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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Braunmühl, Clementine von: Der Hausfrau Leinenschrank, [5]
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Hann, P.: Das Kunstgewerbe auf der Kolumbus-Weltausstellung in Chicago, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0442

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Der Hausfrau Tcinenschranlt.

b.») Der Schmuck des Linnen,

(Schluß.)

Der reiche Schmuck des Handtuches, wie
er seit unsrer Renaissanceepoche so beliebt
wurde, könnte mißverstanden werden. Wir
sehen an den eleganten Handtuchständern
das daranhängende Stück Leinwand oft
einen halben Meter hoch und darüber mit
Stickereien bedeckt: mit figürlichen Szenen,
ja ganzen Genrebildern. Ist es nicht ver-
letzend, sich die Hände an einem lieblichen
Mädchengesicht abzutrocknen, oder einem
eleganten Ritter das Wams zu beschmutzen?
Oder haben diese Handtücher vielleicht gar
keinen praktischen Wert und sind sie nur
Schaustücke? Doch nicht, diese Handtücher
sind in ihrem offenen Ausgebreitetsein den
Blicken ausgesetzt. Ein nur einmal benütztes
Handtuch gewährt einen unschönen Anblick.
Die geschmückte Vorderseite des Tuches ist
daher nur Decke für den hinter ihr dem Ge-
brauche dienenden Teil, der ungeschmückt
bleibt. Auch das Besticken mit Figuren ist
nicht verfehlt. Die Stickerei hat in diesem
Falle denselben ästhetischen Wert wie jedes
Bild, dessen Zweck nur ist, das Auge zu er-
freuen. Wir haben dabei auch noch zu be-
rücksichtigen, daß die figürliche Darstellung
auf dem Handtuch nur einmal erscheint, als
einmal ausgesprochener Gedanke geistig an-
regt, während figürliche Szenen in mechanischer
Wiederholung den in ihnen ausgesprochenen
Gedanken entwürdigen und herabsetzen, also
absolut unstatthaft sind. Handtücher, welche
am niedrigen Ständer oder hinter einer
Zimmergardine ein bescheidenes Dasein
führen, ersreuen sich nicht der Auszeichnung
von zarter Damenhand künstlerisch bestickt
zu werden, sondern erhalten vom Weber ein
einfaches, meist geometrisch gehaltenes Dessin.
Daß das Taschentuch nur am Rande und
in der Ecke, das Herrenhemd am Brust-
einsatz, das Damenhemd am Hals- und
Armelansschnitt verziert werden darf, ver-
steht sich von selbst.

In welcher Technik soll nun die Lein-
wand bestickt werden? Daß nur glatte,
ungemusterte Leinwand zur Stickerei ver-
wendet werden kann, ist natürlich. Wir
unterscheiden da nur zwischen kräftiger, derber
Leinwand, bei welcher die Fäden leicht zu
zählen sind und feiner, die als homogenes
Ganzes wirkt. Für diese eignen sich die
Stickereien mit runden plastischen Formen,
Platt- und Hochstickerei, für jene alle
Stickereien mit abgezählten Fäden, alle Arten
von Luadratstichen. Platt- und Hochstickerei
können die Form naturalistisch geben, die
Quadratstickerei streng stilisiert, vollkommen
flach. Die wahre Leinwandstickerei ist die
mit abgezählten Fäden, aus der Leinivand
selbst herausgearbeitete. Da giebt es nun
verschiedene Variationen. Den paato tirsto
haben wir bereits genannt. Außerdem kann
eine kleine Anzahl — 6 bis 8 — Schuß-
und die gleiche Anzahl Kettfäden, zwischen
welchen je drei oder vier Fäden beider

*) L. siehe Heft 17.

Gattungen in der Breite der gewünschten
Bordüre stehen bleiben, ausgezogen werden,
svdaß ein Gitterwerk entsteht, das mit Zwirn
umnäht, ein siletähnliches Produkt giebt und
wie dieses zur Bildung einer Zeichnung mit
Garn durchzogen wird, lacis genannt.
Statt dem Durchziehen der Quadrate kann
auch gleich die Leinwand in der Form der
gewünschten Zeichnung stehen bleiben und
nur rings um dieselbe wird das Ausziehen
und Umnähen vorgenommen. Auch werden
ganze Teile der Leinwand, in größeren oder
kleineren Quadraten ausgeschnitten, die
Ränder umstochen und diese leeren Räume
mit frei mit der Nadel gearbeiteten Mustern
ausgesüllt — dem punto laqlimo, Point
coups, mit n orl<. Ein Zwischenglied, zwischen
den eben genannten, aus der Leinwand
selbst herausgearbeiteten Zierden und den
aus derselben anzubringenden, ist das Aus-
ziehen von wenigen Kett- und Schußfäden,
je einer auf etwa 8—10 stehenbleibenden,
um bei dem Einsticken größerer Quadrat-
formen in den Linien nicht zu irren.

Unter den aus der Leinwand anzu-
bringenden Stickereien sei in erster Linie der
Webestich genannt — ein Durchziehen des
Gewebes nach der Richtung des Schußes
oder der Kette mit mehr oder weniger lang
flott liegenden Fäden, die zur Bildung der
Zeichnung wechselweise oben und unten
liegen. Wir haben hier also auf der Kehr-
seite immer das negative Bild der Vorder-
seite. Dann kommen alle Arten von qua-
dratischen Stichen inkl. der sogenannten
Holbeintechnik in Betracht, welch letztere
jedoch nicht die Quadrate überstickt, sondern
die Linien zwischen denselben. Die letztge-
nannten Gattungen von Stickereien werden
nur mit farbigem Garn ausgeführt. Auf
dem ohnehin schon starken Webefaden käme
der gleichfarbige, also weiße, nicht viel
kräftigere Zwirn nicht zur Geltung. Selbst-
verständlich sind nur waschächte Farben zu
nehmen, worunter das kalte Blau dem eben-
falls kühlen Linnen ain entsprechendsten ist.
^ Eine noch nicht genannte Stickerei ist der
Stielstich. Er bewegt sich zwischen der
naturalistisch gehaltenen Hochstickerei und der
ganz flachen, streng stilisierten, auch rein
geometrischen Quadratstickerei. Er ist eine
Linienstickerei, kann also runde, jedoch nicht
Plastisch wirkende, erhabene Formen haben.
Auch der Stielstich wird besonders für die
Contouren, nur in farbigem Material aus-
geführt; seine Füllungen sind jedoch weiß
und wirken durch den Glanz des in ver-
schiedenen Stichlagen die Fläche überziehenden
Garnes.

Wir haben noch einer Zier der Leinwand
zu gedenken — der Spitze. Sie gehört zu
den sogenannten freien Endigungen und
tei/t hierin ihren Zweck mit der Franse.
Die Franse wächst jedoch aus der Leinwand
heraus, die Spitze wird ihr als fremde Zu-
that angeheftet. Um mit einer Spitze ver-
ziert zu werden, muß daher der mit ihr zu
schmückende Leinegegenstand vollständig ab-
geschlossen sein, also mit Saum und Naht
versehen. Außerdem hat sich die Spitze an
Stärke des Materials der Leinwand, an
Kraft der Zeichnung und im Stil der Stickerei

anzuschließen. Technisch eignen sich nur
Klöppelspitzen zur Zier einsacher Leinwand;
den edeln poiuts oder Nadelspitzen gebührt
eine Stelle neben den vornehmsten Stoffen,
dem zarten, durchsichtigen Battist und Linon
oder neben Samt und Seide.

Die mustergiltigsten Leinestickereien sind
die seit Jahrhunderten traditionell sich ver-
erbenden Arbeiten aller slavischen Nationen,
vor allem der Russen und Südslaven. Aber
auch Skandinavien und Italien besitzen in
ihren Hausindustrien einen reichen Schatz
echt künstlerisch geschmückten Leinezeugs.
Zur Renaissancezcit drangen, besonders von
Italien her, auch in Deutschland diese Kunst-
produkle ein und wurden, verbreitet durch
verschiedene Publikationen, in vollendetster
Weise nachgebildet.

Als wir anfingen, die deutsche Renaissance
in Architektur und Kunstgewerbe als unser
Heil zu betrachten, wurde alles, was von
alten Stickereien noch zu erhalten war, ebenso
alle Publikationen des 16. und 17. Jahr-
hunderts, gesammelt und neu veröffentlicht,
sodaß wir jetzt eine Fülle von Motiven zum
Zweck der gestickten Leinezier besitzen. Die
größten Verdienste um die Veröffentlichung
dieser Schätze von „Unsrer Mutter Werke"
erwarben sich das österreichische Museum
durch Publikationen der alten Werke und
Frau Frieda Lipperheide in Berlin durch
Herausgabe der in ihrem persönlichen Be-
^ sitz befindlichen, an Reichtum wohl nicht
' mehr zu erreichenden Sammlung alter
^ Leinestickereien in mehreren elegant aber
einfach ausgestatteten Bänden.

Die großen Damastwebereien bc-mühen
sich ihrerseits, die technischen Vorteile des
Jacquardwebstuhls im Interesse eines guten
Geschmackes zu verwerten. Eine uns kürz-
lich vorliegende Kollektion technisch vollendeter
Webereien der Firma Westermanns Söhne
in Bielefeld (siehe im vorigen Heft), zeigt in
stilgerechten Mustern das Verständnis und
den ernsten Willen, welchen die Industrie den
künstlerischen Anschauungen und als richtig
erkannten Prinzipien entgegenbringt.

Vaß Aunstgetuerüe auf der Uolumbuß-
Wcltaußstcllunrx in Lkjicago.

V>urch ein besonders glückliches Arrange-
^ ment ist es der deutschen Abteilung ge-
lungen, die Aufmerksamkeit jedes Besuchers
des Ungeheuern silanulacturers null läderal
lluilckiiix; auf sich zu ziehen und ihn
zu bestimmen, nachdem er alle andern Staaten
durchwandert, mit Ausrufen der Bewunder-
ung wieder zu den Deutschen zurückzukehren.
Vom Hauptweg angesehen, macht sie den
Eindruck eines märchenhaften Rokoko-
schlößchens, zu dem Armbrnsters (Frank-
furt) künstlerisches, dreiflügeliges Portal in
Schmiedeeisen den Eingang erschließt. Ein
kleiner Vorhof mit den Schaukästen, welche
die zahlreichen Ehrengeschenke und Adressen
Bismarcks, Kaiser Wilhelms I. und II.
und des großherzoglich Badischen Silber-
Ehepaares bergen, führt zu dem sicherlich
meist bewunderten Objekt der ganzen In-
dustrieausstellung, dem Pavillon der Berliner
 
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