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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Relling, ...: Der Fall Munch
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0136

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^02

Der Fall Munch

von llr. Relling

o hat also auch die Berliner Künstlerschaft ihre
Sezession! Nun die Scheidung eingetreten ist,
kommen sie und fragen, ob es notwendig war oder ob
es sich vermeiden ließ und ob man wohl den entstandenen
Riß noch einmal zukleistern könne. Die üblichen Äuße-
rungen des Treppenwitzes! Wer so ungefähr wußte,
was im Verein Berliner Künstler vorging, dem konnte
die Trennung nicht ganz unerwartet kommen, aber es
hat doch überrascht, daß das vorhergesehene und vielleicht
notwendige Ereignis so schnell und daß es bei dieser
Gelegenheit kam, daß so viel bestige Worte gesprochen
wurden und daß es einen öffentlichen Skandal gab.
Die begleitenden Nebenumstände waren recht häßlich, und
diese wenigstens hätten sich vermeiden lassen. So handelt
es sich jetzt bei den Berliner Künstlern um keine bloße
Trennung, um kein freundschaftliches Auseinandergehen
nach gegenseitigem Übereinkommen, sondern um einen
feindseligen Bruch. Es wird nicht an Heilversuchen
fehlen, die früher oder später einmal äußerlich gelingen
können. Und viele, die jetzt noch ergrimmt die Faust
ballen, werden bald schon leichten Sinns die Hand zur
sogenannten Versöhnung reichen wollen, aber cs werden
sich unter den jetzt Streitenden auch ernstere Naturen
finden, die die Vorgänge vom 12. November nicht ver-
gessen können. Was hat es denn eigentlich gegeben?
Anscheinend so wenig; der Fall Munch an sich ist gar
kein Fall, er ist nur Mittel zum Zweck, die zufällige
letzte Veranlassung, die das lang drohende Unwetter
zum Ausbruch gebracht hat.

Der Verein Berliner Künstler hatte kürzlich eine
neue Ausstellungskommission gewählt, die zugleich als
Jury fungierte. In dieser Kommission saßen nur Junge,
mehr oder weniger entschiedene Anhänger der modernen
Richtung. Sie führte sich in diesem Herbst zunächst
recht günstig mit einer Ausstellung ausländischer Aqua-
rellisten ein. Dann folgte die Ausstellung der Bilder
von Eduard Munch. Dem Berliner Publikum war
Munch bis dahin unbekannt geblieben, nicht so den Mit-
gliedern der Ausstellungskommission, die wohl sämtlich
alljährlich nach München pilgern. Wir übrigen wußten
von Munch, daß er zu den seltsamen norwegischen
Impressionisten gehört und daß er in München eine
Medaille bekommen habe. Also eine immerhin interessante
Künstlerindividualität und hätte die Ausstellungskom-
mission weiter nichts von ihm gewußt, es hätte hinge-
reicht, ihnen den Versuch verlockend erscheinen zu lassen,
diesen seltsamen Mann dem Berliner Publikum vor-
zustellen.

Da eine gewichtige Empfehlung hinzukam, so wurde
Munch von der Kommission direkt aufgcfordert, eine
Anzahl seiner Bilder im Verein Berliner Künstler zur
Ausstellung zu bringen. Das geschah. Aber die Vor-
gesetzte Speise erschien dem an zahme Hausmannskost
gewöhnten Berliner Publikum zu stark gewürzt. Und
dann fühlten wir uns auch verletzt, daß man uns so
etwas aufzutischen wagte, wir merkten, daß man uns
nicht ganz ernsthaft nahm. Und das verzeihen wir so
leicht nicht. Genug Gründe, nm einmal weidlich schimpfen
zu könmn, und da gab es schon verschiedene, die im

Künstlerverein in die Ecke gedrückt waren, die spitzten
die Ohren, krochen aus ihren Winkeln hervor, freuten
sich innerlich über den Spektakel, thaten nach außen sehr
entrüstet, riefen die ewige Wahrheit der Zurückgesetzten:
seht ihr, das haben wir ja gleich gesagt — kurz, der
Skandal, oder richtiger die bequeme Gelegenheit zum
Skandal, war da.

Die ausgestellten Sachen von Munch waren ja
zum Teil schlimm. Flüchtige Einfälle, irgend eine
Farbenwirkung, wie sie im Vorbeihuschen gesehen war,
nachlässig hingeworfen. Ein geistreicher Kunstfreund
bezeichnte sie mir sehr treffend als Farbennotizen.
Daneben aber treffliche Arbeiten, freilich nur wenige.
So ein nächtlich dunkles Zimmer, in dem ein Herr mit
glühender Zigarre am Fenster sitzt, durch das Fenster
sieht man einige schwach leuchtende Punkte in der tief-
blauen Dämmerung. Oder das Mädchen, das aus dem
Fenster sieht, im Zimmer dunkelviolettes Licht, draußen
die blane Mondnacht. Oder das Bild mit dem seltsamen
Titel „Des andern Tages", ein Mädchen, das im Bett
liegt, den magern Arm herabhängen läßt, unter der
Hülle ist der Körper so deutlich sichtbar. Gewiß ist
Munch ein großes Talent, aber es ist doch nicht groß '
genug, um jeder seiner flüchtigen Skizzen Wert zu ver-
leihen. Und es ist mindestens dreist, sich gerade mit
dem Unfertigen und dem Krassesten einem fremden
Publikum vorzustellcn. Wer außerhalb des Kampfes
steht, wird das aber gerade erklären und darum auch
verzeihen können Munch fühlt sich offenbar als Revo-
lutionär, er hat den Fanatismus, den dreisten Mut und
die Beschränktheit des Revolutionärs, dem diese Eigen-
schaften allein den Erfolg geben. Er hält keine andere
Auffassung für möglich, als seine. Die Erbitterung des
Kampfes mag ihn auch viel weiter treiben, als er ur-
sprünglich gewollt hat. Denn erst das angefochtene
Prinzip wird uns teuer und wir führen es, wenn es
verhöhnt wird, bis zu den äußersten Konsequenzen durch.

Tie Alten im Verein Berliner Künstler waren
über das Munch gewährte Gastrecht nicht wenig erbost.
Sie beriefen eine Generalversammlung und stellten darin
den Antrag, die Munchsche Abstellung sofort zu schließen.
Es handelte sick/wohl nichh Mein um Munch. Der in
der Künstlerschaft gährende-Gegensatz zwischen Alt und
Jung sollte zum Austrag gebracht werden, als ob sich
dieser natürliche Gegensatz durch Reden nnd Abstimmungen
je austragen ließe. Persönliche Verstimmungen mögen
noch hinzu gekommen sein. Es wird wenigstens darüber '
geflüstert, daß einigen alten Herrn, die ihre paar Mo-
tivchen aus der Jugendzeit getreulich Jahr für Jahr
wiedermalen für die Kölner Dombaulotterie, den preußi-
schen Kunstverein und die Nationalgalerie, derartige
Bilder von der jungen Kommission zurückgewiesen worden
seien. Das war von der Kommission sehr unpolitisch,
aber es war ihr Recht und sie hat doch schließlich jetzt
nur den Alten zugefügt, was diese den Jungen oft genug
ohne Gewissensbisse angethan haben. Und die Jugend
ist bekanntlich unbarmherzig und hat das Recht dazu.

Die Generalversammlung des Vereins Berliner
Künstler am 12. November verlief sehr stürmisch. Eschke
 
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