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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Pecht, Friedrich: Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0115

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777>aß, dank unsrer so unmalerischen Tracht, fast allen
Darstellungen der heutigen „gebildeten" Gesellschaft
eine gewisse, sehr prosaische Nüchternheit anhaftet —
wer wollte das leugnen? Doch bezieht sich das fast nur
auf die Männer, bei Frauen, vorab bei schönen ist die
Prosa durch Seide und Samt, Spitzen und Gaze, be-
sonders aber durch das, was sie umhüllen, gar leicht
zu vertreiben und die Poesie immer in der Nähe. Denn
Poesie und Liebe sind ja Zwillingsschwestern. Für die
Darstellung der Männer giebt es dagegen ein andres
Mittel, um sie immerhin sehr viel kurzweiliger zu machen,
es heißt der Humor, wozu denn freilich die scharfe
Charakteristik aller der feinen Unterschiede gehört, welche
seine Erlebnisse, Bildung und soziale Stellung und an-
gebornes Naturell dem einzelnen aufprägen. Diese
Unterschiede sind aber bei den gebildeten Klassen un-
gleich größer als bei Bauern oder Proletariern. Werden
sie uns also mit heiterer Schalkhaftigkeit deutlich bemerk-
bar gemacht, so entsteht jedenfalls etwas, was uns fesselt
und unterhält, wenn man dabei auch noch nicht gerade
allemal von Poesie sprechen kann. Besonders wenn es
dann dem Maler auch noch glückt, durch Beleuchtung
und Stimmung seiner Darstellung so viel malerischen
Reiz zu geben, daß man darob die obligaten Fracks und
Halsbinden, Brillen und Haartouren vergißt, ohne welche
nun einmal eine moderne Herrengesellschaft undenkbar ist.
Daß man aber auf diese Weise uns höchlich unterhalten
und ergötzen kann, das beweist unser heutiges Bild vom
Dänen Thomson, welches uns den „bischöflichen Besuch
im Pfarrhause" auf der Visitationsreise und das damit
untrennbar verbundene Diner mit ebenso feiner Charakte-
ristik als charmanter Laune darstellt. Thomsen giebt uns
da mit weiser Einsicht den verhängnisvollen Moment
wieder, wo der ehrliche Pfarrherr unmittelbar nach dem
Braten in wohlgesetzten Worten die Gesundheit seines
Gastes und hochverehrten Vorgesetzten zugleich mit einem
begeisterten Hinweis auf dessen leuchtende Tugenden vor-
bringt, eine Aufgabe, die ihm offenbar den Schweiß auf
die Stirne treibt, so wohl memoriert er sie auch hatte.
Der in stolzer Majestät obenan sitzende Bischof verfolgt
mit ruhigem Selbstgefühl die sein Lob verkündenden
Phrasen und bereitet sich offenbar gleich auf eine passende
Antwort vor, in welcher er dem im Stillen blühenden
Verdienst des Herrn Pfarrers, diesem Muster treuer
Pflichterfüllung, die angemessene Würdigung zu teil werden
lassen wird. Allen Anwesenden offenbar geistig überlegen,
ist er jetzt auch noch sehr wohl gelaunt. Denn, um die
gute Stimmung des Gewaltigen zu erhöhen, hat ihm der
Pfarrer mit weiser Berechnung die immer noch recht
hübsche und wohlthuend behagliche Frau Pfarrerin an
die Seite gesetzt, während der Gutsherr, ein alter Oberst,
die andre einnimmt. Ihnen folgen zu beiden Seiten
einige Hochwürdige aus der Nachbarschaft, die dem Herrn
Kollegen mit der stellen Hoffnung zuhören, daß er stecken
bleiben werde. Den unteren Teil der Tafel im Vorder-
grund nehmen dann mit viel Devotion und noch mehr

Durst ein reicher Bauer und wohl auch Bürgermeister,
sowie der Herr Gutsinspektor ein. Der letztere, sowie
der an der Seite des Pfarrers placierte Schullehrer sind
die einzigen modern angehauchten Sterblichen unter
den Herren, die sonst alle der älteren Generation ange-
hören, aber so schlagend wahr geschildert sind, daß man
meint, die Biographie eines jeden schreiben zu können.
Denn obwohl die Pfründe unsres Pfarrers offenbar zu
den besseren gehört, wie sowohl die gutbesetzte Tafel als
sein und besonders der Gattin wohlgenährtes Aussehen
beweist, so ist doch das Ganze der nüchternsten Empire-
zeit angehörige Mobiliar wie die niedrige enge Stube
noch im alten Stil. Sie weisen durchaus auf eine jener
bescheidenen aber behaglichen Dorfpfarren hin, wie sie
schon Voß in seiner „Luise" unübertrefflich geschildert,
wo man überm Beten das Essen und Trinken aber auch
gar nicht vergißt. Ja hinten in der sonnbeschienenen
„guten Stube", wo die Herren dann den Kaffee ein-
nehmen dürften, wird sogar den schönen Künsten gehuldigt
und sieht man auf einer Staffelei das Porträt — wohl
gar des Herrn Bischofs selber oder doch des Landesherrn
stehen. Dieser Blick durch die bescheidene Portiere in
das sonnige Gemach, das seinen Glanz noch auf den
Flaschen und Gläsern der Tafel weiterspiegelt, ist
aber vom Künstler mit großem Geschick dazu benützt,
dem Ganzen einen leuchtenden Mittelpunkt und Leben
durch seine sehr pikante und doch ungesucht erscheinende
malerische Wirkung zu sichern, die dem köstlichen Humor
in der Schilderung der handelnden Personen vollkommen
entspricht. Dabei fällt einem denn auch alsbald die
große Verwandtschaft dieser Dänen mit unsrer Nation
auf, die uns nicht nur die dargestellten Charaktere und
Verhältnisse sofort verstehe», sondern auch so altbekannt
erscheinen läßt, daß man die Szene sich ebensogut in
Holstein als in Jütland oder Seeland spielend denken
kann.

Auch der trockene Humor, mit dem alles und jedes,
der Herr Bischof am und die Katze hinterm Tisch ge-
schildert sind, mutet uns unendlich wohlthuend an, so
daß man das so anspruchlos in einer Ecke des dänischen
Saals hängende Bild wohl zum Besten rechnen dürfte,
was uns die letzte Münchener Ausstellung von Schil-
derungen modern sozialer Zustände gebracht. Daß es
überdies auch wieder einmal glänzend bewies, wie dank-
bar das Erzählen in der Malerei ist, wenn sich der
Künstler nur auf scharfe Charakteristik seiner Personen
versteht, das sei nur nebenher bemerkt. Glaubt man
denn, daß solch ein Bild in hundert Jahren nicht noch
viel mehr interessieren werde, als eines, das zwar nach
heutigen Begriffen gut gemalt ist, uns aber weder etwas
zu erzählen, noch uns durch den Charakter der darge-
stellten Personen zu fesseln vermag? Tie einseitig kolo-
ristischer Richtung gehörenden Bilder sind im Gegenteil
die, welche am schnellsten aus der Mode kommen, wie
man schon an den Nachahmern des Rubens und Rem-
brandt sehen kann.
 
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