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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

DOI Artikel:
Becker, Benno: Die Ausstellung der Secession in München, [2]
DOI Artikel:
Zimmermann, Max Georg: Kritische Gänge
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0471

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57H

Die Ausstellung der Secession in München. — Kritische Gänge.

Sinnen arbeiten. Sie sind nicht naiv genug, auch sie kranken an zu viel Theorie, zu viel Abstraktion. Das
führt zu einer gewissen Unmännlichkeit und Weichheit, nicht Energie genug, nicht genug Mark. Der Gobelin-
ton, den Cazin und Whistler angeschlagen, wird verwässert und übertrieben, eine Wendung ins Kunst-
gewerbliche sticht hervor. Der große Zug fehlt, das Kleinliche, die Witzelei wird Mode, Experimente zehren
die Kräfte auf. Aber Talent ist in Fülle vorhanden, und das Talent wird von den Irrwegen sich schon wieder
auf die rechte Straße retten.

Beim Forsthaus, von Louis Apol.

Kritische Mnge.

von Mar Georg Zimmermann (München).

I.

1>ie regelmäßigen jährlichen Kunstausstellungen

haben auf den Gang der modernen Kunst
einen großen Einfluß geübt. Im Gegensatz zu
früher ist es jetzt möglich, daß jeder Künstler in
jedem Jahre alles sieht, was die anderen geschaffen
haben. Dabei stellte es sich bald heraus, daß
eine Anzahl jüngerer Kräfte dem allgemein herr-
schenden Kunstgeiste widerstrebte, und da durch den
jährlich gewonnenen Überblick ein Zusammenarbeiten
ermöglicht war, schloffen sich die verwandten
Künstler aneinander. Ihre Gemeinsamkeit bestand
zunächst in der Negation des Bestehenden und da
sie in Folge dessen anfangs noch wenig Positives
in ihren Leistungen aufzuweisen hatten, regte sich
ihnen gegenüber im Publikum eine kräftige Oppo-
sition. Die gleichgesinnten Künstler fanden leicht
die Fühlung untereinander, aber das Publikum
konnte ihre Gemeinsamkeit noch nicht erkennen.
Da ist es für die neue Kunstrichtung von unge-
heurer Wichtigkeit, daß sie die Münchener Secession
veranlaßt und eine eigene Ausstellung geschaffen
hat. Jetzt ist das Publikum gezwungen diese Künstler
als eine Gesamtheit zu nehmen, und auch die
Künstler selbst empfinden ihre Zusammengehörigkeit
viel intensiver. Das Publikum wird durch ihre
gesonderte Ausstellung viel leichter über die Grund-
sätze der neuen Richtung aufgeklärt, und die Künstler
auf der anderen Seite sprechen dieselbe mit einer
Rückhaltlosigkeit aus, die bisher nicht viele von
ihnen gewagt hatten, zudem waren sie gezwungen
für diese Sonderausstellung ihre Kraft besonders

anzuspornen, um die Berechtigung ihrer Secession zu erweisen.

Der Anstoß zu dieser neuen Bewegung in der Kunst ist wie fast alle künstlerischen Bewegungen der
letzten beiden Jahrhunderte von Paris ausgegangeu, es ist aber von deutscher Seite keineswegs eine Nachahmung
des französischen Vorganges. Diese Bewegung hat in der allgemeinen Entwicklung der Zeit gelegen. Der
wesentlichste Zug der modernsten Epoche ist die Neigung zur Negation. Der schärfste Ausdruck derselben ist die
Negation der bestehenden gesellschaftlichen Zustände, der Sozialismus. Auf die Zeit der stärksten Ausprägung
des Nationalitätcnprinzips, die Zeit, in welcher das deutsche Reich und das Königreich Italien gegründet
wurden, in welcher die Nationen der österreich-ungarischen Monarchie auseinanderstrebten, ist das Aufkommen
der sozialistischen Bewegung gefolgt, zu deren Hauptcharakterzügeu die Jnternationalität gehört. — In keinem
Zeitalter ist der Schatz des historischen Wissens ein so großer gewesen, wie im 19. Jahrhundert. Kunst und
Dichtung unseres Jahrhunderts waren wesentlich retrospectiv, indem sie auf Errungenschaften früherer Zeiten
zurückgriffeu und dieselben verarbeiteten. Die Kunst war dabei schließlich beim Akademischen im schlimmen
Sinne angekommen, und sie fühlte, daß sie unter dem Ballast der überkommenen Formen ersticken müßte, darum
warf sie, neue frische Lebenskraft in sich fühlend, denselben über Bord und begann plötzlich ganz von vorn.
Diese Bewegung ist ebenso international wie der Sozialismus. Wenn Frankreich in derselben den anderen Völkern
vorangegangen ist, so ist das nur zeitlich, die Bewegung ist bei uns in Deutschland durchaus aus den eigenen
heimischen Verhältnissen hervorgcwachscn, durch dieselben hervorgerufen und bedingt worden.
 
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