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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Vincenti, Carl Ferdinand von: Die XXII. Jahres-Ausstellung im Wiener Künstlerhause, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0314

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von Aarl v. Vincent!.

griechische und gotische Historie aufzubringen vermöchte.
Das Soldatenbild vertritt wieder der Krakauer v. Kossak
mit alter Bravour in „Hoch Habsburg", ein Soldaten-
traum für ein bekanntes Regiment gemalt.

Sittenbild, Landschaft und Tierstück zählen alle drei
viele besprechenswcrte, teilweise ausgezeichnete Nummern,
aber zu besonderen Bemerkungen, Verwahrungen oder
Vorbehalten geben sie nicht gerade Anlaß. Humor ist
selten, Unfall heute weniger beliebt. Ich sehe nicht, daß die
jungen Wiener Genremaler heute eine größere Neigung
nach Sezession hätten, als im vorigen Jahre und auch
das Sittenbild aus der Fremde gibt sich unbefangener,
als noch vor Kurzem. Ein Führer der Jungschule,
Walter Firle, steht mit seinem großen Bilde „In der
Genesung" in erster Reihe. Die junge Rekonvalescentin,
auf dem mitten ins erquickende Grün gestellten Stuhle
und das liebevoll über sie gebeugte Mütterchen sind Ge-
stalten aus dem Volke von schlichtester Innerlichkeit; Luft
und Licht sind wundervoll gemalt, mögen sie der Ge-
nesenden wohl bekommen. Neben Firle treten zwei be-
währte Meister, der Düsseldorfer Brütt mit seiner treff-
lich geschauten und vorgetragenen Schilderung des Treibens
in einer Bahnhofshalle bei Ankunft und Abgang eines
Zuges — beide Hallen Pflegen allerdings getrennt zu
sein — und Bokelmann in Karlsruhe mit vier Bildern.
Des Letzteren „Testaments-Eröffnung" mit der schmerz-
lichen Enttäuschung der Enterbten ist neidenswerter Privat-
besitz; unter den verkäuflichen Nummern wäre mir „Vor
Beginn des Gottesdienstes" mit seinen kräftig-hageren
nordfriesischen Bauernmädchen von der Insel Föhr am
liebsten. Grützners „Klosterkegelbahn" und Mathias
Schunds „Berg-Gigerl" kommen mit dankenswerter
Meisterschaft für den Humor auf; Hugo König findet
mit seinem Bild aus Pinakothekenbesitz „Beim Türmer
von St. Peter" großen Beifall; Luft, Licht und die
beiden Kinder über den Schneedächern Münchens sind
aber auch mit anmutendster Wahrheit wiedergegeben;
das so stimmungsvolle „Wegmüde" gefällt gleichfalls all-
gemein. Ein Kampfbild im Genre ist des Müncheners
Peck „Stiefmütterchen". So lieblich empfundene Moderne,
welche so sicher und frei jeden Farbenfleck hinzusetzen
und mit den einfachsten Mitteln so volle Wirkung zu
erzielen weiß, läßt man sich gerne gefallen. Franz
Simm sagt mir diesmal weniger zu; Hugo Kauff-
manns „Prosit" dagegen ist die alte Marke; der Düssel-
dorfer Sohn gibt mit seiner „Konsultation beim Rechts-
anwalt" ein Kabinetsstück der Kleinmalerei, dagegen ver-
mag ich dem Derbheiten in Jernbergs „In den Dünen"
nur mäßigen Geschmack abzugewinnen. Weisers „Spieler"
sind preiswürdig. Schleibners (München) Helle „Mai-
Andacht" (s. Heft 14) hat in den singenden Schulmädchen
einen wirklich maienhaften Zug, der in seinem Kontrast
mit den musizierenden Nonnen nachdenklich macht;
die Koch sehe Begräbnisszene bei der Benediktinerinnen auf
Frauenchiemsee leidet trotz großer Vorzüge etwas an durch
das Großformat noch verschärfter Monotonie; der „Herbst-
reigen" von Gabriel Max ist ein deutsames, vertieftes
Bild, durch welches in der That jene Empfindung geht
und erzeugt wird, womit man die Blätter fallen hört;
Raueckers „Frühlingsdrama", ein ergreifendes Kloster-
motiv, ist gut erzählt; unter den Karlsruhern behauptet
Kallmorgen seine hervorragende Stelle. Aus der ent-
fernteren Fremde haben die Italiener Nono — sein

-1?

Sonntag - Vormittag wäre mir die liebste italienische
Nummer — Tito, Rotta, Chierici, die Spanier
Benlliure („Betende Greise"), Biniegra und Ga-
lofre (altkastilianischesMarktbild)ganz Ausgezeichnetes zum
Sittenbilde beigetragen; aus Paris kamen insbesondere Fer-
raris und Henry Mosler, beide mit geistvoll vorge-
tragenenGenrestllcken, von Antwerpen haben wir Brun i ns
„Nach der Plünderung", ein Meisterwerk der Charakteristik.

Unter den Wienern möchte ich als höheres Genre
die „Dichterweihe" von Alexander Goltz voranstellen,
ein sonniges, durchaus keusch und edel wirkendes Bild,
in welchem sich die soliden Eigenschaften aus des Künst-
lers erster Schaffenszeit mit den Errungenschaften seiner
Bekehrung glücklich verbinden. In lichtvoller Landschaft,
vor der gänzlich unverhüllten Gestalt der reinen Schön-
heit, die es wahrhaft ist ohne Schönmalerei, kniet der
inbrünstige Dichter, dessen Haltung durch einen Zug von
ungekünstelter Begeisterung und Glaubensstärke vergeistigt
ist. Hirschls „Aphrodite, die Schaumgeborene" zeigt
die eben zum Leben und Lieben erwachte wonnige
Göttin, wellenumchmeichelt, leider in unschöner Hüsten-
lage, auch ist Hirschl mittlerweile kein besserer See-
maler geworden; hingegen sind Oberkörper und Kopf
Aphroditens in Ausdruck und Stellung entschieden
reizvoll und das Erwachen gar lieblich veranschau-
licht. Bernatziks Liebesszene besitzt bei feiner Ge-
haltenheit der Situation, einen eigenen Reiz; von
Knüpfers Seestück mit Najaden im Wellenspiel und
Centauren auf der Delphinenjagd kann mancher Marine-
maler lernen; von den beiden Brüdern Blaas halten
wir diesmal Julius mit seiner trefflich dargestellten
tragikomischen Szene auf dem Pferdemarkt, „Aufhalten"
(Bauer von einem wuchtigen Pinzgauer geschleift), für
glücklicher, als Eugen mit seinen venetianischen Motiven;
ganz reizend in Anordnung und Vortrag ist Gustav
Klimts Theater-Interieur in Totis mit einem Ge-
wimmel von sprechenden Bildnisköpfen aus der „Gesell-
schaft"; Humor zeigen Kinzels „Klatschwinkel" und
Isidor Kaufmann mit seinem Trödeljuden; Heinrich
Lefler, der erstaunlich fortschreitet, bekundet immer
feineres Tongefühl; Ritzbergers „Liebesfrühling" ist
ein innig empfundenes Bild; vornehm in Haltung und
Ausdruck ist „Mütterliche Unterweisung", eine Edelfrau
ihren Knaben lehrend, von Susanne Granitsch,
das wir unfern Lesern in Reproduktion noch vorführen;
Temples „Bericht des Distanzreiters" ist gefällig vor-
getragen. Beyfuß, Hamza, Gisela, Anton Müller,
Zewy und besonders Heßl machen Jung-Wien alle Ehre.

Unter den Landschaftern vermissen wir Schindler
schmerzlicher denn je; unsre Wiener Landschaftsschule steht
auf dem alten Fleck, und Altmeister von draußen, wie
die beiden Achenbach, Gude, Norman u. a. sind zwar
meisterlich vertreten, aber neues haben sie uns nicht zu
sagen. Des greisen Andreas Strandbilder, seine zwischen
zornig getürmten Wellen hin- und hergeschleuderten
Rettnngs- und Fischerboote sind uns seit langem ebenso
geläufig wie Oswalds Neapolitaner, Jschianer, Sorren-
tiner und römische Motive. Wir können nur konstatieren,
daß auf dem Gebiete des begehrenswerten Ausstellungs-
bildes die Kraft des berühmten Brüderpaares noch un-
gebrochen st. Auch Gude ist der Alte, man darf nur sein
machtvolles norwegisches Scheerenbild anschauen; nicht
minder nötigt uns Norman nach wie vor Achtung ab.
 
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