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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Philippi, P.: Häusliche Betrachtungen, [1]
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Die llunst im Hause

7?

Häusliche Verrichtungen.

von p. Pbilipxi.

?>ie philosophische Betrachtung der F-oruien-
welt hinsichtlich der Joce des Schönen
stand in unsrem Jahrhundert bis vor etwa
20 Jahren wohl im umgekehrten Verhält-
nisse zu ihrer entsprechenden praktischen Ver-
wertung im Gebiete der Alltäglichkeit und
des häuslichen Lebens.

Die Jahrhunderte, die der Spät-
renaissance vorausgingen, zeigen uns kaum
einen Gegenstand aus dem Hause des
Bürgers oder Bauers, in dem nicht die
später schematisierten Gesetze des guten Ge-
schmackes vorwiegend ausgesprochen wären.
Alle diese Dinge zehrten noch aus der
naturwüchsigen Wurzel der Stile ihrer Zeiten,
der Formensinn ihrer Verfertiger war —
ich weiß nicht, was hier das Wesentlichere
ist — hochentwickelt durch den Anschauungs-
unterricht guter Vorbilder und reingehalten
von der Gewöhnung an geschmackwidrige
Formen.

Kurzum, der Handwerker, oder besser
der Zeitgeist, besaß einen beneidenswerten
ungetrübten Geschmack, und wenn auch nicht
alle Handwerker Vollkommenes schufen, das
sichere Stilgefühl des Zeitgeistes ließ keinen
den natürlichen Schönheitsgesetzen so zu-
widerarbeiten, wie es in spätem Zeiten
geschah.

Dieser unbeirrte, in Fleisch und Blut
übergegange Schönheitssinn ist verloren ge-
gangen. Das Gefühl, das sonst das Schöne
schuf, man darf fast sagen, weil es nicht
anders konnte, hatte mit dem 30 jährigen
Kriege seine Unschuld verloren, es war ver-
wirrt in der Erkenntnis des Schönen und
Unschönen, das Neue wurde um jeden Preis
über das Alte gesetzt, auch um den Preis
der Schönheit. Je mehr nun in dieser
Weise die neuerungssüchligen Geschmacks-

Schrsuk. ^)on I. Groschku- in Berlin

Schlafzimmer. von L. praechtel in Berlin

Achtungen sich von den auf zweckandeutende
Form, Eigenschaften des Materials und
Anforderungen des Gemüts gegründeten
Urprinzipien der alten Stile entfernten, desto
mehr verlor auch der Zeitgeist allmählich
die guten Vorbilder und damit die letzte
Stütze eines natürlichen Stilbewußtseins aus
den Augen.

Als nun inmitten dieser Zustände die
gelehrte Spekulation ihr Augenmerk auf
das Wesen und die Bedingungen der Formen-
schönheit richtetet?, da war der erste Schritt
gethan, das veiirrte Gefühl mittels der
Vernunft wieder in die richtigen Bahnen
zu lenken.

Es ist sehr beachtenswert, daß diese
Anregungen zu dem allmählichen Erblühen
einer zielbewußten Kunst im Gewerbe nicht
den Werkstätten entsprobten, daß sie, mit
andern Worten, nicht in einer zeitig zum
Schönen neigenden Gefühlsschwankung der
großen Menge, sondern in wissenschaftlicher
Forschung ihren Ursprung hatten.

Damit ist nämlich der Menschheit ohne
Zweifel der Fortschritt erwachsen, daß, nach
der klaren Erkenntnis und verstandesge-
mäßen Formulierung gewisser Grundzüge
der Anforderungen des Gemüts als Ur-
bedingungen für eine ästhetische Erscheinungs-
weise, in der Zukunft der Geschmack (die
Beüimmung der Form hinsichtlich ihrer
Schönheit) nicht mehr allein dem oft im
Finstern tappenden Gefühle, sondern zu
einem wesentlichen Teile dem sichern Hort
des Verstandes anvertraut ist, und dem-
gemäß steht zu erwarten, daß, wenn die
Errungenschaften der Ästhetik im Gewerbe
bis zu einem befriedigenden Grade Gemein-
gut des Volkes geworden sind, in Zukunft
keine so weitgehenden Verirrungen, wie sie
bis auf die Gegenwart möglich waren, mehr
Vorkommen werden.

Wenn man vielfach der Behauptung be-
gegnet: in Sachen des Geschmacks ließen

sich knne Regeln aufstellen, die Feststellung
solcher bedeute vielmehr Schulmeisterei und
Einschränkung der ästhetischen Freiheit, so
ist damit zuviel behauptet und das Kind
mit dem Bade ausgeschüttet. Thalsächlich
giebt es positive Grundregeln, die sich so
aus ihrem Wesen heraus rechtfertigen, daß
sie eben als Axiome zu betrachten sind.
Außerdem aber lassen sich jedenfalls eine
ganze Reihe negierender Regeln aufstellen,
zu denen uns leider die Erfahlung reichlichen
Stoff liefert, und deren Richtigkeit ebenfalls
durch sich selbst einleuchtet.

Jene übertriebene Behauptung ist die
Rückwirkung allzu strenger Einheitlichkeits-
bestrebungen im Rahmen der einzelnen histo-
rischen Stile. Wie sich in einem Musik-
stücke verschiedene Tonarten nicht nur ver-
tragen, sondern aus ihrem Zusammenwirken
selbst größere Reize entstehen, so können
auch Gegenstände verschiedener Stilarten ein-
trächtig neben einander stehen, oder gar durch
ihre Mannigfaltigkeit innerhalb einer beide
umfassenden Harmonie die Schönheit des
Gesamteindrucks steigern. Man muß eben
als ersten Satz nicht die ausschließliche
Wahrung der Grundformen eines historischen
Stils, sondern die Wahrung der freien
Harmonie betrachten.

Es sollen in folgendem in zwangloser
Reihenfolge die augenfälligsten ästhetischen
Jrrtümer aus dem Bereiche des Hauses
besprochen werden, und wenn positive Vor-
schriften gegeben werden, so sollen diese
meistens nicht eine ausschließliche Berechti-
gung beanspruchen, sondern diejenigen Wege
angeben, auf denen sich die wenigsten
Schwierigkeiten entgegenstellen.

(Die Fortsetzung in den nächsten Heften)
 
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