Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

DOI article:
Pecht, Friedrich: Die Jahresausstellung 1893 der Künstlergenossenschaft zu München, [1]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0409

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
vom licransgebcr.

323

Sorge und Armut. von Arnold Böcklin.

ihm sofort durch die Gesichter, die ihn umgeben, einleuchten, und ans jener eigenartigen Verbindung von Kraft-
bcwußtsein mit eckigem eigensinnigen Wesen, aber auch mit einer Ehrlichkeit, ja gelegentlich selbst mit einer Tiefe
und Innigkeit, die sich s o bei keiner anderen Nation wiederfinden. In dieser Beziehung sind die beiden Bilder
Defreggers, welche den Saal zieren, wahre Muster. Sein Jnsurgentenführer Peter Sigmair, welcher sich freiwillig
im Gefängnis stellt, um den statt seiner verhafteten alten Vater zu retten, ist in dieser Beziehung ein wahres
Muster von trotzig scheuer germanischer Art. Man vergißt das Bild nie mehr, wenn man es einmal gesehen,
obwohl es wenig Farbenreiz hat, dessen es freilich auch gar nicht bedarf. Die tiefe Innigkeit des Familien-
lebens aber und ihre eigenartige Schönheit findet man denn ganz und gar in der köstlichen Familienszene, wo
sich der kleinste auf dem Tische sitzende Junge so drollig ernsthaft abmüht, dem eben heimgekehrten Vater die
Pfeife zu stopfen, welchem Bemühen die nebenan waschende junge Mutter so glücklich zusieht. Das ist mit
solch liebenswürdig schlichter Wahrheit wiedergegeben, wie man ihr fast nirgends in solcher Lauterkeit begegnet.
Es wäre denn etwa bei Knaus Baby, das sich gar sehr an einem alten Schuh abgemüht und euch nun
fragend anblickt. Da ist der Kopf des Kleinen sogar noch viel besser gemalt, von viel glänzenderer Wirkung,
als die Defreggerschen Kinderköpfe, ohne sie gleichwohl in der Wahrheit des Ausdrucks zu überbieten. Solcher
nur der intimsten Naturbeobachtung abgelauschte Momente findet man nun bei den Deutschen mehr als bei
jeder anderen Nation; ja man findet sie schon bei Dürer und es wäre daher die größte Thorheit, diesen
Vorzug, der denn doch mit dem jetzt so verpönten Erzählen der Bilder gar sehr zusammenhängt, über der
Beobachtung von Lust und Sonnenreflexen an den Figuren anfgeben zu wollen. In der Wiedergabe naiver
Existenzen stehen überhaupt die Deutschen voran. Während z. B. die Franzosen fast gar keine gemalten Kinder
zuwege bringen, wenigstens keine kindlichen, weil man eben in Paris keine Kinder sieht, so stehen uns dagegen
die Engländer hier am nächsten und auch die Italiener wie z. B. Chierici bringen davon gute, wenn auch nie
mehr so naiv unschuldig im Ausdruck als zu Luca della Robbias und Raffaels Zeiten. Der größte Reiz der
Kunst bleibt aber doch immer die Darstellung naiver, unbewußt reizender Geschöpfe und rasch vorübergehender,
also der Natur abgelauschter Momente. Deshalb werden auch Kinder und Frauen immer ihre dankbarsten
Aufgaben bleiben. Es wäre denn die Darstellung hervorragender Männer und genialer Charaktere, wie sie
Lenbach unter unseren Heutigen vielleicht am besten gelingt- Nur findet hier die sehr große Einschränkung statt,
daß man keinen klüger malen kann, als man selber ist, weshalb dergleichen eigentlich nur so großen Männern
gelang, als es Leonardo, Raffael, Titian und Dürer zweifellos waren. Unter den Heutigen leistet Lenbach
wie gesagt nach dieser Seite hin am meisten, obwohl ihm Pochwalsky in Erfassung des Individuellen, besonders
aber in korrekter Zeichnung und energischer Modellierung eher überlegen ist, da er jetzt noch mit jenem Enthusiasmus
arbeitet, der alles gleich gut machen möchte. Darauf verzichtet der vielbeschäftigte Lenbach nun ganz und gar,
 
Annotationen