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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Koehler, Robert: Die Entwicklung der Schönen Künste in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0287

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Die Entwicklung der Schönen Künste in den vereinigten Staaten von Nordamerika.

zusammengesetzt sein mag, daß er un-
befriedigt weiter wandelte, weil er keine
„amerikanische Kunst" gefunden; des-
halb fühlte er sich auch nicht selten
veranlaßt, selbst dem amerikanischen
Künstler den verdienten Respekt zu
versagen! Es dürste daher geboten
erscheinen, hier gleich zu bemerken, daß
auf beiden Ausstellungen (und nament-
lich auf der letzten) eine wirklich re-
präsentative Sammlung heimischer Kunst
nicht geboten wurde, was in hier nicht
zu erörternden zufälligen Verhältnissen
seinen Grund hatte.

Jeder Eingeweihte aber, jeder
unbefangene Beobachter wird sich der
Überzeugung nicht verschließen können,
daß in dem Kreise der amerikanischen
Künstler ein frisches Leben pulsiert, ein
üppig wucherndes, schaffensfrohes Da-
sein sich geltend macht, das in seinem
zielbewußten Ringen unzweifelhaft be-
rufen ist, schöne und große Resultate
zu zeitigen. Es wird unfern Künstlern
gern der Vorwurf gemacht, daß ihre
Bestrebungen nicht auf die Schaffung
einer „nationalen Kunst" gerichtet seien,
daß sie mit ihrem Aufenthalte in der
Fremde Gefühl und Verständnis für
heimische Art verlieren, und, zurück-
gekehrt, im Pariser oder Münchener
Geiste weiterschaffen; in den jährlichen
Ausstellungen in New-Iork seien alle
europäischen Schulen vertreten, eine
amerikanische aber nicht. „Wann endlich
wird diese erstehen?" Das ist der
Schmerzensseufzer, der alljährlich in
klagendem unisono aus der Schar der
Kunstreferenten aller Journale bei Er-
öffnung der akademischen Ausstellungen
sich losringt. Aber der Entwicklungs-
prozeß will sich dadurch nicht beschleu-
nigen lassen! Ja es lehnen sich nicht selten gewichtige Stimmen gegen dieses Begehren auf. Die Kunst sei kosmo-
politisch und soll keine nationalen Schranken kennen. Es ist keine kurzweg zu beantwortende Frage, welche von
diesen beiden Wünschen: daß unsre Kunst eine nationale, oder daß sie eine kosmopolitische werde, am ehesten
Aussicht auf Verwirklichung habe; für beide lassen sich vollwichtige Gründe anführen. Es ist vor allen Dingen
bei der Beurteilung derselben in Betracht zu ziehen, daß mancherlei Verhältnisse der Entwicklung einer rein natio-
nalen Kunstrichtung hemmend im Wege stehen; dahin gehört zuförderst der sich stetig steigernde rege Verkehr der
Kulturvölker unter einander, der sehr wohl geeignet scheint, nationale Eigentümlichkeiten der geistig ebenbürtigen
Völkerschaften im Laufe der Zeiten immer mehr zu verwischen. Sind längst die Errungenschaften auf dem
Gebiete der Wissenschaften, der mechanischen Erfindungen, der Religion Gemeingut der zivilisierten Menschheit,
ist die Erlernung fremder Sprachen schon fast zum allgemeinen Volksbedürfnis geworden, bemühen wir uns,
den Werken fremder Dichter das gleiche Verständnis entgegen zu bringen, das ihnen in der eigenen Heimat
beschieden ist — was liegt da näher, als daß auch in der Kunst, die ja schon an und für sich stets als einzige
gemeinverständliche Sprache gegolten hat, eine allgemeinere Ausdrucksweise sich heranbilden dürfte? Die Perlen
der Kunstschöpfungen aller Epochen und Schulen sind längst Gemeingut aller Nationen; an ihnen bildet sich
der Geschmack der direkten Nachkommenschaft derer, die einst Griechenland auf die höchste Stufe der Kultur
 
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