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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Tovote, Heinz: Erika, [2]: Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0176

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Feuilleton

G4

— Die Marie nämlich, die Se modelliert haben..

— Und . . .

Er schlägt mit dem Hute nach hinten aus, als könne
er sich so Mut machen, und platzt dann los:

— Ick weeß, det se von Ihnen det Kind hat... .

Das ist mir denn doch zu toll.

— Und was geht Sie das an? — He? — frage
ich und trete dicht an ihn heran. Was haben Sie sich
in Dinge zu mischen, die Sie nichts angehen! Wissen
Sie, Männecken, augenblicklich verlassen Sie hier das
Lokal, oder. . . Sie sind wohl der Bruder aus Königs-
berg — was? . . und möchten nun gern mal sehn,
ob Sie nicht an einen Dummen gekommen sind. Mein
Bester, da sind Sie schief gewickelt. Gehn Sie man
wieder nach Haus, und ne schöne Empfehlung, und mehr
wie vierzig Mark im Monat giebt es nicht, und wenn
man mir noch zehn Brüder auf den Hals schickt.

Ich war sehr wild geworden. Der Mann aber
blieb ganz ruhig und sagte dann:

— Ick bin ja jarnich der Bruder.

— Nicht? — Na, das ist doch der Gipfel... Was
wollen Sie denn eigentlich.

— Ick - ick . . .

— Na wird's bald!

— Bloß nich so bullrig . . ick will ja — heiraten
will ick die Marie! —

— Nanu? — Heiraten? Sie wollen die Marie
heiraten?

— Ja Herr . . .

Du gerechter Strohsack — und ich schnauze den
Menschen an . . . doch halt — jetzt kommt er gewiß,
und ich soll das Kind nehmen. Aber da irrt er sich.

Wer sich aber irrte, war ich selbst.

-— Sehn Se Herr . . Herr Erich, ick weeß, wie
die Marie es mit Ihnen jehabt hat, un det is ja uu
mal nich anners — und von wegen det Kind — is ja
ooch keen Unglück — und denn haben Se sich immer
so nobel jezeigt, wie manch eener nich. Det sehe ick
allens inn — na, Se wissen ja doch, wat for 'n bravet
ordentlichet Mächen et is, nich wahr? . .

Ich nickte nur stumm bestätigend mit dem Kopfe,
und war ganz still und kleinlaut geworden, während er
sich immer mehr in Eifer redete.

— Die Marie is en jutes Mächen, un wer wat
dajejen hat, der kriegt et mit mir zu dhun, — aber
wenn se nu meeue Frau is, un denn det Kind — sehn
Se, det will ick nich — nämlich det Kind soll meine
sind —- verstehn Se? — wir brauchen andere Leute nich

— un en fremden Menschen sein Jeld all lange nich.

— Det Kind soll mir jehören, so jut wie der Marie

— un keener hat nischt dreinzureden. — Det wollt ick
Ihnen man bloß jesagt haben: die Erika is von jetz ab
meine — ick will keene fremden Leite ins Haus. — Ick
bin jetz der Vater, un mir soll det Kind ooch als Vater
estemieren. Sehn Se, Herr Erich, nischt für unjut —
aber det wollt ick Ihnen man verdefendieren.

Ich hatte alle Mühe den Mann zu beruhigen, daß
er mir nicht das Haus zusammentrommelte.

Da hatte ich mich ja gründlichst blamiert. Den
Mann hatte ich rausschmeißen wollen. — Ich kam mir
grade nicht besonders stolz vor, und wußte wahrhaftig
nicht, was ich thun sollte.

Ich hatte ihn endlich glücklich so weit, daß er nicht

mehr im Atelier wie wild auf- und ablief, und etwas
ruhiger sprach.

Er setzte mir nun nochmal auseinander, wie er
nicht dulden würde, daß von meiner Seite, noch irgend
etwas für das Kind geschähe, das er ganz als sein eigen
betrachten wolle.

Ich versuchte Einwendungen zu machen; wenn ich
nun für das Kind jetzt noch eine Summe gab — aber
er ließ mich nicht zu Worte kommen und wollte von
nichts wissen.

Nicht einen Pfennig würden sie mehr nehmen.

Dann sprachen wir von der Marie, und ich er-
kundigte mich nach seinen Verhältnissen. Er war jetzt
Polier, und hatte sein gutes Auskommen, hatte gespart,
und es fehlte ihm nur eine Frau. Jetzt wollte er die
Sache zuvor mit mir ins Reine bringen, ich mußte
ihm versprechen, daß ich nicht etwa eines Tages Anspruch
auf das Kind machen würde — dann war er zufrieden.

Was konnte ich thun? —- Ich hatte mich um das
Kind garnicht bekümmert, sodaß ich die Strafe ruhig
hinnahm, mich vor diesem ehrlichen Menschen in Grund
und Boden zu schämen. Und ich habe mich geschämt,
wie nie in meinem Leben, gottesjämmerlich geschämt.

Er rauchte seine Zigarre zu Ende, die ich ihm längst
angeboten hatte; lud mich ein: sie würden sich sehr freuen,
wenn ich an dem Tage zu ihnen kommen wollte — er-
fand offenbar garnichts darin — dann schüttelten wir
uns die Hand, und da stand ich nun mitten im Atelier,
und kam mir furchtbar erbärmlich vor, diesem einfachen
Arbeiter gegenüber.

Der freundlichen Einladung zur Hochzeit folgte ich
zwar nicht, dafür machte ich ein hübsches Geschenk, für
das sie die schönsten Grüße sandten. — —

Dann hörte ich nichts wieder.

Eines schönen Sonntags, vor zwei oder drei Jahren,
war ich draußen in Treptow, um mir den tollen Trubel
einmal wieder anzusehen.

Ich schlängelte mich durch die Menschenmenge, und
wollte hinunter ans Wasser, auf dem all diese gefähr-
lichen Nußschalen gondelten, die größte Freude der Ber-
liner, zwischen den Zillen und den Vergnügungsdampfern
mit ihrem ohrengellenden Geklingel. Ich wand mich
zwischen den Tischen hindurch, als ein Mann eilends auf
mich zukommt, und in hellster Freude meinen Namen ruft.

Im ersten Augenblicke wollte ich über ihn wegsehen,
dann erkannte ich meinen Freund, den Polier.

Mein Sträuben half nicht, ich mußte mit an den
Tisch, um Frau Marie zu begrüßen, die blutrot ge-
worden war als ich herankam und sie langsam aufstand.

Angenehm war die Situation nicht, nur der Meister
Polier schien nichts zu merken.

Wir begrüßten uns, ich erkundigte mich nach dem
Wohlergehen, es ging ihnen vorzüglich; dann fiel mein
Blick auf einen Kinderhut, der auf dem Tische lag,
und wieder wurde sie rot, was ihr sehr hübsch stand. —

Plötzlich kam ein kleines, etwa drei Jahre altes
Mädchen überhastig auf den Tisch zugelaufen, blieb aber
eben so rasch stehen, als es mich erblickte.

—- Na, so komm doch, rief er, komm' nur her und
jieb dem Onkel die Patsche.

Frau Marie sah zu Boden und blickte dann flüchtig
mit einem scheuen Blicke zu mir herüber.

Das Kind kam an den Tisch, und gab mir die Hand.
 
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