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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Koehler, Robert: Die Entwicklung der Schönen Künste in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0327

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Die Entwicklung der Schönen Künste in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika.

der Plastik geradezu unverwendbar, allein Saint Gaudens hat ein unüberwindbares Hindernis nicht darin gefunden.
Ihr einen idealen Anstrich zu geben ist unmöglich; allein in der einfach natürlichen Haltung der Figur, die das
wesentlich Charakteristische des großen Republikaners so voll und klar zur Darstellung bringt, entbehrt die Gewan-
dung jede unser ästhetisches Gefühl verletzende unmalerische Härte — in der That, eine andre wäre geradezu
undenkbar. Saint Gaudens Phantasie und poetisch künstlerisches Gefühl offenbarte sich indessen klarer in solchen
Arbeiten wie die Engelfiguren an dem Grabmal Gouverneur Morgans; hier zeigt sich sein Gefühl für reine, edle
Schönheit und für das Malerische in der Plastik wie es die Meister der Renaissance gekannt, ohne daß er
sich dieselben direkt zu Vorbildern genommen; vielmehr besitzen wir in ihm einen Künstler von ausgesprochener
Individualität, wohl den ersten der unsrigen, bei dem sich dieselbe in eminenten Vorzügen und nicht in
auffallenden Mängeln bekundet. Die Zahl unsrer Bildhauer und Bildhauerinnen ist groß. Tüchtiges leisten
I. Q. A. Ward, I. S. Hartley, Ezekiel, Niehaus und andre. Ein frühzeitiger Tod endete die vielversprechende
Carriere Frank Denglers, gerade als die Verhältnisse ihm gestattet, Bedeutendes in Angriff zu nehmen.

Es ist bereits angedeutet, welchen hervorragenden Platz die illustrierten Zeitschriften in der allgemeinen
Kunstbewegung in Amerika einnehmen. Hieran sind die vorzüglichsten unter den lebenden älteren und jüngeren
Künstler in hervorragendster Weise beteiligt, und zwar hat sich bei den Illustratoren und den Holzschneidern
ein gegenseitiges Verständnis für ihre respektiven Aufgaben entwickelt, wie es in gleichen Maße in keinem
anderen Lande zu finden ist, welches Resultat auch überall in Berufskreisen neidlos anerkannt wird. Es ist
drüben eine ganz neue Schule für Holzschneidekunst entstanden, als deren eigentliche Begründer und vorzüglichste
Meister wohl Frederick Juengling, Closson und Timothy Cole, (Sohn des Malers Cole) bezeichnet werden dürften.
Die Vertreter der älteren Richtung, welche nur in einem sauberen Linienschnitt die höchste Aufgabe des Tylographen
erblicken, stehen zu der neueren etwa auf dem gleichen Standpunkte wie der Kupferstecher dem Radierer gegenüber.

Als glänzendsten Stern unter unfern Illustratoren erkennen wir wohl einmütig Edwin A. Abbey.
Sein Name hat auf beiden Seiten des Oceans den gleich guten Klang; obwohl seit mehreren Jahren in Eng-
land lebend, verdankt er dennoch alles, was er an künstlerischer Ausbildung genossen, seinem Vaterlande
Amerika, oder wohl richtiger gesagt: sich selbst. Abbey ist Autodidakt; er hat keine Kunstschule besucht und
nie einen nennenswerten systematischen Kunstunterricht genossen, sondern sich im Dienste der Verlagsfirma
Harper Bros in New-Aork die erste Ausbildung anzneignen gewußt, welche im Laufe der Jahre so köstliche
Früchte tragen sollte. Seine eigenartige Geschicklichkeit in der Handhabung des Stiftes, der Feder und des
Pinsels ist unübertroffen und dazu gesellt sich ein Gefühl für das Malerische in der Zeichnung, wie es in
gleichem Maße nur noch bei Menzel und Dietz zu finden ist. Abbey ist zugleich ein feinfühliger Kolorist,
wovon eine Anzahl reizender Aquarellbilder beredtes Zeugnis ablegen. Als Ölmaler ist er noch nicht auf-
getreten, doch steht er noch in einem Alter, in welchem nicht wenige unsrer Künstler ihre Laufbahn überhaupt
begonnen, so daß auch auf diesen Gebiete von ihm noch Hervorragendes zu erwarten ist. Außer Abbey ver-
dienen noch als hervorragende Illustratoren genannt zu werden: C. S. Reinhart, Howard Pyle, R. Blum,
Joseph Pennell, Thomas Moran, H. Lungren, Alfred Parsons, W. H. Gibson, Hopkinson Smilh, E. W. Kemble.

Ein Zweig der Kunst, auf welchem sich viele Jahre hindurch England eines unbestrittenen Vorranges
rühmen durfte, wird auch in Amerika sehr eifrig und mit unverkennbarem Erfolg gepflegt: die Aquarellmalerei.
Es sind zumeist Künstler, deren Namen bereits erwähnt, welche sich auf diesem Gebiete rühmlich hervorgethan.
Die vor etwa zwanzig Jahren in New-Iork organisierte „Water Color Society" hält jährlich eine Ausstellung
von Aquarellen, mit welcher seit neuerer Zeit auch eine solche des „New-Dorker Radierer-Clubs" verbunden
zu werden pflegt. Die Radierkunst, welche viele Jahre hindurch auf dem Aussterbeetat gesetzt zu sein schien,
fand bei ihrer Wiederbelebung auch in Amerika sofort begeisterte Anhänger und bald hervorragende Vertreter,
wie Stephan Parrish, Henry Farrer, Joseph Pennell, R. Swain Gifford, Otto H. Bacher, S. L. Wenban,
Frank Duveneck, während in James Mc. Neil Whistler ein Meister der Radierkunst lebt, der in seiner Eigen-
art unerreicht dasteht. Radierungen erfreuten sich sehr bald einer allgemeinen Beliebtheit, so daß nicht allein
fast alle namhaften Künstler sich damit befaßten, sondern auch die gewählten Vorwürfe immer größere Be-
deutung und die Kupferplatten immer größere Dimensionen anzunehmen begannen. Die rein künstlerische
Aufgabe der Radierung wurde bald gänzlich hintangesetzt; die Werke wunderten nicht mehr in die Mappe des
Sammlers, sondern zieren die Wände der Bureaus und der Gasthäuser, wie es ehedem die Lithographien und
Stahlstiche zu thun berufen waren. Die Radierung war eben Modesache geworden und wenn manche der
ausübenden Künstler dadurch auch wohl zur Zeit von der legitimen Aufgabe ihres Berufes abgeleitet sind,
so dürfte der Kunst im allgemeinen ein dauernder Nachteil schwerlich daraus erwachsen, indem ihre Arbeiten
doch viel zur Popularisierung der Kunst überhaupt beitragen werden.

Es ist bereits eingangs darauf hingewiesen, daß die Regierung nicht als treibende Kraft hinter der
geistigen Entwickelung der Nation zu suchen ist. Was speziell die Pflege der schönen Künste anbetrifft, so
steht sie derselben, wenn nicht gänzlich unbeteiligt, so doch gänzlich verständnislos gegenüber, worin wohl
eher eine Schädigung derselben zu erblicken wäre, indem sie keineswegs zur Erkenntnis ihres mangelhaften
 
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