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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Pecht, Friedrich: Die Jahres-Ausstellung 1893 der Künstlergenossenschaft zu München, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0426

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zz8 Die Jahresausstcllung Z8Y3 der Künstlergenofsenschaft zu München.

Handwerk ordentlich gelernt haben. Wenn die Herren der Cornelianischen Schule den Nachdruck auf die Komposition
und allenfalls noch Zeichnung legten, weil sie vom Kolorit nicht allzuviel verstunden, so möchte man jetzt oft die
ganze Malknnst auf eine bloße Tonschwelgerei reduzieren, auf den „Impressionismus", und es wird unsinnig viel
Papier verschwendet, um diese meist sehr ungenießbaren Phantasien dem verehrungswürdigen Publikum durch scharf-
sinnige Beweisführung plausibel zu machen. In dieser Beziehung ist nun unsre diesjährige Ausstellung sehr-
belehrend, da sie mehr als irgend eine ihrer Vorgängerinnen zeigt, was an den jetzigen Reformbestrebungen
berechtigt und was bloßer Humbug ist. So ward schon lange, erst von den Franzosen, dann von ihren deutschen
Nachbetern behauptet, es sei nichts mit der Profanhistorienmalerei, und nun kommt einer der ausgesprochensten
Sezessionisten — Arthur Kampfs — und giebt uns in dem selber krank im Bette liegenden Friedrich dem Großen,
der seine Generale nach der Schlacht von Kunersdorf ermutigt, ein hochinteressantes modernes Historienbild, wo die
geistige Überlegenheit des einen und die bald kalte, bald hitzige Tapferkeit und mannigfache Begabung der
andern höchst fesselnd geschildert werden. — Da fragt man nun unwillkürlich: ja warum soll das nicht noch
viel interessanter sein als etwa eine Bauernversammlung in der Kneipe oder im Gemeindehaus, wie sie beide
auch in der Ausstellung zu finden? Es kommt da offenbar nur darauf an, daß die Generale ebenso wahr
und überzeugend geschildert werden, als die Bauern! Daß das aber schwerer ist, soll nicht bestritten werden.
Derselbe Kampfs hat aber kürzlich in seinen Freiwilligen von 1813 ein noch viel ergreifenderes Bild geliefert,
obwohl es kaum irgendwelche historische Figuren enthält, sondern freie Dichtung ist. Das ist nun auch bei den
für das Erfurter Rathaus bestimmten Bildern Kämpffers aus der Faustsage der Fall, vorab bei dem besten
derselben, wo Faust die Studenten mit der Erscheinung des Riesen Polyphem verblüfft. Auch hier ist die
Charakteristik der Studenten und ihres sehr verschiedenen Grades von Mut, den sie da beweisen, vortrefflich.

Am meisten interessieren aber doch ein Dutzend Bilder Böcklins, des einzigen Meisters, der aber
auch gar keinen Einfluß der modernen Naturalisten zeigt, aber solchen umsomehr auf einzelne derselben aus-
geübt hat, obwohl oder weil er der reinste Idealist unter allen lebenden Künstlern ist. Denn die Seite, wo
er am schöpferischsten ist — im Kolorit — hat mit aller Wirklichkeitsnachahmung, mit allen Sonnenflecken
und Lufttönen, mit deren Wiedergabe andre so dick thun, aber auch gar nichts zu schaffen. Dennoch entzücken
seine Venus Anadyomene, die triumphierend einherzieht auf den tiefblauen Wogen, oder seine blumenstreuende
Flora, die römische Weinkneipe oder die großartige Cypressengruppe auf Ruinen, wie die vier, Frühlingsblumen
pflückenden Frauen und die grandiosen beiden Gebirgslandschaften mehr als alles andre, was die Ausstellung
noch sonst von phantastischen Schöpfungen der Art enthält und was meistens geplagt und gequält neben diesen
erquicklich freien und vollkommen eigenartigen Inspirationen aussieht. Vorab bleiben die zahlreichen Nach-
ahmer alle Bettler neben diesem Reichtum und dieser unvergleichlichen Kraft und Frische! Höchstens die
Landschaft des Franzosen Courbet und ein paar Bildchen von Diaz zeigen Ähnliches, wenn auch in
geringerem Maße.

Was aber selbst der nüchternste Realismus leisten kann, wenn er mit der feinsten Naturbeobachtung
und einem ganz köstlichen Humor verbunden wird, das sieht man am glänzendsten bei des Dänen Axel
Helsteds „Deputation", die, offenbar aus lauter angesehenen Bürgern bestehend, im Vorzimmer ihrer
Majestäten steht, um denselben etwa zu ihrem Namensfest oder ihrer silbernen Hochzeit im Namen der Stadt
zu gratulieren. Denn daß es sich nicht um etwas Ernsthaftes, sondern nur um eine Einladung oder dergl.
handelt, das sieht man den so tadellos gebürsteten und schwarzbefrackten sieben Herren deutlich an, von denen
jeder ein Meisterstück der Individualisierung ist. Besonders der Sprecher, der kleinste, aber offenbar gewitzigtste
der Gesellschaft, der, während er mit zwei Fingern seinen ohnehin schon glänzenden Zylinder noch glatter
streicht, sichtlich in Gedanken noch einmal seine Anrede repetiert. Das thut auch der zweite Vertreter, ein
großer, breitschulteriger Kommerzienrat oder Großbrauer, während die fünf andern, wohl meist Kaufleute oder
Industrielle, sich mit ehrfurchtsvoll verbindlichem Lächeln bei der Erscheinung des Serenissimus zu begnügen
denken. Unter ihnen nimmt der einzige Künstler der Gesellschaft durch sein kühnes Profil und seine alle
andern überragende, an eine Giraffe erinnernde Länge die Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch, obwohl
auch die übrigen, im Gegensatz zu ihm sehr solid und zahlungsfähig erscheinenden Herrn ganz reizend behaglich,
ohne eine Spur von Übertreibung so pikant geschildert sind, daß man sie alle schon gesehen zu haben glaubt.
Jedenfalls wird man nicht satt, sie zu betrachten, wenngleich das Bild mit seiner ziemlich nüchternen Empire-
Architektur und der schwarzbefrackten Gruppe in der Mitte von weitem ziemlich reizlos aussieht. Aber seine
meisterhafte Charakteristik streift schon dicht an Holbein hin. In dieser Beziehung könnte in der ganzen
Ausstellung höchstens Ed. v. Gebhardt in seiner herrlichen „Bergpredigt" mit ihm wetteifern, die überdies
durch ihre Schilderung von Kindern und Frauen voll Andacht und Begeisterung unser Herz noch mehr erwärmt.

Den direktesten Gegensatz zu Schillers großartiger Auffassung bildet dann die des Spaniers Alvarez
von Philipp II., den er auf seinem berüchtigten Felsensitz in der Nähe des Escurial sich Aktenstücke vorlesen
lassend zeigt und wo man über den Zug bornierten Eigensinns und finsterer Tücke im Charakter desselben
keinen Augenblick im Zweifel bleibt. Der hoch oben auf seiner kahlen Steinbank einsam wie eine Hyäne
 
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