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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Cheophil Lybaert
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0346

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VIII. Jahrgang, tzeft 18.

15. Juni 189Z.

—tzerausgegeüen von Friedrich Wecht

„Die Kunst für Alle" erscheint in halbmonatlichen Heften von 2 Bogen reich illustrierten Textes und 4 Bilderbeilagen in Umschlag geheftet. Bezugspreis im
Buchhandel oder durch die Post (Reichspostverzeichnis Nr. 3661. daher. Verzeichnis M. 1671. k. u. k. österr. Zeitungsliste Nr. 429) 3 M. 60 Pf. für das Vierteljahr
_ (6 Hefte): das einzelne Heft 75 Pf.

-nd- THroxchil Uuüaert. -Kn-


T!) Lybarrl.

^as alte Gent in Flandern, die einstmals so mächtige Stadt der
Artevelde, die Wiege Karls V., die große, volkreiche und doch so
stille Stadt unter dem unwandelbar grauen Himmel, mit den zahllosen
Drehbrücken, wo die Quais sich endlos hinziehen, stumm und verlassen,
die Stadt mit den langsam dahin dämmernden Sonntag Nachmittagen,
deren Stille nur durch den Klang der Glocken unterbrochen wird, welche
die Gläubigen zum Gebet rufen, die Stadt der Klöster frommer
Nonnen, mit den alten Monumenten und dem, ein Wahrzeichen der
Stadt, diese ganz beherrschenden Wartturm, ist die Heimat Theophil
Lybaerts, des Memling des neunzehnten Jahrhunderts- Hier wurde
er im Jahre 1848 geboren, dieser eigenartige Künstler mit der viel-
seitigen Begabung, die ihn auf allen Gebieten der Malerei sich hat ver-
suchen lassen.

Jung noch kam er auf die Akademie und war zunächst in der
Schule des Th. Canneel. Im Jahre 1869 zeigte er sich auf einer
Genter Ausstellung zum erstenmale in der Öffentlichkeit mit einem ge-
kreuzigten Christus, der aber noch wenig von den Wegen ahnen ließ, die
der Künstler später einschlagen sollte, und das Bild mißfiel. Da der
Künstler leben und seine Studien fortsetzen wollte, so sah er sich genötigt
für den Verkauf, für amerikanische Kunsthändler namentlich, zu arbeiten. Er malte also Kostümstücke, aus
der Zeit der Regence und des Directoire, gepuderte Marquisen und Kammerkätzchen mit hübschen Gesichtchen,
Diener in schnürenreichen Livreen und Sänsten mit Damen im Reifrock. Acht Jahre später aber drang er
durch und zog die Aufmerksamkeit auf sich mit einem Gemälde „Was warst du, König oder Bettler?" Das
Bild trug ihn hinaus über die Gewöhnlichen im Lande. In tüchtiger Technik und glänzendem Kolorit brachte
es eine Idee wirkungsvoll zum Ausdruck. — Nun folgte eine neue Entwickelungs-Epoche des Künstlers, den
plötzlich der Zauber des Orients gefangen nahm. Das Land, das der Sonne Liebling ist, mit dem wolkenlosen
Blau der Himmelswölbung, dem weißflimmernden Licht that es ihm an und er malte mit großem Geschick
und Talent seltene Lichteffekte, blauschwarze Schatten, und grell beleuchtete Mauern. In seine Bilder setzte er
die schlanken, nervigen Gestalten der Araber und behandelte die malerischen, farbenfreudigen Gewänder der
Spahis und Mamelucken, deren Gürlel einem Waffen-Arsenal gleicht. Aus dieser Zeit stammen seine Bilder
Seile 274 und Seite 275. Die Kritik tadelte ihn, sie vermerkte es ihm, daß er in den Fußtapfen französischer
Künstler wandelte und klagte, daß er sein originales Können für Nachahmung anderer wegwerfe. Darin
lag viel Wahres. Denn diese, wenn auch mit vollendeter Technik behandelten Gemälde, glichen doch mehr
einem Gemisch von Fromentin, Marilhac und Decamps und ähnelten namentlich Gemälden von Gerome so
sehr, daß ein französischer Kritiker nicht ganz Unrecht hatte, wenn er sagte, Meister Gerome hätte das Gemälde
ganz gut mit seinem Namen zeichnen können.

Das empfand auch Lybaert und zum Leidwesen namentlich der Kunsthändler, die ihm diese Gemälde
noch von der Staffelei weg kauften, gab er das Genre vollständig auf, um sich der Historie und dem Porträt

Ranft für Alle VIII.

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