich August Wittig: gestorben 20. Februar 1893
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0269

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Alte und neue Kunstgeschichte, von R. Akutster. — Friedrich August Wittig.

Stils den Alten gegenüber ernstlich in Vergleich komme, daß aber Constable, Corot, Rousseau Bilder geschaffen
haben, die sich vor den Alten nicht zu schämen brauchen und zugleich neu sind. Einen Corot zu beschreiben,
ist nun zwar schwerer als einen Cornelius. Trotzdem heißt es gewiß im Sinne der Nachwelt handeln, wenn
wir allmählich anfangen, unsere große Malerei, soweit sie aus zweiter Hand war, zurücklreten zu lassen hinter
den Werken, die als selbständige Leistungen des 19. Jahrhunderts für die Kunstgeschichte größere Bedeutung
haben. Nicht denjenigen, deren Tätigkeit darin bestand, die künstlerischen Bedürfnisse der Zeit — wenn auch
noch so geschickt — aus dem Vorrat fertiger überlieferter Formen zu decken, sondern den Pfadfindern, die
vorwärts gingen und Neues schufen, hat unser Kultus zu gelten. Selbst wenn ihnen neben den alten Meistern
nur ein Platz dritter oder vierter Klasse zustehen sollte, so müssen sie doch vor jenen andern immer noch den
Vortritt haben, weil sie sich so zeigten, wie sie waren, statt sich dadurch groß zu machen, daß sie auf die
Schultern von Toten stiegen. Manche jener einst Hochgepriesenen, die, von dem Erbe der Vergangenheit
zehrend, anscheinend Bedeutendes leisteten, werden mit diesem Maßstabe gemessen wenig Interesse erregen, da
ihre Kunstsprache, auf dem Fundament ehemals entstandener kanonischer Werke beruhend, nicht ihre eigene,
sondern eine erborgte war. In andern dagegen, die abseits von der herrschenden Strömung den Mut hatten,
lieber dürftig aber sie selbst zu sein, mit eigenen Augen beobachtend der Natur enrgegenzutreten oder naiv sich
dem Walten ihrer künstlerischen Phantasie zu überlassen, werden die eigentlichen Träger des modernen Geistes
zu sehen sein. Und dann wird sich zeigen, daß auch die Kunst des 19. Jahrhunderts wie die jeder früheren
Periode ihr eigenes Gewand hat, wenn sie auch bei offiziellen Gelegenheiten gern die Prunktoiletten früherer
Jahrhunderte aus dem Kleiderkasten hervorholte. Nur weil diese Unterscheidung von Eklektischem und Eigen-
artigem, Erborgtem und Selbständigem, Altem und Neuem, noch nicht streng genug durchgeführt wurde,
ist es meines Erachtens bisher so schwer gewesen, den „Stil" der modernen Kunst zu erkennen, das Logische
und Folgerichtige ihres Entwicklungsganges auszuweisen.

Friedrich August Mittig.

f 20. Februar (ZstZ.


Wochen vor seinem 70. Geburtstage starb in Düsseldorf
Vittig als Lehrer an der Kunstakademie nach Vollendung
eines Lebens, das reich gewesen an Sorgen und Entbehrungen, an Ringen
und Kämpfen, an Schaffensfreudigkeit, Ehre und Ruhm und welches
bis fast an sein Ende durch die edelste und wahrhaftigste Freundschaft
verklärt wurde, die je einem Menschen entgegeugebracht wurde.

August Wittig war in Meissen'am 23. März 1823 als Sohn eines
Schäfers geboren. Seine Jugend voller Entbehrungen, eine höchst mangel-
hafte Schulbildung, die Ausbildung bei einem gewöhnlichen Steinmetzen
bis zu seinem 20. Jahre hinderten ihn nicht, später solche Schätze des
Wissens und Könnens zu sammeln, daß er fast bis zum letzten Tage
seines Lebens trotz der schweren Krankheit, die ihn seit Jahren verfolgte,
seine Freunde durch seine stets frische geistige Kraft anregen konnte. —
Es ist bekannt, wie gleich der Anfang seiner Laufbahn mühevoll war,
wie schwer es ihm gelang, seines von ihm bis ans Ende hochverehrten
Meisters Rietschel Schüler zu werden, wie er dann unter den größten
Entbehrungen sich unglaublich schnell entwickelte, bis er durch ein Sti-
pendium „infolge der Bronzegruppe Siegfried und Kriemhild" im Jahre
1848 plötzlich in die Lage versetzt wurde, das Land schauen zu können,
dessen Kunstschätze ihm bis an sein Lebensende treue Freunde ge-
blieben sind.

Uber München, wo Wittig mit Genelli und Schwind viel verkehrte,
ging er nach Florenz und Rom (1849). Hier schuf er in nimmer-
müdem Schaffen die Caritasgruppe (S. 214), Ganymed und Hebe, die Lorelei,
den Jäger (Krystallpalast) und im Jahre 1853—54 die weltberühmte
Gruppe der Hagar. Es war die Zeit, wo der Altmeister Gottfried Schadow
eben gestorben, Rauchs und Rietschels Namen wie Sterne glänzten, wo
Hähne! schon als hervorragender Künstler gepriesen wurde. In Rom arbeitete
man noch ganz im antikisierenden Sinne und die individuelle Formengebung, die man allzusehr ins Malerische
übergehend fand, wurde stark angezweifelt. Rauch jedoch, noch mehr Cornelius, zollten ihr die höchste Aner-
kennung. So ist Wittig mit seiner Hagargruppe der jetzigen Richtung vorangegangen, damals fast alleinstehend.
— Weit entfernt davon, mit dem Lobe der ersten Koryphäen zufrieden zu sein, sann er anhaltend daraus, wie
das Werk noch edler und gewaltiger zu gestalten sei, und hierin zeigt sich der schon von Jordan in dem Werk

N. Wittig. ff 2v. Februar i8gz.
 
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