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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Donner von Richter, Otto: Von alten und neuen Porträts in London, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0171

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zzo von alten und neuen Porträts in London, von Btto Donner-von Richter

Die alten Gemälde nehmen in der Nationalgalerie nunmehr 17 Säle und Räume ein! Die wunder-
volle Vermehrung dieser Sammlung in den letzten Jahrzehnten verdankt man vorzugsweise der ganz aus-
gezeichneten, umsichtigen Leitung derselben durch ihren Direktor, Sir Frederick W. Burton. Unterstützt
wird derselbe bei seinen Vorschlägen und Ankäufen durch den Umstand, daß ein wesentlicher Umschwung in
der Lage eines Teiles des grundbesitzenden englischen Adels in neuerer Zeit stattgefunden hat und zwar
durch die notgedrungene Herabsetzung der ländlichen Pachtzinse infolge der billigeren Produktion der Kolonien
und Amerikas und gegenüber dem in England herrschenden System des Freihandels. Die Neigung, die gewohnte
Lebensweise infolge der erlittenen, materiellen Einbußen umzuändern und sich Einschränkungen zu unterwerfen,
ist nicht immer bei den Betroffenen vorhanden. Um die entstandenen Lücken auszufüllen, wird vielfach zu dem
Auskunstsmittel gegriffen, vorhandenen alten Besitz an Kunstwerken, einst der Stolz der Familien, zu veräußern,
diesen Schatz als etwas nicht Zinsentragendes aufzugeben und zinsentragendes Kapital dagegen eiuzutauschen.
Sind dies an und für sich bedauerliche Vorgänge, so erwächst aus denselben für die Gesamtheit des kunst-
liebenden Publikums doch der ganz unschätzbare Vorteil, daß diese ihm bisher oft fast ganz unzugänglichen
Kunstwerke doch nun zu großem Teile in den Besitz der Nation übergehen und in der National-Galerie auf-
gestellt, nunmehr tausenden, statt bisher nur wenigen, edelsten Genuß und Anregung gewähren. Allerdings
hört man auch hier die Klage, daß der Staat nicht immer auf die Vorschläge der Musenmskommission hört
und aus ökonomischen Rücksichten versäumt hat, manche Kunstschätze der Nation zu erhalten, und sie in das
Ausland hat wandern lassen. Dieser Thatsache gegenüber tritt nun zuweilen als Korrektiv in erfreulichster
Weise das starke englische Nationalgefühl ein, indem Private entweder solche Kunstwerke, mit deren Verlust die
Nation bedroht ist, ankaufen und der Nationalgalerie schenken oder dem Staat mit einem Zuschuß zu dem
Ankaufspreise beispringen.

In letzterer Weise sind im Jahre 1880 die drei großen Gemälde erworben worden, welche mir bei
meinem diesjährigen Besuche der Galerie in wahrhaft überwältigender Weise entgegentratcn. Einstweilen haben
sie eine provisorische Aufstellung inmitten eines der Hauptsäle der italienischen Schulen gefunden. Sie schmückten
bis dahin die Sammlung des Lord Radnor in Longsord-Castle und wurden von ihm veräußert. Unter den
Herren, welche zu diesem Ankäufe namhafte Summen beisteuerten, befindet sich auch Lord Alfred von Rothschild,
derselbe, welcher kürzlich zu einem der Kuratoren der Mnseumskommission ernannt worden ist.

Alle diese drei Gemälde sind Porträtbilder der interessantesten Art. Ich beginne mit dem mindest
bedeutenden derselben, dem Porträt eines vornehmen Kriegsmannes in ganzer Figur von Moroni, dem
Schüler Morettos von Brescia. Ungleich seinem Meister, dem eine ganz besondere Großartigkeit der Formen-
gebuug eigen ist, finden wir bei Moroni eine mehr hervortretende Neigung zu eleganter, als zu breiter Form,
wobei die gewissenhafte Ausführungsweise, die ungerne irgend einen Teil des Gemäldes mit geringerer Sorgfalt
als den andern behandeln möchte, noch ganz besonders dazu beiträgt, dem ganzen Werke den Charakter der
Größe und Breite etwas zu benehmen. Jedoch hat die harmonische, dabei kräftige und leuchtende Behandlung
des Kolorites ihren großen Reiz und wenn die dargestellte Persönlichkeit mit dem eigentümlich farblosen Teint,
der zuweilen solchen eigen ist, deren Haare in die rötliche Nüance gehen, uns nicht gerade sympathisch an-
spricht, so steht sie doch als eine trefflich entwickelte Charakterfigur vor uns da. Unter dem dunklen Samt-
koller sehen die Kettenpanzer-Ärmel von der Schulter an hervor, die rechte Hand ist auf den Helm gelegt,
der auf einer abgebrochenen Säule innerhalb einer nach oben zerstörten Nische steht, über welcher noch ein
Stück des Himmels in das Bild hineinsieht. Man könnte in dieser Anordnung die zerstörenden Folgen des
Krieges erkennen, wenn man noch auf dem Standpunkte steht, den Goethe seinem Künstler in „Künstlers Fug
und Recht" wahrt, nämlich den: „daneben er auch wünscht und wollt, daß man dabei etwas denken sollt".

Bei diesem Porträt Moronis zeigte sich mir wiederum auf das Auffallendste, was ich schon vielfach
zu beobachten Gelegenheit hatte, daß eine Herabminderung des wirklichen Maßes der natürlichen Größe solchen
Porträts unausweichlich den Stempel des Kleinlichen aufdrückt, sobald sie das Mißgeschick haben, neben einem
andern in voller Lebensgröße aufgestellt zu werden. So ergeht es Moroni gegenüber seinem Nachbar, dem
zweiten der drei neu erworbenen Gemälde, nämlich dem spanischen Admiral Pulido Pareja von Velasquez

Da steht der gewaltige Mann vor uns, schlicht und fest, rund und voll aus dem einfach grünlich-!
grauen, wenig variierten Hintergründe, einer glatten Wand, hervortretend! Den Admiralsstab hält er in der
rechten, herabhängenden Hand, in der Linken den schwarzen, breiten Schlapphut. Aus dem dunklen, sonnen-
verbrannten Gesicht, welches eine dicke, kompakte, braune Haarmasse umrahmt, blicken uns ein paar dunkle
Augen mit unheimlich finsterem Ausdruck entgegen und lassen uns ein Naturell erkennen, welches keine Hinder-
nisse kennt, keinen Widerspruch duldet und bei dem es nur Biegen oder Brechen giebt. Dieser Spanier ist
ein Kriegsmann vom Wirbel bis zur Zehe, aufgewachsen und abgehärtet in Sturm und Kampf, und blickt
man von ihm hinüber auf den eleganten Italiener des Moroni, so glaubt man Theorie und Praxis in den
beiden Männern bildlich dargestellt zu sehen. Der Admiral ist von oben bis unten in Schwarz gekleidet, doch
sind die engen, klein geschlitzten Ärmel des Wamses aus weißem Atlas und nur die Schärpe um die Taille
 
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