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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Rée, Paul Johannes: Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg, [1]: Festrede, gehalten am 19. Oktober 1892 zur Feier seines hundertjährigen Bestehens
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Pecht, Friedrich: Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0095

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von vr. Paul Johannes Ree — Rundschau

«S

Wackenroders Traum war wunderbar in Erfüllung gegangen. Deutschland war wieder stolz auf feinen
Dürer, und sein damals vergessenes Grab war seit dem Jahre 1821 alljährlich Zeuge einer erhebenden Ge-
dächtnisfeier, bei der die Künstler Nürnbergs gelobten, ihm nachzueifern und sich seiner würdig zu erweisen.
Auch ward beschlossen, ihm ein ehernes Standbild zu errichten und alsbald Deutschlands größter Bildhauer
berufen, es zu schaffen. (Der Schluß im nächsten Hefte)

Kund schau

Vom Herausgeber

S^Lekanntlich liegt für uns gewöhnliche Sterbliche eine
gewisse Genugtuung darin, wenn uns gezeigt wird,
daß es einem großen Mann in diesem oder jenem Stück
nicht besser geht als uns auch, daß ihn der Regen naß
macht, daß er friert, hungert, liebt, betrogen oder gar
mißhandelt wird wie wir, und daß ihm das alles genau
ebenso weh thut. — Denn darin gleicht sich alle Welt,
daß sie wie der witzige Schwind einst von den reichen
Bewohnern einer berühmten norddeutschen Handelsstadt
behauptete, „gar gern einmal einen Riesen haben möchten,
nur daß er aber beileibe nicht größer sein dürfte als sie".
Unter dieser Bedingung laden sie ihn sogar zu Tische
und sind bereit, ihm seine Überlegenheit zu verzeihen —
solange er sich wohl hütet, sie jemals geltend zu machen.
Thut er das aber, sich vergessend, dennoch einmal, so
ist die Genugthuung gleich eine allgemeine, wenn ihm
dann irgend ein kleines oder großes Malheur passiert.
— Weil sich an diesem Verhältnis von Dionys dem
Tyrannen bis zum Fürsten Bismarck und seinen Geg-
nern recht wenig geändert hat, so ward die Schilderung
dieses beständigen Kampfes des Genies mit der Alltäg-
lichkeit oder Gemeinheit eine der beliebtesten Aufgaben
für die dramatische Kunst wie selbst für die Malerei.
Für die letztere vielleicht mit Unrecht, weil es ihr sehr schwer
wird, geistige Überlegenheit deutlich zu machen, sondern
gewöhnlich nur gelingt, die ihr gegenüberstehende Alltäg-
lichkeit glaubwürdig wiederzugeben, was freilich auch schon
amüsant genug ausfallen kann. Wir sehen das in seiner
Art vortrefflich geschildert bei unserm heutigen Bilde von
Orchardson, das Voltaire als Tischgast beim Herzog von
Sully zeigt, wie er, der hinausgerufeu und auf der
Straße im Aufträge eines Herzogs von Rohan-Chabot
durchgeprügelt worden war, wütend zurückkehrt und er-
wartet, daß der Herzog seinen in ihm beleidigten Gast
rächen werde. Während dieser aber sich sehr kühl ab-
lehnend verhält, verbergen die übrigen vornehmen Herrn
sogar ihre Genugthuung über die Demütigung des frechen
Rotnriers kaum, den sie ob seines überlegenen Geistes
und Ruhmes bisher unter sich geduldet ja geschmeichelt
hatten, obwohl sic ihn weit mehr gefürchtet als geliebt.
Deshalb verziehen sie jetzt selbst die brutale Mißhand-
lung eines großen Talents, ja, machten sich durch ihr
Verhalten zu deren Mitschuldigen. Da hat nun unser
Engländer höchst witzig und amüsant das Verhalten der
Einzelnen geschildert, während es ihm freilich viel weniger
gelang, uns die geistige Bedeutung dessen klar zu machen,
nach dem jenes Jahrhundert das Voltaires genannt ward.
So bleibt denn das Bild unverständlich, wenn man den
Katalog nicht liest.

Dennoch ist auch die Schilderung rein geistiger
Macht der Kunst bisweilen gelungen, wo es dann frei-
lich dem Meister allemal die Unsterblichkeit verschaffte.
Wir erinnern hier nur an Titians „Zinsgroschen",
wo die ruhige Überlegenheit des Heilands über die
Arglist des Pharisäers so wunderbar dargestellt ist, daß
das Bild wie Leonardos „Abendmahl" und Rafaels
„Kreuzschleppung", die denselben Gegensatz zeigen, immer
zu den höchsten Leistungen der Kunst zählen wird. Aber
das gelang eben nur, wenn man Adel des Naturells mit
dem des Genies verbinden konnte, was aber bei Voltaire
kaum anging, da er ihn nicht besaß. Glücklicher hat
es Menzel bei seinem berühmten „Souper in Sanssouci"
getroffen, wo er dem geistreichen aber innerlich gemeinen
Spötter die Überlegenheit an Seelengröße in Friedrich II.
sehr geschickt entgegensetzte, aber immerhin so, daß sie
alle beide die übrige Tischgesellschaft noch weltweit über-
ragend erscheinen. Weit eher gelingt indes der bildenden
Kunst die Schilderung der überlegenen Energie des Cha-
rakters; hier giebt es von Michel-Angelos „Moses" bis auf
Antokolskys „Peter den Großen" eine lange Reihe von
Kunstschöpfungen, die ihrer Aufgabe vollkommen genügen.
So ist dahin auch der berühmte „Napoleon in Fontaineblau"
Delaroches zu rechnen, dem es nicht an Größe fehlt,
während sich sowohl Kaulbach als Piloty vergeblich be-
mühten, die Überlegenheit Cäsars über seine Mörder
herauszuarbeiten. Wie denn die alten Römer der modernen
Kunst fast immer mißlangen, so sehr sie auch einst in der
Mode waren. Der Hauptgrund indessen, weshalb die
Darstellung der Seelengröße und des Genies der bildenden
Kunst unleugbar so selten gelingt, ist jedenfalls darin zu
suchen, daß niemand auch im Malen oder Modellieren
über sein eigenes Maß hinauskann. Leonardo und Michel-
Angelo wie Titian und Rafael waren selber nicht nur
geniale Naturen, sondern offenbar auch große Menschen
wie Dürer auch. Deshalb gelang ihnen denn die Schilde-
rung der Genialität und Seelengröße wie Menzel die
Friedrichs des Großen. Die meisten bringen es aber wie
unser Orchardson nur zur pikanten Schilderung der Zeit-
genossen des Genies, zur Anekdote. Es ist aber auch
das schon anziehend und vollends kann man nur bedauern,
daß wir so wenige Künstler besitzen, die wie der oben-
genannte Russe Antokolsky noch Größerem gewachsen sind.
Hier bleibt fast nur Lenbach übrig, der in seinen Bild-
nissen Bismarcks, Richard Wagners, Moltkes u. a. m. uns
regelmäßig die geistige Bedeutung dieser Männer ahnen
läßt, während uns sonst nur zu oft Hausknechte für
Apostel geboten werden, was einem Dürer freilich nicht
einfiel.
 
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