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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Schultze-Naumburg, Paul: Die Bedeutung der illustrierten Zeitschriften für die Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0131

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Die Bedeutung der illustrierten Zeitschriften für die Kunst

Lenkaurenkamstf.

Verkleinerte Reproduktion eines Lichtdruckes aus Röchling „Unser Heer"

Verlag von L. C. N) i s kot t in Breslau (siebe S.

heut ähnelt sie manchmal fatal einer Treibhauspflanze. Man braucht sich übrigens gar nicht ins alte Griechenland
zu verlaufen, um gesunde Kunstentwicklnng zu beobachten; auch in unserm Vaterland hat sie bessere Tage gesehen.
Man werfe nur einen Blick ins Mittelalter. Die Kunst stand da in erster Linie im Dienste der Religion und
gipfelte im Ausdruck eines innigen naiven Glaubens, dessen Wärme über die enggezogenen Grenzen ihres
Gedankenkreises hinwegsehen ließ. Aber sie hatte den unberechenbaren Vorzug, daß ihr väterlicher Boden das
Handwerk war und sie gleichsam im Schoße der Familie gedieh; daß also das ganze Volk — nicht einzelne
Künstler— künstlerisch empfand und schaffte; woher käme es denn sonst wohl auch, daß uns all die Baureste
jener Zeit, von der riesenhohen Kathedrale bis zum einfachsten Bauernhof, so eminent malerisch erscheinen?
Nicht allein, weil Moos auf ihrem Dache wächst und der Kalkverputz abgefallen und bunt geworden ist —
nein, weil die ganze Anlage von vornherein malerisch und künstlerisch gedacht war. Auch noch viel näher
liegende Beispiele könnte man wählen. Wie traut und intim berühren uns heut die kleinen Bürgerhäuser aus
dem vorigen Jahrhundert mit ihren weißumzäunten Vorgärtchen und ihren versteckten Gartenhäuschen I Da ist
Rasse drin, ist Kunst dahinter. Wie erbärmlich erscheint uns dagegen der bisher übliche Villenstil, dieser
jämmerliche Abklatsch fünf verschiedener Vorbilder!

Durch solche und ähnliche Vergleiche sind schon gar viele weise Männer zu der Einsicht gelangt, daß
nie eine Zeit unkünstlerischer empfunden hat, als die unsre. Und da hat man denn besagtes Treibhauspflänzchen
den verschiedensten Dingen aufgepfropft und auch erreicht, daß ein harmloser Bürger kaum mehr zu seinem
Biere gehen kann, ohne daß das Schreckgespenst der „altdeutschen" Trinkstuben, die verschnörkelten Bänder, die
kunstgewerblichen Landsknechte frei nach Franz Stucks Karten und Vignetten, bei Gerlach L Schenk in Wien,
und die herrlichen Trinksprüche auf „Gunst" und „umsunst" ihm den Appetit verdürben.

Das nennt man „Volkskunst". Wirkliche, vornehme Kunst ist also immernoch ein Vorrecht der Reichen?
Wo berührt sich denn überhaupt Kunst und Volk?

Der Staat ist wohl bemüht, gute Vorbildersammlungen auzulegen, dieselben bleiben aber doch im
wesentlichen auf die Hauptstädte beschränkt. In allen Provinzen haben sich seit vielen Jahrzehnten Kunstvereine
gebildet, aber man muß diese Wanderausstellungen, diese „Turnus" kennen, um zu begreifen, daß dort der
Geschmack des Publikums ganz zugrunde geht. Und unsere Ausstellungen —? Von ihnen gilt ähnliches,
wie von den Museen; auch die Gebildeten außerhalb des Ausstellungsortes haben selten Mittel und Interesse
genug, um sie regelmäßig alle Jahre zu besuchen. Und dann —- lassen jene denn überhaupt einen reinen
Genuß aufkommen? Gleicht der Gang durch die Ausstellung nicht oft mehr einer Hetzjagd, bei der man aus
 
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