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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Pecht, Friedrich: Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0073

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Rundschau, vom Herausgeber

52

Malerei sogar noch mehr als für die Dichtkunst zugäng-
liche Teile. Erstens in historische Porträte wie sie Rafaels
Leo X. und Titians Karl V. uns gewiß noch viel besser
geben als es alle Dichtkunst vermag, und zweitens in
Zeit- und Sittenschilderungen wie sie Goethe und Schiller
in jenen Stücken allerdings wunderbar gelangen, aber
auch der Malerei vollkommen erreichbar sind, wie Rethel
und Menzel ganz gleichmäßig bewiesen haben und der
Pole Matejko in seinen besseren Bildern vielleicht noch

Einladungskarte xum Lünglermaskenball, 27. Januar 1883
von F. A v. Kaulbach

mehr. So giebt auch unser heutiges Bild, welches einen
an sich ziemlich gleichgültigen Vorgang darstellt, doch als
Sittenschilderung jener Zeit des dreizehnten Jahrhunderts
in Deutschland, sehr Erfreuliches und Fesselndes, ja wir
gestehen offen, daß uns diese Darstellung der glänzenden
Periode unsres Städtelebens im Mittelalter, wie sie
Professor Keller in Stuttgart hier giebt, doch immer
noch viel mehr interessiert, als wenn er moderne Slein-

klopser noch so wahr auf die Leinwand bringt. Tenn
hier ist er ein Dichter und Wiedererwccker, dort nur ein
Abschreiber der Natur.

Ewig die allernüchternste Wirklichkeit zu schildern,
oder sich schildern zu lassen, wie es jetzt eine zeitlang
bei uns Sitte war, das hält ja auf die Länge kein
Mensch aus und gerade unsre ärgsten Naturalisten haben
sich schon jetzt fast sämtlich gezwungen gesehen, ihre Zu-
flucht ins Reich des Ideals zu nehmen und ihre Hausknechte
in Apostel, ihre Bettelweiber in Madonnen zu ver-
wandeln. Denn die Welt bedarf nun einmal der
beständigen Erlösung vom Gemeinen und Alltäg-
lichen durch die Kunst, ja diese Erlösung ist sogar
ihr eigentlicher und höchster Beruf, wenn auch nicht
ihr ausschließlicher, wie im Mittelalter, wo sie
bloß kirchliche Bilder gab. Das Fabulieren, wie
es jetzt vielfach getrieben wird, wo man nach dem
Beispiele des Rubeus die Hausknechte wenigstens
in Faune, die Kellnerinnen wieder in leichtgeschürzte
Nymphen verwandelt, das ist immer schon ein mäch-
tiger Fortschritt aus der Alltäglichkeit heraus und
wir sind die Letzten, uns darüber zu beschweren.
Aber wenn allen Schilderungen der Gegenwart
unläugbar gar zu leicht eine gewisse Nüchternheit
anhaftet, so umschwebt auch ebenso sicher die der
Vergangenheit ein gewisser mystischer Zauber,
wenn man derselben ihren eigentümlichen Duft
zu lassen versteht, der mit der zeitlichen Ent-
fernung ebenso wächst, wie mit der räumlichen.
Tie Fehler unsrer bisherigen, besonders aber der
durch die Gallait und Delaroche, wie die Piloty,
bei uns eingeleiteten Art der Geschichtsbehandlung,
war offenbar der, daß sie die gemeine Deutlichkeit
der Dinge, wie sie bei der Schilderung der Gegen-
wart unvermeidlich ist, auch auf die Vergangen-
heit übertragen zu müssen und dadurch ihre Glaub-
würdigkeit zu erhöhen meinte, daß sie uns über
den Zustand der Stiefel Alexanders des Großen
sehr viel genauer unterrichtete, als über seinen
Charakter.

Das haben nun Alfred Rethel bei seinem
Karl dem Großen und Feuerbach bei seinem Plato
allerdings besser verstanden und interessieren darum
heute noch. Also die erste Bedingung bei Darstel-
lung großer historischer Charaktere ist freilich die,
daß sie der Künstler auch wirklich verstehe. In
diesem Falle ist er aber seines Erfolges fast sicher,
da der Beschauer dies augenblicklich empfindet und
unwiderstehlich dadurch gefesselt wird. Das heißt
nun freilich, um Propheten darzustellen, müßte man
selber einer sein!

Aber so viel ist sicher, daß von den sämtlichen
Charakteren auf den dreitausend Kunstwerken unsrer
Ausstellung keine die ungeheuere Mehrzahl der Beschauer
so gefesselt haben, als Antokolskys Peter der Große
und der Bismarck Lenbachs. Da muß also doch wohl
etwas mit der Historienmalerei zu erreichen sein, wenn
man sie nur richtig an fängt!
 
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